Beunruhigende Entdeckung im arktischen Eis Bilderstrecke: Forscher finden so viel Mikroplastik in der Arktis wie nie zuvor

Julia Gütermann von der Arbeitsgruppe des AWI-Mikrobiologen Dr. Gunnar Gerdts untersucht eine eingefrorene Bohrkernprobe.

Bild: Tristan Vankann/Alfred-Wegener-Institut
25.04.2018

Forscher haben mit Hilfe einer neuen Messmethode den Anteil von Mikroplastik im Meerwasser untersucht. Bei genauerem Hinsehen stellten sie fest, dass die Konzentration der Teilchen größer ist als bisher angenommen. Es ist ihnen aber auch gelungen, den Ursprung der Verschmutzungen besser zu lokalisieren.

Im arktischen Meereis haben Forscher so viel Mikroplastik gefunden wie noch nie: Eisproben aus fünf verschiedenen Regionen des Arktischen Ozeans wiesen zum Teil mehr als 12.000 Mikroplastikteilchen pro Liter Meereis auf. Die meisten Partikel waren mikroskopisch klein und so charakteristisch im Eis verteilt, dass die Wissenschaftler ihre Spuren zurückverfolgen konnten. Sie führen zu einem Müllstrudel im Pazifischen Ozean. Eine weitere Quelle ist der zunehmende Schiffsverkehr und Fischfang im Arktischen Ozean, auf den ein hoher Anteil von Lack- und Nylonpartikeln hinweist.

Mikroplastik gelangt problemlos in Kleinstlebewesen

Die Untersuchungen führte das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) durch. AWI-Biologin Dr. Ilka Peeken erklärt, dass dabei beunruhigende Beobachtungen angestellt wurden: „Mehr als die Hälfte der im Eis eingeschlossenen Mikroplastikteilchen waren kleiner als ein Zwanzigstel Millimeter und können damit problemlos von arktischen Kleinstlebewesen wie Wimperntierchen, aber auch Ruderfußkrebsen gefressen werden.“ Dies sei beunruhigend, weil „bislang kann niemand abschließend sagen, inwieweit diese winzigen Kunststoffteilchen den Meeresbewohnern Schaden zufügen oder am Ende sogar Menschen gefährden“, so die Wissenschaftlerin.

Die untersuchten Eisproben hatte das AWI-Wissenschaftlerteam bei drei Arktisexpeditionen des Forschungseisbrechers Polarstern im Frühling 2014 und im Sommer 2015 genommen. Sie stammen aus fünf Regionen entlang der Transpolardrift und der Framstraße, auf der das Meereis aus der zentralen Arktis in den Nordatlantik schwimmt.

Infrarotspektrometer entlarvt hohe Belastung mit Kleinstpartikeln

Als Mikroplastik werden Plastikpartikel, -fasern, -pellets und andere Kunststofffragmente bezeichnet, die in Länge, Breite oder Durchmesser im Bereich von wenigen Mikrometern – der tausendste Teil eines Millimeter - bis unter fünf Millimeter liegen. Eine nennenswerte Menge Mikroplastik wird direkt im Meer durch den langsamen Zerfall größerer Plastikstücke freigesetzt. Mikroplastik kann aber auch an Land entstehen – etwa beim Waschen von synthetischen Textilien oder durch Abrieb von Autoreifen, der zunächst als Staub in der Luft schwebt und dann mit dem Wind oder über Abflüsse ins Meer gelangt.

Um die genaue Menge und Verteilung des im Eis enthaltenen Mikroplastiks zu ermitteln, analysierten die AWI-Forscher die Eiskerne erstmals Schicht für Schicht mit einem Fourier-Transform-Infrarotspektrometer (FTIR). Das Gerät beleuchtet Mikropartikel mit Infrarotlicht und analysiert die von ihnen reflektierte Strahlung nach einer speziellen mathematischen Methode. Je nach Inhaltsstoffen absorbieren und reflektieren die Teilchen unterschiedliche Wellenlängen. So kann jede Substanz anhand ihres optischen Fingerabdruckes bestimmt werden.

„Auf diese Weise haben wir auch Kunststoffpartikel entdeckt, die winzige elf Mikrometer klein sind. Das entspricht in etwa dem Sechsteldurchmessers eines menschlichen Haares und war zudem der entscheidende Grund, warum wir mit über 12.000 Teilchen pro Liter Meereis zwei- bis dreimal so hohe Kunststoffkonzentrationen nachweisen konnten als dies in einer früheren Untersuchung der Fall gewesen ist“, sagt Gunnar Gerdts, in dessen Labor die Messungen durchgeführt wurden. Überraschenderweise konnten die Wissenschaftler nämlich 67 Prozent der im Eis detektierten Kunststoffteilchen der kleinsten Größenkategorie „50 Mikrometer und darunter“ zuordnen.

Eisdrift und chemischer Fingerabdruck geben Hinweise auf Ursprung der Verschmutzung

Die Partikeldichte und Zusammensetzung variierte jedoch deutlich von Probe zu Probe. Gleichzeitig stellten die Wissenschaftler fest, dass die Plastikteilchen nicht gleichmäßig verteilt im Eis eingelagert waren. „Wir haben die Wanderung der beprobten Eisschollen zurückverfolgt und können jetzt belegen, dass sowohl die Ursprungsregion, in der das Meereis gebildet wird, als auch die Wassermassen, in denen die Schollen durch die Arktis treiben und weiterwachsen, einen gravierenden Einfluss auf die Zusammensetzung und Schichtung der eingeschlossenen Plastikpartikel haben“, sagt Ilka Peeken.

So fand das Forscherteam unter anderem heraus, dass Eisschollen, die in den pazifischen Wassermassen des Kanadischen Beckens getrieben sind, besonders viele Polyethylenpartikel enthalten. Polyethylen wird vor allem für Verpackungen verwendet. „Wir nehmen deshalb an, dass diese Bruchstücke Überreste des sogenannten Nordpazifischen Müllstrudels darstellen und mit dem pazifischen Einstrom durch die Beringstraße in den Arktischen Ozean gelangt sind“, schreibt das Autorenteam.

Hinweise auf lokale Verschmutzungen in der Arktis

Im Gegensatz dazu entdeckten die Forscher im Eis aus den flachen sibirischen Randmeeren vor allem Lackpartikel von Schiffsanstrichen und Nylonreste von Fischernetzen. „Diese Funde belegen, dass sowohl der zunehmende Schiffsverkehr als auch der Fischfang in der Arktis deutliche Spuren hinterlassen. Die hohen Mikroplastikkonzentrationen im Meereis sind nicht mehr nur auf Quellen außerhalb des Arktischen Ozeans zurückzuführen. Sie deuten auf lokale Verschmutzungen in der Arktis hin“, sagt Ilka Peeken.

Insgesamt fanden die Wissenschaftler 17 verschiedene Kunststofftypen im Meereis, darunter Verpackungsmaterialien wie Polyethylen und Polypropylen, aber auch Lacke, Nylon, Polyester und Cellulose Azetat. Letzteres wird vor allem bei der Herstellung von Zigarettenfiltern verwendet. Zusammen machten diese sechs Stoffe rund die Hälfte aller nachgewiesenen Mikroplastikpartikel aus.

„Das Meereis bindet all diese Kunststoffreste für zwei bis maximal elf Jahre – so lange dauert es nämlich bis Eisschollen aus den sibirischen Randmeeren oder der nordamerikanischen Arktis die Framstraße erreichen und dort schmelzen“, so Ilka Peeken. Im Umkehrschluss bedeute dies allerdings auch, dass das Meereis große Mengen Mikroplastik in die Meeresregion vor der Nordostküste Grönlands transportiere.

Ob die dort freigesetzten Kunststoffteilchen dann in der Arktis verbleiben oder weiter Richtung Süden transportiert werden, wissen die Wissenschaftler noch nicht. Wahrscheinlich ist sogar, dass die Müllreste relativ schnell in die Tiefe sinken. „Freischwimmende Mikroplastik-Partikel werden häufig von Bakterien und Algen besiedelt und infolgedessen immer schwerer. Manchmal verklumpen sie mit Algen und rieseln dadurch deutlich schneller in Richtung Meeresboden“, sagt AWI-Biologin Dr. Melanie Bergmann.

Für diese These sprechen Beobachtungen der AWI-Forscher im Framstraßen-Tiefseeobservatorium Hausgarten. „Dort haben wir erst vor kurzem Mikroplastikkonzentrationen von bis zu 6.500 Kunststoffteilchen pro Kilogramm Tiefseeboden gemessen. Das sind ausgesprochen hohe Werte“, so Melanie Bergmann.

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  • In Gerdts Labors steht ein kleiner Park moderner Spektrometer. In diesen Apparaten werden die Plastikpartikel mit Infrarotlicht bestrahlt.

    In Gerdts Labors steht ein kleiner Park moderner Spektrometer. In diesen Apparaten werden die Plastikpartikel mit Infrarotlicht bestrahlt.

    Bild: Tristan Vankann/Alfred-Wegener-Institut

  •  Jeder Kunststofftyp absorbiert und reflektiert bestimmte Wellenlängen, sodass man den Kunststoff anhand des Wellenlängenmusters im reflektierten Licht wie mit einem Fingerabdruck bestimmen kann.

    Jeder Kunststofftyp absorbiert und reflektiert bestimmte Wellenlängen, sodass man den Kunststoff anhand des Wellenlängenmusters im reflektierten Licht wie mit einem Fingerabdruck bestimmen kann.

    Bild: Tristan Vankann/Alfred-Wegener-Institut

  • Eingefrorene Bohrkernprobe

    Eingefrorene Bohrkernprobe

    Bild: Tristan Vankann/Alfred-Wegener-Institut

  • Anschließend vergleicht eine Software das Muster mit den Fingerabdrücken von mehr als 100 Kunststoffen, die in einer Datenbank gespeichert sind. Damit können die Wissenschaftler in den meisten Fällen feststellen, aus welchem Kunststoff das Partikel besteht.

    Anschließend vergleicht eine Software das Muster mit den Fingerabdrücken von mehr als 100 Kunststoffen, die in einer Datenbank gespeichert sind. Damit können die Wissenschaftler in den meisten Fällen feststellen, aus welchem Kunststoff das Partikel besteht.

    Bild: Tristan Vankann/Alfred-Wegener-Institut

  • Blick in das Labor im Alfred-Wegner-Institut auf der Insel Helgoland

    Blick in das Labor im Alfred-Wegner-Institut auf der Insel Helgoland

    Bild: Tristan Vankann/Alfred-Wegener-Institut

  • Das deutsche Forschungsschiff Polarstern bei seiner Fahrt über den Lomonossow-Rücken im zentralen Arktischen Ozean.

    Das deutsche Forschungsschiff Polarstern bei seiner Fahrt über den Lomonossow-Rücken im zentralen Arktischen Ozean.

    Bild: Rüdiger Stein/Alfred-Wegener-Institut

  • Der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern treibt für Forschungsarbeiten über dem Bereich der Aurora-Hydrothermalquellen am Westlichen Gakkel Rücken bei.

    Der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern treibt für Forschungsarbeiten über dem Bereich der Aurora-Hydrothermalquellen am Westlichen Gakkel Rücken bei.

    Bild: Stefanie Arndt/Alfred-Wegener-Institut

  • Im Bild zu sehen ist die Polarstern-Arktis-Expedition Aurora. Sie war der Untersuchung von geophysikalischen, geologischen, geochemischen und biologischen Prozessen an Hydrothermalquellen des Gakkelrückens gewidmet.

    Im Bild zu sehen ist die Polarstern-Arktis-Expedition Aurora. Sie war der Untersuchung von geophysikalischen, geologischen, geochemischen und biologischen Prozessen an Hydrothermalquellen des Gakkelrückens gewidmet.

    Bild: Stefanie Arndt/Alfred-Wegener-Institut

  • Foto eines Schmelztümpels auf einer Eisscholle. Im Bildhintergrund erkennt man den deutschen Forschungseisbrecher Polarstern.

    Foto eines Schmelztümpels auf einer Eisscholle. Im Bildhintergrund erkennt man den deutschen Forschungseisbrecher Polarstern.

    Bild: Stefanie Arndt/Alfred-Wegener-Institut

  • Auf einer Eisscholle in der Arktis nehmen Wissenschaftler Meereisproben, um sie anschließend im Heimatlabor auf Mikroplastik-Partikel zu untersuchen.

    Auf einer Eisscholle in der Arktis nehmen Wissenschaftler Meereisproben, um sie anschließend im Heimatlabor auf Mikroplastik-Partikel zu untersuchen.

    Bild: Ilka Peeken/Alfred-Wegener-Institut

  • Mehre Gruppen knüpfen sich den Lebensraum Meereis bei jeder Eisstation vor: Wasserproben aus den Schmelztümpeln, das Eis selber sowie das Wasser darunter, alles wird nach nach Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen durchsucht.

    Mehre Gruppen knüpfen sich den Lebensraum Meereis bei jeder Eisstation vor: Wasserproben aus den Schmelztümpeln, das Eis selber sowie das Wasser darunter, alles wird nach nach Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen durchsucht.

    Bild: Fernandez/Alfred-Wegener-Institut

  • Schmelztümpel auf arktischem Meereis

    Schmelztümpel auf arktischem Meereis

    Bild: Stefan Hendricks/Alfred-Wegener-Institut

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