Nebel im norddeutschen Tiefland oder Hänge in den Weinbergen im Trentino fordern autonome Helfer in der Landwirtschaft auf unterschiedliche Weise heraus. Die Fragen, die beantwortet werden müssen, damit die Technik für die jeweiligen Anwendungen zum Einsatz kommen kann, werden in Deutschland, Italien und Frankreich fortan in sogenannten „Test and Experimentation Facilities for the Agri-Food Domain“ bearbeitet. Mit der europaweiten Förderinitiative Agrifoodtef stellen die Europäische Union (EU) und beteiligte Mitgliedsländer führenden Institutionen in den nächsten fünf Jahren bis zu 50 Millionen Euro zur Verfügung, um diese zu betreiben. Neben den drei Ländern mit einer Finanzierung von je bis zu 10 Millionen Euro sind Österreich, Polen, Schweden und Belgien mit einem Fördervolumen von jeweils bis zu 5 Millionen Euro beteiligt. In Deutschland wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unterstützt.
Jedes der Länder widmet sich seit dem 1. Januar 2023 einem Thema aus Landwirtschaft und Technologie. In dem Rahmen bauen sie die Infrastruktur auf, die man bei der Entwicklung von funktionstüchtigen Produkten benötigt: Beratung, Datensätze, Software, Hardware und Maschinen, Referenzimplementierungen zur Zertifizierung sowie Versuchsräume in Instituten und auf landwirtschaftlichen Betrieben.
Aus dem Labor in die Natur
„Die Grundlagen sind weit erforscht. In Agrifoodtef betrachten wir den letzten wichtigen Schritt in der Transferkette der Technologie hin zu KI-basierter Agri-Food-Technik in der Praxis. Maschinen und deren Komponenten können bei uns in der echten Welt, auf dem Feld, mit allem, was dort auf sie einwirkt, getestet und gehärtet werden. Ich freue mich darüber, dass das DFKI einer der deutschen Partner in Agrifoodtef ist. Damit stärken wir die Entwicklung von digitalisierter Landtechnik und Agrarrobotik in ganz Europa“, erklärt Prof. Dr. Joachim Hertzberg, Leiter des Forschungsbereichs Planbasierte Robotersteuerung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) am Standort Niedersachsen.
Firmen und Forschende können mit eigenen Ideen auf die drei Osnabrücker Partner zukommen und die für sie passenden Umgebungen gestalten oder auf existierende Infrastruktur in Osnabrück zurückgreifen. Das DFKI und die Hochschule Osnabrück gehen in einem laufenden Projekt beispielsweise der Frage nach, wie autonome Landmaschinen ihre Umgebung zuverlässig erfassen können und haben dafür auf einem Gutshof ein Testfeld aufgebaut. Mit einem Schienensystem, einem beweglichen Schlitten und Testdummies im Maisfeld suchen Forschende nach der besten Sensorkonfiguration und testen die Güte von KI-Algorithmen. Ein solcher Aufbau kann als Benchmark dienen, um andere Systeme zu prüfen.
An der Hochschule ist das Agro-Technicum angesiedelt. Dabei handelt es sich um eine mehr als 500 Quadratmeter große Halle mit großem Laborbereich und angrenzendem Versuchsfeld. Innerhalb von zwei Minuten können dort Landmaschinen und Agrarroboter nach draußen gefahren werden, um sie unter realistischen Bedingungen zu testen. Auch Langzeit-Versuche autonomer Systeme sind möglich.
Prof. Dr. Stefan Stiene von der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik: „In den vergangenen Jahren sind in Osnabrück, auch durch die gute Kooperation zwischen Hochschule, DFKI, Agrotech Valley Forum und dem Land Niedersachsen, erstklassige Bedingungen für die Arbeit an intelligenten Agrarsystemen entstanden. Dass aus unserer Forschung reale Produkte entstehen, die dem Landwirt einen wirklichen Nutzen bringen, war immer ein großes Thema. Jetzt werden wir die vorhandene Infrastruktur erweitern und bekommen noch mehr Möglichkeiten, KI und Robotik in Anwendungen zu überführen.“
Sprungbrett für die Wirtschaft
„Der Bedarf in der Wirtschaft nach KI- und Robotik-Lösungen für die Land- und Ernährungswirtschaft sei groß“, erklärt Dr. Henning Müller. Er ist Vorsitzender des Agrotech Valley Forum, einem Netzwerk, in dem sich der Agrartechnik-Mittelstand der Region zwischen Oldenburg und Münster versammelt: „Hersteller von Agrarsystemtechnik möchten loslegen und können das bald. Wir haben bereits erste Anfragen zur Nutzung des Agrifoodtef-Angebots erhalten. Diese Unternehmen sind sehr erfolgreich, in dem was sie tun. Gleichzeitig brauchen sie auch künftig den Erfolg in den neuen Themenfeldern Sensorsysteme, KI und Robotik. Sie müssen Maschinen und Dienstleistungen anbieten, die nachhaltig, funktionssicher, effizient und kostengünstig sind.“
Ohne KI in den Produkten werde es in Zukunft immer schwieriger werden, die vielen Anforderungen zu erfüllen, die Kunden, Gesellschaft und Politik, zum Beispiel in Form des EU-Green-Deals, an sie stellen. „Auch in der Tierproduktion und der Lebensmittelverarbeitung wird das Interesse an KI steigen. Agrifoodtef erleichtert den notwendigen Zugriff auf Daten und Kompetenzen und kann so dazu beitragen, KI-gestützte Agrartechnik in Deutschland und Europa zu verbessern oder neue entstehen zu lassen“, so der Experte.