Eine weltweite Energiewende hin zu 100% erneuerbarer Stromversorgung ist nicht mehr nur eine reine Zukunftsvision, sondern greifbare Realität - zu diesem Schluss kommt zumindest eine neue Studie der Lappeenranta University of Technology (LUT) in Zusammenarbeit mit der Energy Watch Group (EWG). Die EWG bezeichnet sich selbst als ein unabhängiges internationales Non-Profit-Netzwerk aus Wissenschaftlern und Parlamentariern, das sich der Erforschung erneuerbarer Energien widmet. Präsentiert wurde die Studie am 8. November 2017 während des Global Renewable Energy Solution Showcase Events (GRESS) im Rahmen der Klimakonferenz der Vereinten Nationen COP23 in Bonn.
„Eine komplette Dekarbonisierung des Elektrizitätssektors bis zum Jahr 2050 ist umsetzbar und dabei kostengünstiger als das heutige Stromsystem. Die Energiewende ist nicht länger eine Frage von technologischer Umsetzbarkeit oder wirtschaftlicher Rentabilität, sondern eine Frage des politischen Willens“ so Christian Breyer, Hauptautor der Studie, LUT-Professor für Solarwirtschaft und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Energy Watch Group.
Empfehlung für zukünftige Investitionen
„Es gibt keinen Grund, auch nur einen weiteren Dollar in fossile oder nukleare Energiegewinnung zu investieren“ sagt Energy Watch Group Präsident Hans-Josef Fell. „Erneuerbare Energie bietet eine kosteneffiziente Stromversorgung. Alle Investitionspläne in Stromerzeugung mit Kohle, Kernkraft, Erdgas oder Erdöl müssen eingestellt werden und sollten umgelenkt werden in die Bereiche erneuerbarer Energie und die dafür notwendige Infrastruktur. Alles andere würde nur unnötige Kosten bedeuten und die Klimaerwärmung weiter verschlimmern.“
Erste Kritik an der Studie äußerte Umweltökonom Markus Frondel vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. So sagte Frondel dem Tagesspiegel, dass er Prognosen bis zum Jahr 2050 für sehr gewagt und das Szenario für sehr unwahrscheinlich halte. Frondel kritisierte bereits in der Vergangenheit mehrfach die deutsche Klimapolitik wie z.B. das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder die Solarförderung.
Schon im Jahr 2012 untersuchte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, ob eine zu 100% auf erneuerbaren Energien basierende Energieversorgung Deutschlands ohne Importe von Energie umsetzbar wäre. Die Forscher stellten fest, dass dies unter der Voraussetzung erheblicher technischer Verbesserungen und Weiterentwicklung technisch möglich wäre und die Gesamtkosten dafür das Maß der heutigen Energiekosten nicht übersteigen würden. Zum Vergleich: Laut Zahlen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie betrug der Anteil erneuerbarer Energien an der deutschen Bruttostromerzeugung im Jahr 2016 29%.
Die Schlüsselerkenntnisse der Studie:
Erneuerbare Energien und die Technologien dahinter, inklusive Stromspeicherungssysteme, sind in der Lage Strom effizient und sicher zu erzeugen und damit den weltweiten Energiebedarf bis 2050 zu decken. Es wird prognostiziert, dass die Weltbevölkerung von 7,3 Mrd. auf 9,7 Mrd. Menschen anwächst. Daher wird auch der weltweite Energiebedarf im Energiesektor von 24.310 TWh im Jahr 2015 auf ungefähr 48.800 TWh im Jahr 2050 ansteigen.
Die durchschnittlichen Stromkosten (LCOE) für 100% erneuerbare Energien belaufen sich auf 52 €/MWh im Jahr 2050 (diese beinhalten Kosten für Abregelungen, Speicher- und Netzkosten), während es im Jahr 2015 noch 70 €/MWh waren.
Aufgrund von stark fallenden Kosten werden Photovoltaik und Batteriespeicherung die wichtigsten Pfeiler des erneuerbaren Energiesystems sein. Photovoltaik wird 69%, Windenergie 18%, Wasserkraft 8% und Bioenergie 2% des globalen Strommix im Jahr 2050 ausmachen.
Bis 2030 wird Windenergie 32% des Strombedarfs weltweit decken. Jedoch wird nach 2030 Photovoltaik wettbewerbsfähiger. Daher steigt der prozentuale Anteil von Photovoltaik im globalen Stromsektor von 37% im Jahr 2030 auf 69% im Jahr 2050.
Batterien stellen die Schlüsseltechnologie für Photovoltaik dar. 31% des globalen Strombedarfs im Jahr 2050 wird von Speichern abgedeckt, wovon wiederum 95% durch Batteriespeicher bereitgestellt wird. Batteriespeicher werden vor allem die täglichen Schwankungen ausgleichen, während Gas, aus erneuerbaren Energien erzeugt, die saisonale Speicherung decken wird.
Weltweit werden sich die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren, von ungefähr 11 GtCO2eq im Jahr 2015 hin zur emissionsfreien Energiegewinnung bis 2050 oder sogar früher, während die durchschnittlichen Stromkosten im Stromversorgungssystem sinken.
Die weltweite Energiewende hin zu 100% erneuerbaren Energien schafft 36 Mio. Arbeitsplätze bis 2050, im Vergleich zu 19 Mio. Arbeitsplätzen im Stromsektor im Jahr 2015.
Der Gesamtverlust eines 100% erneuerbaren Energiesystems beläuft sich auf rund 26% des gesamten Endenergiebedarfs. Im Vergleich dazu weist das aktuelle Stromsystem einen Verlust von rund 58% der Primärenergie auf.
Die verwendete Modellierung, entwickelt von der LUT, berechnet den kostenoptimierten Mix von Technologien auf Grundlage von lokal verfügbaren erneuerbaren Energieressourcen, wobei die Welt in 145 Regionen eingeteilt ist. Demnach wird ein kosteneffizienterer Pfad für eine Energieversorgung in jeder der 145 Regionen berechnet auf Grundlage einer stündlichen Auflösung für ein gesamtes Jahr. Das Szenario der weltweiten Energiewende wird in Fünf-Jahres-Abschnitten für den Zeitraum von 2015 bis 2050 berechnet. Die Ergebnisse werden dann in neun Hauptregionen der Welt zusammengefasst, bestehend aus: Europa, Eurasien, Mittlerer Osten und Nordafrika, Sub-Sahara Afrika, Südasien, Nordost Asien, Südost Asien, Nordamerika und Südamerika.