Patrick Olivan Paradigmenwechsel DC: Wer macht den ersten Schritt?

Dr. Patrick  Olivan  ist als Head of Business Development für das Lösungsgeschäft bei Lapp in Stuttgart tätig. Ursprünglich hatte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart studiert und im Innovationsmanagement promoviert.

Bild: Lapp
23.10.2023

Ist Wechselstrom ein Relikt des ausgehenden 19. Jahrhunderts? In der Industrie jedenfalls hat Gleichstrom erhebliche Vorteile – ein Paradigmenwechsel steht an! Der Aufwand ist zwar groß, aber Experimente zeigen, dass er sich lohnen würde. Wie und wo man damit anfangen könnte, haben wir uns überlegt. 

Dass wir heute vor allem Wechselstrom haben, ist historisch begründet. Als Tesla und Westinghaus 1893 den Auftrag bekommen haben, für die Expo die Licht-Ausstellung zu machen, feierte damit der Wechselstrom seinen Durchbruch und setzte sich gegen Edison mit seinem Gleichstrom durch. Seit damals ist der Wechselstrom bei uns das Standardsystem. Aber wie ist das heute? Ist der Standard vielleicht überholt?

Heute haben wir neue Technologien, insbesondere die in den 1980er-Jahren erfundene Leistungselektronik, die in der Lage ist, auch Strom auf Gleichstrombasis zu transformieren – dafür braucht es also keinen Wechselstrom mehr. Und es gibt weitere gute Gründe, warum wir komplett auf Gleichstrom umsteigen, also einen Paradigmenwechsel einleiten sollten. Denn wir haben nicht nur in den Haushalten mittlerweile immer mehr Geräte, die mit Gleichstrom laufen; die ganze Halbleitertechnik ist auf Gleichstrombasis, ebenso funktioniert die Elektromobilität mit Gleichstrom und moderne Frequenzumrichter von Motoren können Gleichstrom nutzen. Zugespitzt gesagt: Eigentlich sind es nur noch unsere Stromnetze, die allein den Wechselstrom brauchen.

Und das ist auch unter einem anderen Aspekt nicht ideal: Denn wir generieren zunehmend mehr Strom aus erneuerbaren Energien, und die wiederum generieren Gleichstrom. Aber weil unsere Netze in Wechselstrom sind, wandeln wir den aus erneuerbaren Energien erzeugten Gleichstrom wieder auf Wechselstrom, der dann, wenn man den Faden weiterspinnt, für die Verbraucher, wie zum Beispiel für Leistungselektronik, wiederum zu Gleichstrom transformiert werden muss. Und dabei nehmen wir bei jedem einzelnen Transformationsprozess Wandlungsverluste in Kauf – nach einer Untersuchung des Fraunhofer Institus belaufen sich die sogar auf rund 30 Prozent. Das ist enorm. Vermeiden ließen sich solche Verluste, wenn man von vornherein alles auf Gleichstrom setzt – so könnte man einiges an elektrischem Aufwand einsparen.

Da stellt sich aber die Frage: Wer macht den ersten Schritt? Sollten wir erst unsere Netze umstellen oder sollten wir erst die Technologie dafür in all unseren Komponenten, Anlagen und so weiter umgesetzt haben? Ein klassisches Henne-Ei-Problem, das uns und viele andere Unternehmen umtreibt. Aus diesem Grund ist aus DC-Industrie2 heraus die Open Direct Current Alliance gegründet worden, die sich der anwendungsübergreifenden Etablierung von Gleichstromtechnik verschrieben hat.

Die grundsätzliche Herausforderung jedoch bleibt erst einmal bestehen: Auf beiden Seiten wären die notwendigen Aufwände so groß, dass jeder davor zurückschrecken würde, den Anfang zu machen. Aber anfangen müssen wir, und einen ersten Schritt in die Richtung haben wir bereits unternommen: Wir haben untersucht, wie es mit der Übertragungstechnik, mit den Kabeln und Leitungen aussähe, würden wir Gleichstromnetze verwenden. Dabei hat sich gezeigt, dass aufgrund der geringeren Feldstärken, die kleiner als die Durchschlagsfeldstärke von Luft sind, die meisten polymeren Isolierstoffe von AC- auch gleichermaßen für DC-Anwendungen eingesetzt werden können. Unter dem Einfluss von Feuchtigkeit und Wasser können aber bei einigen PVC- und halogenfreien Mischungen unter DC Ausfälle entstehen. Das ist auf das gleichzeitige Einwirken von Wasser und elektrischem Feld auf die Füll- und Zusatzstoffe zurückzuführen. Unsere gesammelten Erkenntnisse spiegeln sich bei Lapp natürlich auch in unserem eigenen Portfolio, dem weltweit ersten Gleichstromportfolio wider.

In jedem Fall gibt es im industriellen Kontext Zukunft für den Gleichstrom, der Gewinn an Effizienz ist hoch und der Aufwand lohnt sich!

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