Computational Fluid Dynamics Impfmittelproduktion abgesichert

Reinraum für das Abfüllen von Impfstoffen: In der Strömungssimulation werden Schwachstellen erkennbar, an denen Kontaminierung droht.

Bild: CD-Adapco
17.09.2014

Die Validierung der Impfstoffproduktion erreicht dank CFD eine ganz neue Stufe. Strömungs­simulationen brachten Licht in einige Phänomene, die mit den in behördlichen Untersuchungen verwendeten Rauchtests nie geklärt werden konnten.

Für einen Reinraums in dem Grippeimpfstoffe hergestellt werden soll, war ein hoher Schutz gegen Kontaminierung gefordert. Während der Reinraum selbst der Klasse B entspricht, wird das Innere der RABS (Restricted Access Barriers) durch Abschirmungen und HEPA (High-Efficiency Particulate Air)-Luftfilter so geschützt, dass es die Anforderungen der Reinraumklasse A erfüllt. Die Abfüllanlage für den Impfstoff wurde in die RABS eingebaut, was zu Luftströmungen führte, die nicht vorhergesehen werden konnten. Um sicherzustellen, dass die Strömung wie gewünscht um die nichtsterilen Anlagenbestandteile herumfließt, war es wichtig, die Strömungsverhältnisse detailliert zu verstehen. Dabei war nicht nur die behördliche Abnahme zu bestehen. Bei der hohen Taktrate der Anlage – sie füllt mehrere hundert Durchstechfläschchen (Vials) pro Minute – würde eine Kontamination eine große Anzahl Impfdosen betreffen, und so einen schweren finanziellen Schaden bedeuten. Daher wurde ein komplettes 3D-Modell erstellt und darauf basierend eine detaillierte CFD-Simulation durchgeführt. Ziel war, eine effiziente aerodynamische Barriere zu schaffen, die das Risiko von Verunreinigungen reduziert. Genutzt wurden Creaforms 3D-Modellierungs- und CFD-Lösungen. Mit Hilfe von STL-Modellen, erzeugt von 3D-Scannern, modellierte das Ingenieursteam den Reinraum in einer CAD-Software ­ als Basis für die Strömungssimulation mit STAR-CCM+.

Nicht auf dem Laufenden bei Geometriedaten

Im hier beschriebenen Projekt war Creaform für die Reproduktion der gesamten pharmazeutischen Anlage und des umgebenden Reinraums im CAD-Modell, für die Simulation der Strömungsverhältnisse bei laufender RABS-Abschirmung und Klimaanlage, die Beurteilung der aerodynamischen Deflektoren und die Optimierung des Luftstroms um die nichtsterilen Komponenten verantwortlich. Laporte übernahm das Prozessdesign, die Installation und die Auftragsvergabe der Erneuerung der Medikamentenfabrik. Auch die Entwicklung der Lüftung und Klimatisierung, die Integration der Füllanlage und die Rauchtests im Rahmen der behördlichen Abnahme gehörten zu den Aufgaben. Ein typisches Problem bei der Durchführung von CFD-Analysen ist das Fehlen von Geometriedaten bei unvollständigen As-built-Zeichnungen oder wegen Veränderungen im Laufe der Jahre. Der Berechnungsingenieur muss dann die Geometriedaten in Frage stellen. Für CFD-Anwendungen in der Lüftungs- und Klimatechnik kombinieren die Creaform-Ingenieure oft einen Scan der gesamten Umgebung aus einem Midrange-Scanner mit Scans spezifischer Teile, die mit einem Creaform-Handscanner aufgenommen wurden. Das Ergebnis ist eine saubere STL-Datei.

Die numerische Geometrie des Reinraums umfasst Wände und Einrichtung, die Hepa-Filter, das Lüftungs- und Klimasystem, die physikalische Barriere mit Zugang über Handschuhe, die Steuerkonsole sowie das RABS selbst mit einem Sammeltisch für die Vials, Fördereinrichtung, Füllnadeln, Verschlusssystem und vielen Messgeräten. All diese Geometrien konnten dank der Wrapping-Funktion in STAR-CCM+ in der CFD-Simulation berücksichtigt werden.

Genaue, realistische Randbedingungen sind für die Reinraumsimulation unerlässlich. Sie wurden sorgfältig auf Basis neuester Datenerhebungen definiert:

  • Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Laminar-Flow-
    Equipments, auf deren Basis Luftgeschwindigkeitsprofile jedes einzelnen Ausströmers des Hepa-Filtersystems erstellt wurden;

  • Messungen der Balance des Lüftungs- und Klimasystems inklusive aller Auslässe;

  • präzise Druckmessungen in benachbarten Räumen, um sekundäre Luftströmungen zu erkennen

Die turbulente Strömung wurde mit dem stationären RANS-Ansatz, genauer mit dem k-ω-SST-Modell, berechnet. Die Wände wurden als “All y+” behandelt, weil viele Zellen nahe der Wand in die Pufferregion der Randschicht fielen. Die viskose Unterschicht an der gesamten Oberfläche modellgerecht aufzulösen wurde als unnötig erachtet, da sich die Strömung nur an scharfen Kanten ablöst. In der Konsequenz ist das komplette Netz aus Polyedern aufgebaut. Priorisierte Zellenverfeinerung wurde genutzt, um die Oberflächendetails der Maschinenkomponenten genau abzubilden. Es ergaben sich 5,6 Mio. Zellen für die ersten und 18,4 Mio. Zellen für die finalen Rechenläufe. Der ideale Strömungszustand oberhalb der Fördereinrichtung ist eine absolut vertikale Strömung. Deshalb muss die Druckverteilung in der horizontalen Ebene möglichst gleichmäßig sein. Die erste CFD-Simulation zeigte einen geringen Druckabfall. Die Ingenieure bei Laporte entwickelten Deflektoren, um den Druck im Verschlussbereich zu regulieren und entfernten eine Abtrennung, die einen Druckanstieg am Vials-Sammeltisch bewirkte. Zusammen mit einigen Anpassungen in der Hepa-Filtrierung sorgte dies für eine bessere Druckverteilung im RABS. Die CFD-Ergebnisse korrelierten hervorragend mit den Rauchtests.

Als Nächstes fokussierten sich Laporte und Creaform auf die Querströmungskomponenten in der Nähe nichtsteriler Anlagenkomponenten. Die CFD-Simulationen zeigten zwei unerwünschte Situationen am Nadelhalter und an dem Arm, der die Verschlusskappen aufsetzt. Beide Komponenten sind nicht steril, und der Luftzug von unterhalb der physikalischen Barriere zog Partikel, die in direktem Kontakt mit dem Arm waren, genau zu den Vials. Ein aerodynamischer Deflektor bewirkt eine Änderung des nach unten gerichteten Luftzugs. Die Stromlinien in der Nähe des Arms laufen direkt zur Unterseite der Fördereinrichtung, sodass potenziell kontaminierte Partikel von den Vials ferngehalten werden. Ein ähnlicher Deflektor kommt auch am Nadelhalter zum Einsatz. Die von Laporte gefertigten Deflektoren wurden vor Ort mit Rauch getestet. Sie arbeiteten so, wie es die CFD-Analyse vorhersagte.

Eine dritte unerwünschte Situation ergab sich bei diesem Projekt aus der Strömung, die von den nichtsterilen Oberflächen des Sammeltisches und der Transportscheibe abprallte. Beide Bauteile besitzen eine horizontale Fläche, die dem vertikalen Luftzug genau entgegensteht und Stagnationspunkte und unerwünschte Wirbel verursacht. Auf dem Tisch am Beginn der Produktionslinie sammeln sich die offenen Vials und formen ein kreisförmiges Muster nahe dem Rand des Tischs. Der Tisch besitzt ein zentrales Loch, durch das ein Teil des aufprallenden Luftstroms entweichen kann, ohne die Vials zu berühren. Trotzdem entweichen einige Strömungslinien durch die Außenkante, wobei sie eine Reihe von Vials passieren. Eine ganze Reihe von Lösungen wurden berechnet, um den Verlust des Stroms durch das zentrale Loch zu minimieren – mit gemischtem Erfolg.

Realistisch modelliert bis hin zu den Vials

Danach konzentrierten sich die Experten darauf, das tatsächliche Risiko einer Kontaminierung durch den Strom am Rand des Tisches abzuschätzen, wozu eine Partikelsimulation der Strömung rund um die Vials durchgeführt wurde. Diese detaillierte Simulation mit realistisch modellierten Vials nutzte die allgemeinen Strömungsfelder als Randbedingung. Es zeigte sich, dass bei gleichmäßiger Strömung der gesamte mit dem Tisch in Kontakt gekommene Luftstrom zwischen den Flaschenhälsen hindurch entweicht, was das Risiko einer Kontaminierung sehr gering erscheinen lässt. Zur Unterstützung entwickelte Laporte eine spezifische Reinigungsprozedur für den Sammeltisch. Die CFD-Ergebnisse werden im Moment gemeinsam mit den Videos der Rauchtests genutzt, um die Effizienz der aerodynamischen Barriere den Behörden zu demonstrieren.

Bildergalerie

  • Scannen eines Raums mit einem Midrange-Scanner: Wenn Geometriedaten unvollständig sind, erhält man so eine gute CFD-Grundlage.

    Scannen eines Raums mit einem Midrange-Scanner: Wenn Geometriedaten unvollständig sind, erhält man so eine gute CFD-Grundlage.

  • Polyedernetz des Vial-Fließbands

    Polyedernetz des Vial-Fließbands

  • Haupt-Randbedingungen

    Haupt-Randbedingungen

  • Druckverteilung in der horizontalen Ebene – vor (links) und nach (rechts) dem Anpassen der Konstruktion

    Druckverteilung in der horizontalen Ebene – vor (links) und nach (rechts) dem Anpassen der Konstruktion

  • Druckverteilung in der horizontalen Ebene – vor (links) und nach (rechts) dem Anpassen der Konstruktion

    Druckverteilung in der horizontalen Ebene – vor (links) und nach (rechts) dem Anpassen der Konstruktion

  • Geschwindigkeitsvektoren in einer Schnittebene am Gelenk des Verschlussarms: ursprüngliche Konstruktion (links) und modifizierte Konstruktion mit aerodynamischem Deflektor (rechts).

    Geschwindigkeitsvektoren in einer Schnittebene am Gelenk des Verschlussarms: ursprüngliche Konstruktion (links) und modifizierte Konstruktion mit aerodynamischem Deflektor (rechts).

  • Geschwindigkeitsvektoren in einer Schnittebene am Gelenk des Verschlussarms – modifizierte Konstruktion mit aerodynamischem Deflektor (B, unten)

    Geschwindigkeitsvektoren in einer Schnittebene am Gelenk des Verschlussarms – modifizierte Konstruktion mit aerodynamischem Deflektor (B, unten)

  • Stromlinien in engem Kontakt mit dem Tisch entweichen zwischen den Flaschenhälsen der Vials

    Stromlinien in engem Kontakt mit dem Tisch entweichen zwischen den Flaschenhälsen der Vials

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