Umfrage zu steigenden Gas- und Strompreisen Gaspreisbremse – Genug für die Aufrechterhaltung unseres Lebensstandards?

Die Preise für Strom und Gas steigen. Wie reagieren Verbraucher auf die Situation? Und wo können Energieversorger unterstützen?

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11.11.2022

„Niemand soll Angst vor zu hohen Energiekosten haben“, sagte Bundeskanzler Scholz in einer Regierungserklärung. Doch die Einschätzung der Verbraucher ist eine andere, wie eine Umfrage von Oliver Wyman zeigt: Circa 90 Prozent der Mieter und Eigentümer erwarten, ihren Lebensstil aufgrund steigender Energiekosten ändern zu müssen, manche sogar drastisch.

90 Prozent der Mietenden und 85 Prozent der Wohneigentümer sehen sich gezwungen, ihren Alltag an die gestiegenen Energiepreise anzupassen. Die Mehrzahl will ihre Heiztemperatur absenken; Immobilienbesitzer wollen zudem verstärkt in eine höhere Energieeffizienz investieren. Trotz Sparanstrengungen geht rund ein Viertel der Mieter davon aus, in existenzielle Nöte zu geraten. Das sind zentrale Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von Oliver Wyman.

Die Strategieberatung befragte im Juni und September 2022 jeweils 1.000 deutsche Verbraucher (jeweils 50 Prozent Mieter beziehungsweise Eigentümer), mit welchen Energiekosten sie rechnen, wie sie darauf reagieren, welche Maßnahmen und Investitionen zur Energieeffizienz sie einplanen und wie gut sie sich mit staatlichen Förderungen auskennen.

Jeder Vierte rechnet mit drastischen Einschränkungen

Mietende gehen ungeachtet der Diskussion um Gas- und Strompreisbremsen derzeit im Durchschnitt von monatlichen Mehrkosten in Höhe von 136 Euro aus. Wohneigentümerinnen und -eigentümer richten sich der aktuellen Untersuchung von Oliver Wyman zufolge sogar auf zusätzliche Ausgaben in Höhe von durchschnittlich 210 Euro pro Monat ein. Noch im Juni hatten die entsprechenden Werte bei 74 Euro für Mietende und 137 Euro für Immobilienbesitzer gelegen.

Durchaus realistische Steigerungen in diesem Umfang zwingen die meisten Haushalte, ihren Lebensstil zu ändern. So gehen laut der Umfrage 85 Prozent der Haushalte mit Wohneigentum davon aus, Anpassungen aufgrund der erwarteten Energiekostensteigerungen vornehmen zu müssen. Gut 40 Prozent der Eigentümer stellen sich dabei auf grundlegende Änderungen ein. Bei den Mietenden liegt der entsprechende Prozentsatz noch höher: Während 90 Prozent ihren Lebensstil anpassen wollen, erwartet jeder Vierte hier sogar, große Opfer bringen zu müssen, um sich weiterhin das Nötigste leisten zu können.

Noch herrsche zwar vielerorts Unklarheit über die tatsächlichen Preissteigerungen und die Wirkung der staatlichen Hilfspakete, bemerkt Dr. Thomas Fritz, Partner und Energie-Experte bei Oliver Wyman. Doch eines sei klar: „Die privaten Verbraucher setzen sich intensiver denn je mit ihrem Energieverbrauch und möglichen Einsparmaßnahmen auseinander.“ Strom- und Gasversorger sollten darauf kurzfristig reagieren, findet Fritz: „Je besser die Versorger ihre Kunden bei der Bewältigung dieser Krise unterstützen, desto größer ihre Chancen, die Bindung zu privaten Abnehmern zu vertiefen.“

Wohneigentümer wollen in Energieeffizienz investieren

Laut den Ergebnissen der Umfrage wollen gut 70 Prozent der Immobilienbesitzer mittlerweile in Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz investieren. Jeder Zweite beschäftigt sich mit der Installation einer Solaranlage, 22 Prozent denken über eine Wärmepumpe nach. Kurzfristig wirkende Maßnahmen wie intelligente Thermostate und Messsysteme stoßen dagegen bislang nur auf geringe Resonanz.

Das kann eine doppelte Chance für Versorger sein, sagt Dr. Matthias Witzemann, Partner in der Energy & Natural Resources Practice bei Oliver Wyman: „Mit gezielter Aufklärung über lohnenswerte Investitionen über das gesamte Spektrum möglicher Effizienzmaßnahmen hinweg können Strom- und Gaslieferanten dazu beitragen, den Energieverbrauch zu senken, und zugleich die Beziehung zu ihren Kunden auf eine neue Ebene heben.“ Dabei sollten sie auch über Fördermöglichkeiten informieren. Der Umfrage zufolge wissen mehr als die Hälfte der Immobilienbesitzer nicht, welche Mittel der Staat bereitstellt.

Ihre Rolle als verlässlicher Partner können Strom- und Gasanbieter mit Tipps rund um das Thema Energiesparen unterstreichen. Laut der Untersuchung wollen schon heute rund 60 Prozent der Bundesbürger die Temperatur zuhause niedriger einstellen; gut 60 Prozent davon sogar um zwei Grad und mehr. Dabei gibt es keine großen Unterschiede zwischen Mietenden und Eigentümern.

Für die angespannte Versorgungssituation in Deutschland sei dies eine gute Nachricht, sagt Fritz: „Die privaten Verbraucher sind bereit, ihren Anteil zur erforderlichen Senkung der Gasnachfrage zu leisten.“

Drei Ansatzpunkte, wo Energieversorger unterstützen können

Damit sich diese Reduzierung verstetigt und die Abhängigkeit von fossilen Energien weiter sinkt, sollten die mehr 1.000 Energieversorger in Deutschland ihre Kunden nach Einschätzung der Experten von Oliver Wyman jetzt vor allem an drei Stellen unterstützen:

  • Beratungsangebot ausbauen: Innovative Lösungen wie smarte Thermostate sind in weiten Kreisen der Bevölkerung noch unbekannt. Hier können Versorger mit gezieltem Marketing genauso ansetzen wie bei Informationen rund um das Thema Photovoltaik und Solarthermie, einschließlich Hinweisen auf Fördermöglichkeiten.

  • Produktportfolio erweitern: Traditionell beschränkte sich das Leistungsspektrum von Versorgern überwiegend auf eine reibungslose Belieferung mit Strom und/oder Wärme. Nun sind mehr denn je intelligente Produkte und Lösungen gefragt, um die Effizienz der Strom- und Wärmenutzung zu steigern – im Idealfall vom ersten Tag an digital unterstützt.

  • Lieferfähigkeit sicherstellen: Die Produktoffensive wird nur funktionieren, wenn Versorger auch deren Installation gewährleisten. Das ist angesichts des Fachkräftemangels eine Herkulesaufgabe. Vorbilder beispielsweise aus Frankreich zeigen jedoch, dass eine Vernetzung mit Handwerkern gelingen kann. Voraussetzung: standardisierte und digitalisierte Prozesse – von der Auftragsannahme über die Terminkoordination bis zur Freischaltung.

„Für die Energieversorger beginnt eine neue Ära“, betont Witzemann. „Mit einem erweiterten Leistungsspektrum wandeln sie sich endgültig zu kundenzentrierten Dienstleistern.“ Dafür müsste jedes Unternehmen ein klares Zielbild entwickeln, wie es künftig mit privaten Verbrauchern zusammenarbeiten wolle. Danach gehe es darum, mit agilen Methoden Schritt für Schritt ein digital unterstütztes Angebot zu entwickeln und sich so als Energiepartner der privaten Verbraucher zu etablieren.

Branchen-Experte Fritz erklärt: „Deutschlands Verbraucher brauchen jede Unterstützung, um die Last der massiv gestiegenen Strom- und Gaspreise zu schultern. Wenn die Versorger es richtig anpacken, ergeben sich daraus Möglichkeiten, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Diese Möglichkeiten sollten sie nutzen!“

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