Fachbeitrag Wenn Druckluft zum Arzneimittel wird

Verteilerzentren: Insgesamt wurde die Drucklufterzeugung auf vier dezentral angeordnete Druckluftstationen verteilt.

Bild: Kaeser
20.10.2014

80 Kilometer Druckluftleitungen, 350.000 Quadratmeter Versorgungsfläche in verschiedenen Gebäuden und gut 8000 Entnahmestellen für Medizinische Gase: Das Universitätsklinikum Erlangen macht vor, wie eine hocheffiziente Druckluftversorgung über weite Entfernungen hinweg aussehen kann.

Am Universitätsklinikum Erlangen fällt die erzeugte Druckluft in die Kategorie Medizinische Gase und ist somit ein Arzneimittel. Denn die Patienten werden nicht – wie häufig angenommen wird – mit Sauerstoff, sondern vorrangig mit Druckluft beatmet. Reiner Sauerstoff wäre auf Dauer zu aggressiv für die Atemwege, und Druckluft ist der natürlichen Atemluft am ähnlichsten.

Für alle medizinischen Einsätze, wozu zum Beispiel auch das Betreiben der Werkzeuge im Operationssaal gehört, muss die Druckluft allerdings entsprechend der Pharmacopoea (den Regeln über die Qualität, Prüfung und Lagerung von Arzneimitteln) aufbereitet, regelmäßig überprüft und dokumentiert werden. Zu diesen Bedingungen hinzu kommen noch die besonderen Anforderungen, die an Klinikbetriebe gestellt werden.

Die Betriebssicherheit und die Erzeugung der geforderten Qualität stehen an erster Stelle, wenn vom Frühchen bis zum Hundertjährigen in unterschiedlichen Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen (von der Normal- bis zur Intensivstation und den Operationssälen) alle rund um die Uhr zu 100 Prozent versorgt werden müssen. Auch im Störfall, im Notfall und unter allen möglichen schwierigen Umständen muss dieses Medizinprodukt so effizient und ökonomisch wie möglich zur Verfügung stehen.

Bevor das Uniklinikum Erlangen vor rund 15 Jahren mit der Optimierung der Druckluftversorgung begonnen hat, hatte jedes Haus seine eigene Druckluftstation samt Redundanz-Anlagen, die im medizinischen Bereich notwendig sind. Dementsprechend waren die Anlagen nicht optimal ausgelastet und die Wartung sehr aufwendig. Zudem konnten Verbräuche, Energiedaten, Drücke und sonstige Daten nicht zentral ausgelesen und ausgewertet werden.

Die Folge waren hohe Energie- und Wartungskosten, die noch weiter gestiegen wären, da im Laufe der Zeit auch die technischen Anforderungen zur Qualitätssicherung der Druckluft entscheidend gestiegen sind. Deshalb hat sich das Universitätsklinikum Erlangen für eine strategische Neuausrichtung im Bereich der medizinischen Druckluftversorgung entschieden.

Zunächst wurde in einer genauen Analyse mittels einer ADA-Messung (Analyse der Druckluft-Auslastung) ermittelt, wo genau welcher Druckluftverbrauch auftrat und an welchen Stellen Druckluftsysteme vorhanden sein müssen. Außerdem wurde geprüft, ob es Verbindungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Systemen gab. Nach der Erfassung aller notwendigen Daten stellte sich schnell heraus, dass sich durch ein Verbundsystem der einzelnen Anlagen erhebliche Einsparungen im Hinblick auf Energie- und Servicekosten ergeben würden.

Also wurde begonnen, die verschiedenen Gebäude des Universitätsklinikums unterirdisch miteinander zu vernetzen. Heute ist daraus ein Druckluftnetz mit rund 80 Kilometern Länge entstanden. Die Hauptverbindungsleitungen bestehen aus Kupfer, da diese der Norm 7396-Teil 1 entsprechen müssen. Sie haben einen Durchmesser von 76 mm. Der gesamte Druckverlust in dem großen Netz liegt bei nur 0,1 Bar. Werden die angeschlossenen Verbraucher mit eingerechnet, so sind es maximal 0,2 Bar.

Intelligente Vernetzung

Die Kompressoren wurden zwar nach wie vor dezentral angeordnet, aber auf vier Hauptstandorte konzentriert. Die dezentrale Anordnung bietet Vorteile, falls es in irgendeinem Gebäudeteil des Klinikums zu Ereignissen wie Brand, Stromausfall oder Ähnlichem kommen sollte. Alle Teilbereiche sind auf unterschiedlichen Ebenen individuell abschaltbar. Fällt ein Bereich aus, springen sofort die Kompressoren in den anderen Systemen dafür ein, ohne dass irgendwo in der großflächigen Anlage der Kliniken eine Minderversorgung auftritt. So ist die Druckluftversorgung auch dann zu 100 Prozent sichergestellt, wenn es zu technischen Problemen kommen sollte.

Die Stationen selbst wurden nach dem jeweils neuesten Stand der Technik ausgerüstet und konzipiert. Neben den Kompressoren sind sie mit sogenannten Adsorbtionstrocknern für den Pharmabereich ausgestattet, die mit integrierten Aktivkohleadsorbern und Katalysatoren ausgerüstet sind. Jedes dieser Systeme wird permanent überwacht und kann im Störfall individuell abgeschaltet werden. Zur Synchronisation der einzelnen Komponenten und Stationen wurde eine übergeordnete Steuerung – in diesem Fall ein Sigma Air Manager (SAM) – installiert, die im Laufe der Jahre mithilfe von Software-Updates immer auf den neuesten Stand der Technik gebracht wurde. Die Anlagen sind alle mit integrierten Kompressor-Steuerungen ausgerüstet (Sigma Control) und können so optimal überwacht werden. Selbst Altanlagen aus dem Baujahr 1994, die zum Teil heute eine Laufleistung von rund 80.000 Betriebsstunden aufweisen, konnten dank der vorhandenen Bussysteme integriert werden. Diese sollen allerdings aus Gründen der Energiekostenersparnis bald ersetzt werden.

Die Rohrleitungen wurden zumeist in die unter­irdischen Versorgungsgänge zwischen den Kliniken eingebaut. In Einzelfällen wurden sie allerdings auch unter Straßen hindurch­geführt. Mithilfe moderner Verlegungstechniken war dies jedoch relativ einfach möglich.

Die Qualität der Druckluft wird genauso überwacht und protokolliert wie die Druckluftversorgung selbst. Unter anderem werden Energieverbräuche, benötigte Liefermengen, Drücke und Drucktaupunkte mitgeschrieben. Mittels eines mobilen Qualitätsmessgerätes, das der Technische Dienst des Universitätsklinikums selbst entwickelt hat und auf welches das Universitätsklinikum das Patent hält, kann die Druckluftqualität nicht nur im Zentralbereich der Druckluftstation überprüft werden, sondern es können auch an jeder einzelnen Entnahmestelle die notwendigen Messparameter nach N ISO 7396-1:2014-06 gemessen werden.

Jede einzelne dieser Entnahmestellen ist mit einem Barcode versehen. Über einen Barcodescanner kann die jeweilige Messung der Qualität der Entnahmestelle zugeordnet und archiviert werden. Die Aufbewahrungsfrist für diese Messdaten unterliegt dem Medizinproduktegesetz (MPG).

Die zentrale Kompressorensteuerung gibt die Daten an ein Leittechniksystem weiter, das den Betrieb aller Kliniken überwacht. Sollte es tatsächlich zu Störungen kommen, wird der jeweils Diensthabende umgehend und direkt informiert.

Sicherheit erhöht

Die Kompressorenräume wurden gut zugänglich gestaltet, sodass eine optimale Wartung möglich ist. Alle Räume sind mit einem redundant optimierten Lüftungssystem ausgestattet, welches selbst bei Ausfall einer Lüftungsanlage den Kompressorbetrieb noch eine Zeit lang weiter ermöglicht. Obwohl heute weniger Kompressoren als früher im Einsatz sind, hat sich die Betriebssicherheit der Versorgung erhöht und liegt damit weit über den Anforderungen der N ISO 7396-1:2014-06 und der Pharmacopoea. Dafür ausschlaggebend sind der Rohrleitungsverbund zwischen den einzelnen Kliniken, sowie die übergeordnete Steuerung, die das System managt.

Bessere Auslastung

Der Erfolg der Neukonzeption ist heute deutlich nachweisbar und sichtbar. Die Anlagen laufen mit einer Auslastung von 98 Prozent. Damit werden der Teillastbetrieb und die dadurch anfallenden Energieverluste minimiert.
Das Beispiel des Universitätsklinikums Erlangen zeigt, dass sich auch Systeme, die in großem Bereich über eine Stadt auf mehrere Liegenschaften verteilt sind, wirtschaftlich zusammenschließen und koordinieren lassen. Das Universitätsklinikum hat mit seiner Druckluftanlage einen Standard erreicht, der derzeit nahezu nicht zu überbieten ist.

Diese Art der Handhabung von Druckluftversorgung lässt sich ohne Weiteres auf andere städtische Einrichtungen mit ähnlichen Strukturen und Verbräuchen oder aber auch auf Unternehmen mit auseinanderliegenden Betriebsteilen übertragen.

Gerade bei Erweiterungsbauten wird eher selten darüber nachgedacht, die Druckluftversorgungen miteinander zu vernetzen; stattdessen wird meist auf eine Einzellösung gesetzt. Jeder Betrieb hat dann mitunter eine eigene Druckluftstation, ohne dass eine Gesamtlösung geprüft wurde. Solche Hemmnisse lassen sich jedoch relativ einfach überwinden und eine Vernetzung würde oft deutliche Einsparungen erzielen.

Bildergalerie

  • Redundant: Dank eines ausgeklügelten Verteilsystems lässt sich jeder Abschnitt im Störfall individuell abschalten, während ein anderer Bereich sofort die Versorgung übernimmt.

    Redundant: Dank eines ausgeklügelten Verteilsystems lässt sich jeder Abschnitt im Störfall individuell abschalten, während ein anderer Bereich sofort die Versorgung übernimmt.

    Bild: Kaeser

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