Bernhard Müller, Sick, im Interview „Welchen Mehrwert die Daten konkret bieten, ist häufig unklar“

Bernhard Müller kümmert sich in der Geschäftsleitung des Sensorherstellers Sick um das Thema Industrie 4.0.

Bild: Sick
30.06.2017

Smarte Sensoren sind eine der Grundlagen für Industrie 4.0. Sie sammeln Daten, um die Anlagen und Fabriken intelligenter zu machen. Wir sprachen mit Bernhard Müller (62), Mitglied der Geschäftsleitung des Sensorherstellers Sick, über den aktuellen Stand der Technik und Probleme bei der Umsetzung von Industrie 4.0.

E&E:

Sind für Industrie 4.0 spezielle Sensoren notwendig?

Bernhard Müller:

Auf jeden Fall. Es hängt aber davon ab, wofür ein Sensor verwendet wird. Nicht jeder Sensor, der in Zukunft in der Industrie zum Einsatz kommt, muss speziell für Industrie 4.0 angepasst sein. Es wird auch weiterhin zum Beispiel Lichtschranken oder magnetische Schalter geben, die nur ihre normalen Funktionen erfüllen und nicht mit der Cloud oder einem Datensystem in Verbindung stehen. Umgekehrt benötigt das Datensystem für Industrie 4.0 aber Informationen von Sensoren. Dafür sind Modelle notwendig, die diese Daten liefern können. Sie unterscheiden sich technisch von herkömmlichen Varianten.

Worin genau besteht der Unterschied?

Ein Sensor für Industrie 4.0 kommuniziert direkt mit der Datenwelt. Er kann also die nötigen Kommunikationsprotokolle für die Verbindung zu einem übergreifenden Datensystem verwenden. Und damit meine ich keine SPS. Die dafür genutzten Protokolle sind zum Beispiel OPC UA, MQTT oder PPMP, also kein normales Ethernet.

Das ist aber nicht das Einzige, worin sie sich unterscheiden.

Nein, natürlich nicht. Der Sensor muss auch Informationen zur Verfügung stellen, die für das Datensystem relevant sind. Nehmen wir die bereits angesprochene Lichtschranke. Normal zeigt sie nur an, ob ein Objekt vorhanden ist oder nicht. Damit sie auch bei starkem Sonneneinfall funktioniert und nicht grundlos auslöst, sammelt sie aber noch weitere Daten, wie etwa die Temperatur und die Stärke des Umgebungslichts. Diese Daten sind natürlich ein Mehrwert für die Datenwelt. Der große Unterschied zum normalen Sensor ist nun, dass er diese Informationen auch weitergibt. Dazu kann man entweder zusätzliche Messfunktionen in den Sensor integrieren oder Sensornetzwerke aufbauen, die die Daten dann zusammensetzen.

Welche Kommunikationsprotokolle sind besonders für Industrie-4.0-Sensoren geeignet?

Da scheiden sich ganz klar die Geister. Jeder der großen Datenverwaltungsdienstleister hat darauf eine andere Antwort. Die Protokolle haben verschiedene Stärken und Schwächen. OPC UA ist relativ komplex, bietet aber viele Funktionen. MQTT ist deutlich einfacher, aber besitzt eben auch weniger Funktionalität. PPMP lässt sich unkompliziert und schnell implementieren, umfasst aber beispielsweise keine Securityfunktionen, wie sie bei OPC UA vorhanden sind. Jedes der großen Daten verarbeitenden Unternehmen hat andere Prioritäten und bevorzugt deshalb ein anderes Protokoll. SAP verwendet am liebsten OPC UA, IBM lieber MQTT. Sick möchte unabhängig bleiben. Deshalb integrieren wir alle relevanten Protokolle.

Wie sieht es mit drahtloser Kommunikation aus?

Drahtlose Kommunikation ist gerade sehr im Trend. Auch bei Sensoren gibt es eine Tendenz dazu. Wir sind da aber noch etwas zurückhaltend. In Industrieanlagen ist drahtlose Kommunikation schwieriger zu integrieren als etwa bei Lampen in Wohnzimmern. Es gibt zwar viele Technologien, wie zum Beispiel Bluetooth, aber unserer Erfahrung nach ist keine davon richtig geeignet für die Industrie. Sie gewährleisten nicht genügend Datensicherheit und sind nicht konstant genug. In einer Fabrik müssen die Maschinen einfach immer funktionieren. Da darf nichts ausfallen, weil die Kommunikation nicht richtig arbeitet. Die meisten Sensoren werden außerdem per Kabel mit Strom versorgt. Ein Kabel ist somit schon vorhanden. Da benötigt man keinen Funk.

Wie wichtig ist eine direkte Verbindung der Sensoren mit einer Cloud?

Die Anbindung eines Sensors direkt an die Datenwelt ist wie gesagt eine der Voraussetzungen für Industrie 4.0. Ein Sensor der nicht mit ihr kommunizieren kann, ist kein Industrie-4.0-Sensor. Das schließt natürlich auch die Verbindung zu einer Cloud mit ein. Nur wenn Sensoren die erfassten Daten auch an sie schicken können, sind Mehrwertdienste, wie zum Beispiel Predictive Maintenance, möglich.

Können das Ihre Sensoren bereits?

Wir haben bereits solche Sensoren entwickelt. Auf der Hannover Messe (HMI) war das anhand einer Produktionslinie zu sehen. Die verwendeten Sensoren übertragen die gesammelten Informationen aus der Linie direkt in die Cloud. Neben den normalen Sensordaten liefern sie auch zusätzliche Informationen über die Effizienz und Verfügbarkeit der Maschine.

Welche Schwierigkeiten gibt es dabei?

Technisch ist das kein Problem mehr. Zumindest wenn man auf Leitungen für die Übertragung zurückgreifen kann. Bei drahtloser Kommunikation sieht das noch anders aus. Das Hauptproblem sehe ich auf der Applikationsseite und nicht bei der Technik. Predictive Maintenance kennt jeder. Aber darüber hinaus ist oft nicht klar, wofür Daten eigentlich gesammelt werden, wozu also Industrie 4.0 eingeführt werden soll.

Es fehlen also vor allem Ideen, welcher Nutzen sich aus den Daten ergibt?

Ja, da befindet sich viel noch in der Entwicklung. Wir arbeiten zur Zeit gemeinsam mit einigen Firmen daran, aus den Daten zusätzlichen Mehrwert zu generieren.

Neben Ihrer Remote-Service-Plattform für Predic- tive Maintenance sollen also weitere Plattformen und Geschäftsmodell entstehen?

Wir machen uns dazu natürlich Gedanken. Ich glaube es gibt keine Firma, die das nicht tut. Wenn man das versäumt, hat man in Zukunft ein Problem.

Was ist konkret geplant?

Gezeigt haben wir auf der HMI Sensoren, deren Funktion sich adaptiv ändern lässt. Was genau der Sensor misst oder erfasst kann somit je nach Einsatzgebiet angepasst werden. Umgesetzt wird das über Apps, die in den Sensor geladen werden und seine Funktion verändern. Das ist so ähnlich wie beim App-Store von Apple. Ein Beispiel ist der Sensor einer Kamera der Barcodes abliest. Soll er in Zukunft hingegen Autos unterscheiden, also erfassen ob er einen Bus, Lkw oder Pkw vor sich hat, kann man dafür einen neuen Funktionsblock herunterladen. Er kann dann allerdings keinen Barcode mehr lesen; außer es werden beiden Funktionen installiert. Das lässt sich natürlich beliebig weiterführen. Soll er etwa das Label von Batterien erkennen, braucht er nur eine weitere App. Wir nennen das App-Pool und App-Space. Der App-Pool ist praktisch der App-Shop und der App-Space der Ort, an dem die Funktion im Sensor hinterlegt wird. Auf der Messe haben wir das am Beispiel einer Kamera vorgeführt. In sie kann die Steuerung eines Roboters hinein geladen werden. Der Roboter bekommt seine Anweisungen dann direkt von der Kamera. Sie übernimmt somit eine Rolle die eigentlich nicht ihre Kernaufgabe ist.

Was ist der Vorteil davon?

Wenn man das weiterdenkt und alle Sensoren intelligent sind, dann ist keine eigene Steuerung für das Gesamtsystem mehr nötig. Das übernehmen dann die Sensoren. Sie stimmen sich untereinander und mit den anderen Komponenten einer Anlage ab und steuern sie. Ich habe einmal gehört, die SPS stecke in Zukunft im Sensor. Das stimmt aber nur bedingt; nur ein Teil davon steckt in jedem Sensor. Sie wird dezentral

Was verbessert sich dadurch konkret?

Die Flexibilität erhöht sich. Um eine Anlage zurzeit umzustellen, muss die SPS neu programmiert werden. Das umfasst mehrere Ebenen, vom Leitsystem bis zum eigentlichen Sensor. Diese Zwischen- ebenen fallen in Zukunft weg; man kann die Funktion des Sensors direkt verändern. Dadurch lassen sich Anlagen einfacher anpassen.

Müssen Sensoren veränderbar sein, damit sie für Industrie 4.0 geeignet sind?

Absolut. Damit ist aber nicht die Parametrierung des Sensors gemeint, sondern seine Funktion.

Software für Sensoren wird immer wichtiger. Werden Sensorunternehmen in Zukunft Softwareunternehmen oder sind sie es bereits?

Ja und nein. Software wird in der Tat immer wichtiger. Es ergibt aber keinen Sinn nur Software zu produzieren. Ohne den Sensor bringt die Software nichts. Es geht auch in Zukunft darum, gute Sensoren zu haben. Sick wird deshalb weiterhin Sensoren entwickeln und nicht nur reine Software herstellen. Wir müssen aber natürlich immer mehr Software in unsere Sensoren implementieren. Schauen wir uns zum Beispiel Auswertungssoftware an. Wir bieten Analytics-Softwarepakete an, zurzeit hauptsächlich für den Logistik-Bereich. Ohne diese Software funktionieren diese Anlagen nicht - ohne die Hardware aber auch nicht.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel