KI-Methoden zur Umfeldwahrnehmung Autonome Fahrzeuge lernen kognitive Fähigkeiten

Mit Proreta sollen komplexe Verkehrssituationen mit Künstlicher Intelligenz für das automatisierte Fahren in der Stadt erkannt werden.

Bild: Continental
23.11.2022

Die Automobilindustrie arbeitet intensiv am autonomen Fahren, eine anspruchsvolle und vielschichtige Herausforderung. Die Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik der Universität Bremen unter Leitung von Professorin Kerstin Schill hat jetzt in einem Kooperationsprojekt mit dem Automobilzulieferer Continental wichtige Forschungserfolge zur Entwicklung fortschrittlicher Fahrassistenzsysteme beigesteuert. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz werden komplexe Verkehrssituationen nun besser erkannt.

Proreta 5 heißt das Forschungsprojekt, das der Automobilzulieferer vor kurzem mit seinen wissenschaftlichen Kooperationspartnern – neben der Universität Bremen waren die TU Darmstadt und die TU Iași (Rumänien) beteiligt – abschloss. „Am Ende gab es eine Fahrdemonstration in Darmstadt. Dort haben wir autonome Fahrfunktionen präsentiert, an denen wir intensiv mitgearbeitet haben“, sagt Professorin Kerstin Schill, Leiterin der Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik der Universität Bremen.

„Dabei war das Forschungsfahrzeug in der Lage, autonom dem Straßenverlauf mit einem vordefinierten Ziel zu folgen und dabei auf andere Verkehrsteilnehmer – Fußgänger, Fahrradfahrer und weitere Fahrzeuge – zu reagieren. Bei einem simulierten Sensorausfall, der die fehlende Erkennung eines Objekts zur Folge hatte, führte das Fahrzeug zusätzlich eine Notbremsung durch.“

Algorithmen sollen Fahrentscheidungen treffen

Ziel des Proreta-Forschungsprojektes war die Entwicklung von Algorithmen. Sie sollen aus Sensordaten richtige, mit dem Menschen vergleichbare Fahrentscheidungen ableiten. Bei einer ungeregelten Kreuzung beispielsweise ist es eine Herausforderung, alle für die geplante Fahrtrichtung relevanten Objekte zu interpretieren. Es geht um deren Bewegungsrichtung, Intention und den Vorrang im Verkehr. Ohne menschliches Zutun soll die Künstliche Intelligenz (KI) sichere Entscheidungen treffen können.

„Der große Vorteil der KI: Sie ist nach einer Trainingsphase in der Lage, aufgrund des Erlernten auch in unbekannten Situationen die richtigen Schlüsse zu ziehen“, erläutert die Informatik-Professorin. „Ein Teilbereich des Projektes war es, die menschlichen Fahrerinnen und Fahrer dabei zu beobachten, wie sie selbst die Komplexität der Umgebung reduzieren und bewerten. Die lernfähigen Algorithmen werden nun nach ähnlichen Prinzipien trainiert.“

Die Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik untersuchte in dem Projekt KI-Methoden zur Umfeldwahrnehmung – Objekte und Hindernisse sollten in der Umgebung erkannt werden. Außerdem wurden neue Methoden zur menschlichen Aufmerksamkeitssteuerung (Human Attention Modeling) basierend auf Kameradaten entwickelt. Dabei werden Auffälligkeitskarten erstellt, die relevante Bereiche im Bild bestimmen, in denen beispielsweise andere Verkehrsteilnehmer oder Schilder auftauchen. Zudem wurden neue mathematische Modelle erarbeitet, die Position, Orientierung, Geschwindigkeit oder Größe von anderen Verkehrsteilnehmern mathematisch korrekt darstellen und komplexe Fahrzeuggeometrien beschreiben.

Aufgaben werden nun effizienter, robuster und sicherer gelöst

Zuletzt wurde ein Objekttracking implementiert, welches in der Lage ist, andere Verkehrsteilnehmer im Überwachungsbereich wahrzunehmen und deren Zustand über die Zeit zu schätzen. „Diese Methoden sorgen dafür, dass die entsprechenden Aufgaben effizienter, robuster und sicherer gelöst werden können. Sie liefern somit einen wichtigen Beitrag zum hochautomatisierten und autonomen Fahren“, sagt Kerstin Schill.

„Das Projekt ist ein ideales Beispiel dafür, wie eine gewinnbringende Kooperation von universitärer und wirtschaftlicher Forschung funktionieren kann. Der Standort Deutschland wird durch Projekte wie Proreta auf beiden Ebenen gestärkt.“

Die Forschungsbeiträge der Arbeitsgruppe im Detail

Jaime Maldonado beschäftigte sich mit Modellierung menschlicher Aufmerksamkeit (Human Attention Modeling) im Kontext des autonomen Fahrens. Insbesondere wurde eine aufmerksamkeitsgesteuerte Pipeline erarbeitet, die aus zwei Komponenten besteht. Einerseits werden relevante Bereiche in Kamerabildern mittels sogenannter Auffälligkeitskarten (Saliency Maps) bestimmt. Andererseits wird der Blick des Fahrers in das Bild projiziert, um den relevanten Bereich zu erweitern. Dadurch können relevante und nicht relevante Regionen im Bild unterschieden und von nachfolgenden Algorithmen effizienter verarbeitet werden.

Andreas Serov implementierte ein Objekt Tracking, das relevante Objekte im Überwachungsbereich des Fahrzeugs wahrnimmt und dessen Position, Geschwindigkeit, Orientierung und Größe in Echtzeit bestimmt. Eine Liste von getrackten Objekten wird den folgenden Modulen (Prädiktion, Planung und Steuerung) zur Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt. Das Objekt Tracking basiert auf RADAR- und LIDAR-Daten. Der Zustand von jedem Objekt wird mit einem probabilistischen Filter geschätzt, wobei der Zustand auf einer Mannigfaltigkeit verarbeitet wird.

Lino Giefer untersuchte theoretische Grundlagen zur Zustandsschätzung und -darstellung im autonomen Fahren. Insbesondere stellte er neue Modelle auf, um Gelenkfahrzeug – etwa Busse, Straßenbahnen oder Fahrzeuge mit Anhänger – mathematisch korrekt zu beschreiben. Zudem untersuchte er Zustands- und Messunsicherheiten für die Lokalisierung und das Objekt Tracking.

Razieh Khamseh-Ashari erforschte eine multimodale Objektdetektion beruhend auf LIDAR- und Kameradaten mit Hilfe von KI-Methoden. Durch eine frühe Fusion von den Sensorinputs wird eine hochpräzise Lokalisierung von Objekten im Überwachungsbereich erreicht.

Der Projektname Proreta wurde in Anlehnung an das gleichnamige Besatzungsmitglied römischer Kriegsschiffe gewählt. Die Proreta stand als Wache im Bug des Schiffes (Prora) und warnte vor Untiefen und anderen Gefahren.

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