Als Mickael Perrin vor zwölf Jahren seine Laufbahn als Wissenschaftler begann, konnte er noch nicht wissen, dass er in einem Bereich forschte, der wenige Jahre später auf breites öffentliches Interesse stoßen würde: die Quantenelektronik. „Damals sprach man erst unter Physikern über das Potenzial von Quantentechnologien und Quantencomputern“, sagt der Forscher. „Heute gibt es dutzende Start-ups in diesem Bereich, zudem investieren Staaten und Unternehmen Milliarden für die Weiterentwicklung der Technologie, mit ersten Anwendungen in den Bereichen Computerwissenschaften, Kryptographie, Kommunikation und Sensoren.“
Perrin eröffnet mit seiner Forschung noch ein weiteres Anwendungsfeld: die Stromproduktion anhand von Quanteneffekten mit nahezu null Energieverlust. Dafür verbindet der 36-jährige Wissenschaftler zwei typischerweise getrennte Disziplinen der Physik: die Thermodynamik und die Quantenmechanik.
Im vergangenen Jahr wurde die Qualität von Perrins Forschung und deren Potenzial für zukünftige Anwendungen gleich doppelt gewürdigt: Er erhielt einen der unter Nachwuchsforschenden begehrten ERC Starting Grant sowie ein Eccellenza-Professorenstipendium des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Heute leitet er nicht nur eine neunköpfige Forschungsgruppe an der Empa, sondern ist zugleich Assistenzprofessor für Quantenelektronik an der ETH Zürich.
Zehntausendmal kleiner als Haare
Er sei nie ein Naturtalent in Mathematik gewesen, erzählt Perrin. „Was mich zur Physik getrieben hat, war vor allem die Neugier. Ich wollte besser verstehen, wie die Welt um uns herum funktioniert, und dafür bietet die Physik gute Werkzeuge.“ Nach Abschluss des Gymnasiums in Amsterdam, begann er 2005 an der nahen Delft University of Technology (TU Delft) ein Studium in angewandter Physik. Von Anfang an interessierte sich Perrin weniger für die Theorie, sondern für konkrete Anwendungen.
Im Labor von Herre van der Zant, einem Pionier auf dem Gebiet der Quantenelektronik, ließ sich der Student von dessen Faszination für das Engineering von winzigen Geräten im Mikro- und Nanometerbereich anstecken. Perrin erkannte bald die schier unendlichen Möglichkeiten im Gebiet der molekularen Elektronik: Denn je nach gewählten Molekülen und Materialen haben die Schaltungen komplett unterschiedliche Eigenschaften und können als Transistoren, Dioden oder Sensoren genutzt werden.
Während seiner Doktorarbeit verbrachte Perrin viel Zeit im sogenannten Clean room des Nanolabors der TU Delft; stets in einen weißen Ganzkörperüberzug gehüllt, um zu verhindern, dass die Miniaturelektronik durch Haare oder Hautpartikel verunreinigt wird. Im Clean room fand er die technologische Infrastruktur um Maschinen in der Größe von wenigen Nanometern (etwa 10.000-mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares) zu bauen.
„Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Strukturen sind, die man aufbauen will, desto größer und aufwendiger werden die Geräte, die man dafür benötigt“, erklärt Perrin. Zum Beispiel Geräte für die Lithografie, mit welcher komplexe Mini-Schaltungen auf Mikrochips aufgebracht werden. „Für Nanofabrikation und experimentelle Physik ist viel Kreativität und Ausdauer nötig, denn praktisch immer geht etwas schief“, erzählt Perrin. „Doch oft sind gerade die unbekannten und überraschenden Messresultate am Ende die spannendsten.“
Wundermaterial Graphen
Ein Jahr nach Abschluss seines Doktorates, erhielt Perrin eine Stelle an der Empa im Labor von Michel Calame, einem Experten für die Integration von Quantenmaterialien in Nanogeräte. Seither lebt der Französisch-Schweizerische Doppelbürger mit seiner Partnerin und zwei Töchtern in Dübendorf. „Die Schweiz war für mich aus mehreren Gründen eine gute Wahl“, sagt er. „Die Forschungsinfrastruktur ist einzigartig.“ An der Empa, der ETH Zürich und am IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon findet er sämtliche Bedingungen, um Nanostrukturen und die Messinstrumente für deren Prüfung herzustellen. „Zudem bin ich ein Outdoor-Typ. Ich liebe die Berge, gehe oft mit der Familie wandern und Skifahren.“ Perrin ist auch ein leidenschaftlicher Kletterer. Manchmal zieht er sich zum Klettern wochenlang in einsame Täler zurück, oft in Frankreich, dem Herkunftsland seiner Familie.
An der Empa fand der junge Forscher viel Freiheit, um weiter mit Nanomaterialen zu experimentieren. Bald gewann ein bestimmtes Material seine besondere Aufmerksamkeit: Nanobänder aus Graphen, einem Material aus Kohlenstoffatomen, das so dünn wie die einzelnen Atome ist. Solche Nanobänder werden an der Empa von der Gruppe um Roman Fasel in höchster Präzision produziert. Perrin konnte zeigen, dass diese Bänder einzigartige Eigenschaften besitzen und für eine Reihe von Quantentechnologien nutzbar sind.
Gleichzeitig begann sich der Forscher stärker für die Umwandlung von Wärme in elektrische Energie zu interessieren. 2018 wurde nämlich der Beweis erbracht, dass Quanteneffekte genutzt werden können, um Wärmeenergie effizient in Strom umzuwandeln. Das Problem bisher: Diese wünschenswerten physikalischen Eigenschaften treten nur bei sehr tiefen Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt (0 K; -237°C) auf. Das wiederum ist für potenzielle zukünftige Anwendungen, zum Beispiel in Smartphones oder Minisensoren, uninteressant.
Perrin hatte die Idee dieses Problem zu umgehen, indem er Graphen-Nanobänder einsetzt. Aufgrund deren spezifischen physikalischen Eigenschaften stört die Temperatur die Ausprägung der Quanteneffekte – und damit der gewünschten thermoelektrischen Effekte – weit weniger als bei anderen Materialien. Kürzlich konnte seine Gruppe an der Empa zeigen, dass die Quanteneffekte der Graphen-Nanobänder auch bei 250 K, also -23°C, noch weitgehend erhalten bleiben. Bald soll das System auch bei Raumtemperatur funktionieren.
Weniger Stromverbrauch dank Nanoröhrchen
Bis die Technologie aber dazu beiträgt, dass unsere Smartphones weniger Strom benötigen, gibt es noch zahlreiche Herausforderungen zu überwinden. Aufgrund der extremen Miniaturisierung sind immer wieder spezielle Komponenten nötig, damit die gebauten Systeme am Ende funktionieren. Kürzlich hat Perrin mit Kolleginnen und Kollegen aus China, England und der Schweiz gezeigt, wie Kohlenstoff-Nanoröhrchen mit einem Durchmesser von nur einem Nanometer als Elektroden in diese Systeme integriert werden können.
Doch bis solche filigranen und hochkomplexen Materialien in größerem Maßstab produziert und in Geräte eingebaut werden können, dauere es mindestens noch 15 Jahre, schätzt Perrin. „Mein Ziel ist es, die fundamentalen Grundlagen zur Anwendung dieser Technologie zu erarbeiten. Erst dann wird sich das Potenzial für einen praktischen Einsatz abschätzen lassen.“