Lange hat man auf diesen Moment gehofft: Seit Jahren wurde weltweit nach einem ganz bestimmten Zustand von Thorium-Atomkernen gesucht, der großartige technische Anwendungen verspricht. Man könnte damit etwa eine Atomkern-Uhr bauen, die präzisere Zeitmessungen ermöglicht als die besten heute verfügbaren Atomuhren.
Aber auch völlig neue Grundsatzfragen der Physik beantworten – zum Beispiel die Frage, ob die Naturkonstanten tatsächlich konstant sind oder sich in Raum und Zeit verändern. Nun wurde diese Hoffnung tatsächlich wahr: Der lang gesuchte Thorium-Übergang ist gefunden, seine Energie ist nun exakt bekannt.
Quantenzustände umschalten
Erstmals gelang es, einen Atomkern gezielt mit einem Laser in einen Zustand höherer Energie zu versetzen und dann seine Rückkehr in den ursprünglichen Zustand genau zu verfolgen. Damit lassen sich zwei Bereiche der Physik verbinden, die bisher kaum etwas miteinander zu tun hatten: Die klassische Quantenphysik und die Kernphysik.
Entscheidend dafür war die Entwicklung spezieller thoriumhaltiger Kristalle. Ein Forschungsteam um Prof. Thorsten Schumm von der TU Wien publizierte diesen Erfolg nun gemeinsam mit einem Team der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig im Fachjournal „Physical Review Letters“.
Atome oder Moleküle mit Lasern zu manipulieren ist heute ganz alltäglich: Wenn die Wellenlänge des Lasers exakt richtig gewählt ist, kann man Atome oder Moleküle von einem Zustand in einen anderen wechseln lassen. Dadurch kann man die Energien von Atomen oder Molekülen sehr exakt vermessen.
Viele Präzisionsmesstechniken beruhen genau darauf, etwa unsere heutigen Atomuhren, aber auch chemische Analysemethoden. Auch in Quantencomputern werden oft Laser verwendet, um Information in Atomen oder Molekülen zu speichern. Unmöglich schien es aber lange Zeit, diese Techniken auf Atomkerne anzuwenden.
Die Nadel im Heuhaufen
„Auch Atomkerne können unterschiedliche Quantenzustände annehmen. Doch um einen Atomkern von einem Zustand zum anderen wechseln zu lassen, ist normalerweise viel mehr Energie nötig - mindestens das Tausendfache der Energien, mit denen wir es bei Elektronen im Atom oder im Molekül zu tun haben“, sagt Thorsten Schumm. „Daher lassen sich Atomkerne normalerweise mit Lasern nicht manipulieren, die Energie der Photonen reicht dafür einfach nicht aus.“
Das ist bedauerlich, denn eigentlich sind Atomkerne die perfekten Quantenobjekte für Präzisionsmessungen: Sie sind viel kleiner als Atome und Moleküle und sind daher viel weniger anfällig für Störungen von außen, etwa durch elektromagnetische Felder. Prinzipiell würden sie daher Messungen mit bisher unerreichter Genauigkeit erlauben.
Schon seit den 1970er-Jahren wurde spekuliert, dass es einen speziellen Atomkern geben könnte, der sich im Gegensatz zu anderen Kernen vielleicht doch mit einem Laser manipulieren lässt, nämlich Thorium-229. Dieser Kern weist zwei sehr eng benachbarte Energiezustände auf - so eng benachbart, dass ein Laser im Prinzip ausreichen sollte, um den Zustand des Atomkerns zu verändern.
Lange Zeit gab es aber nur indirekte Hinweise auf die Existenz dieses Übergangs. „Das Problem ist, dass man die Energie des Übergangs extrem genau kennen muss, um den Übergang mit einem Laserstrahl herbeiführen zu können“, sagt Thorsten Schumm.
„Wenn man auf ein Elektronenvolt genau weiß, bei welcher Energie sich dieser Übergang befindet, dann nützt das wenig, wenn man ihn auf ein Millionstel Elektronenvolt genau treffen muss, um ihn nachzuweisen.“ Es ist wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen - oder wie der Versuch, eine kleine Schatzkiste zu finden, die auf einer kilometergroßen Insel vergraben ist.
Der Trick mit dem Kristall
Manche Forschungsgruppen versuchten, Thorium-Kerne zu untersuchen, indem man sie einzeln in elektromagnetischen Fallen festhielt. Thorsten Schumm wählte mit seinem Team aber eine ganz andere Technik. „Wir entwickelten Kristalle, in denen Thorium-Atome in großer Anzahl gezielt eingebaut werden“, erklärt Fabian Schaden, der die Kristalle in Wien entwickelt und gemeinsam mit dem Team der PTB vermessen hat.
„Das ist zwar technisch recht aufwändig, hat aber den Vorteil, dass wir auf diese Weise nicht nur einzelne Thorium-Kerne studieren, sondern rund zehn hoch siebzehn Thorium-Kerne gleichzeitig mit dem Laser treffen können - etwa millionenfach mehr als es Sterne in unserer Galaxie gibt.“ Durch die hohe Anzahl der Thorium-Kerne wird der Effekt verstärkt, die nötige Messdauer wird verkürzt, die Wahrscheinlichkeit, den gesuchte Energie-Übergang tatsächlich zu finden, wird größer.
Am 21. November 2023 war es dann tatsächlich so weit: Die Energie des gesuchten Thorium-Übergangs wurde exakt getroffen, die Thorium-Kerne lieferten zum ersten Mal ein klares Signal: Der Laserstrahl hatte ihren Zustand tatsächlich gezielt umgeschaltet. Nach sorgfältiger Überprüfung und Auswertung der Daten wurde das Ergebnis nun veröffentlicht.
„Für uns geht damit ein langjähriger Traum in Erfüllung“, sagt Thorsten Schumm. Seit 2009 hatte Schumm seine Forschung ganz auf die Suche nach dem Thorium-Übergang ausgerichtet, immer wieder konnte seine Gruppe wie auch konkurrierende Teams aus der ganzen Welt in den letzten Jahren wichtige Teilerfolge erzielen. „Wir freuen uns natürlich sehr, dass wir es nun sind, die den entscheidenden Durchbruch präsentieren können: Die erste gezielte Laseranregung eines Atomkerns“, sagt Schumm.
Der Traum von der Atomkern-Uhr
Damit beginnt der nächste spannende Teil der Arbeit: Nachdem nun bekannt ist, wie man den Thorium-Zustand anregen kann, lässt sich diese Technik für Präzisionsmessungen nutzen. „Von Anfang an war der Bau eine Atomkern-Uhr ein wichtiges Fernziel“, sagt Thorsten Schumm.
„Ähnlich wie eine Pendeluhr das Schwingen des Pendels als Zeitgeber nutzt, könnte man die Schwingung des Lichts, das den Thorium-Übergang anregt, als Zeitgeber für eine neuartige Uhr nutzen, die noch einmal deutlich genauer wäre als die besten Atomuhren, die es heute gibt.“
Doch nicht nur Zeit, auch viele andere physikalische Größen könnte man auf diese Weise viel präziser messen als bisher. Man könnte etwa das Gravitationsfeld der Erde so exakt analysieren, dass sich daraus Hinweise auf Bodenschätze oder Erdbeben ergeben könnten.
Ebenso könnte die Messmethode auch verwenden, um ganz fundamentalen Rätseln der Physik auf die Spur zu kommen: Sind die Naturkonstanten tatsächlich konstant? Oder lassen sich vielleicht im Lauf der Zeit winzige Änderungen messen?
„Unsere Messmethode ist erst der Anfang“, ist Thorsten Schumm zuversichtlich. „Welche Ergebnisse man damit erzielen wird, lässt sich heute noch gar nicht abschätzen. Spannend wird es ganz sicher.“