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Andre Kengerter, Lütze Bahn auf dem Weg zur Schiene 4.0

Friedrich Lütze GmbH

Andre Kengerter ist Geschäftsführer der Lütze Transportation GmbH. Das Bahntechnik-Unternehmen wurde 2011 gegründet und ist Teil der Lütze International Group.

18.11.2021

Die Idee und das Schlagwort von der Industrie 4.0 existieren seit 10 Jahren. Der Bahnmarkt mit Produktlebenszyklen von 30 Jahren kommt demgemäß langsamer ins Laufen. Nun aber nimmt die Schiene 4.0 Fahrt auf. Es lohnt sich ein Blick auf Technologien, die sinnvoll implementiert werden müssen, können oder vielleicht schon sind.

Spannende Ansätze im eher trägen Bahnmarkt gibt es reichlich. Drei Beispiele sollen zeigen, welche Benefits die Digitalisierung den Herstellern, Betreibern und Fahrgästen verspricht. Deren Interessen sind unterschiedlich: Zugbetreiber und Fahrgäste wollen zuverlässigen Betrieb ohne Ausfallzeiten. Der Zughersteller denkt wirtschaftlich und will das Fahrzeug nicht überauslegen. Die Alternative wäre eine intensive tägliche Wartung – was der Betreiber eher nicht möchte.

Hier kommt nun Digitalisierung ins Spiel. Hatte man bis vor einigen Jahren noch viele Kabelkilometer in Zügen verlegt, gibt es heute das TRDP-Netzwerkprotokoll (Train Real Time Data Protocol). Dies sorgt für ein enormes Datenaufkommen, das man klug nutzen kann. Etwa mittels der intelligenten Stromüberwachung, die die Absicherung per Leitungsschutzschalter abgelöst hat, wie unsere LOCC-Box Rail. Sie schützt diverse Aktoren im Fehlerfall durch Abschalten.

Als Nebenprodukt fließen stetig Daten über die Höhe der einzelnen Ströme – wie kann man sie nutzen? Indem man sie aus dem Schaltschrank holt und in eine KI oder einen Cloud-Dienst einspeist. Hat man dort Regeln für verschiedenste Funktionaltäten auf dem Zug definiert, ist das schon ein gutes Stück Weg auf der Schiene 4.0. Das Sammeln und Senden der Daten für TRDP erledigt die neue Gateway-Funktion der busfähigen LOCC-Box Net Rail. Nehmen wir einen simplen Türantrieb, den diese Stromüberwachung absichert. Seine Daten zeigen stetig steigenden Strombedarf – klemmt da etwas? Laut Regel wird nun eine Vorwarnung abgesetzt wegen möglichen mechanischen Verschleißes. Der Betreiber kann eine Extrawartung vornehmen oder schon ein Ersatzteil bestellen. Auf jeden Fall genießt er durch die vorausschauende Wartung einen sicheren Betrieb, und das ohne Mehrkosten, da die datengenerierende Stromüberwachung sowieso an Bord ist.

Es gibt noch weitere, bereits realisierte Beispiele: das Train Line Modem TLM bringt Gigabit-Ethernet drahtlos über bestehende Zugkupplungen hinweg, auch in ältere nachzurüstende Fahrzeuge. Und der digitale Mensch freut sich über USB-Ladeports für seine vielen Devices. Solche Produkte der Lütze Transportation erfüllen strenge Bahnnormen hinsichtlich Schwing- und Schockbelastungen, EMV-Sicherheit sowie Brandverhalten.

Aber Schiene 4.0 umfasst mehr als das rollende Material. Ein Stichwort wäre Ticketing im ÖPNV. Einen Ticketautomaten in einer fremden Stadt zu bedienen, kann herausfordernd sein. Modellprojekte zeigen, wie es leichter geht: Steigen Sie einfach in die Bahn, per Smartphone-App werden Sie automatisch registriert, ob am Heimatort oder in jeder anderen Stadt. GPS ist an Bord und erfasst die durchfahrenen Tarifzonen. Alle Ihre Fahrten durch alle Verkehrsverbünde werden monatlich aufsummiert und zentral mit Ihnen abgerechnet. Funktioniert das deutschlandweit, dürfte das die Akzeptanz des ÖPNV deutlich steigern.

Auch für die Betreiber steckt in digitalen Systemen noch viel mehr drin: etwa eine dynamische Linienauslastung. Muss ich auf ein Ereignis reagieren, etwa auf eine Großveranstaltung mit höherer Auslastung? Also die Taktung erhöhen? Züge verlängern? Oder mehr Züge einsetzen? Es gilt den Konflikt mit suboptimaler und damit energieaufwendiger Auslastung zu verhindern. In Versuchsprojekten nutzen Betreiber Echtzeitinformationen, die ihr gesamtes Netz samt Auslastung abbilden. So lassen sich Züge an Knotenpunkten neu bündeln und je nach Mehr- oder Minderbedarf Waggons ab- und anhängen. Das puffert Spitzen dynamisch ab und lastet Züge besser aus, ganz ohne Mehrkosten. Alles dank der Daten aus der Digitalisierung und ihrer intelligenten Nutzung für die Schiene 4.0.

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