Power-to-X- und größte Power-to-Gas-Anlage Energieeffizienz: Chemieindustrie setzt auf Erneuerbare Energien

Evonik und Siemens tüfteln an grüner Chemie: In einer Fermentation – hier im Labormaßstab – verwandeln spezielle Bakterien CO-haltige Gase durch Stoffwechselprozesse in wertvolle Chemikalien.

19.01.2018

Grüne Woche für die Chemieindustrie: Shell und ITM Power haben angekündigt, in der Raffinerie Rheinland mit der weltweit größten PEM-Wasserstoff-Elektrolyse-Anlage zu errichten. Und Siemens und Evonik forschen gemeinsam an Anlagen, die „grüne“ Chemie als Energiespeicher für Ökostrom produzieren sollen.

Als das EU-Parlament Ende 2017 verkündete, die Energieeffizienz in Europa weiter zu stärken, meldeten sich auch Industrieverbände zu Wort. Viele Industriezweige haben gewaltige Effizienzpotenziale, die es zu heben gilt. Als einen Vorreiter in Sachen Effizienz lobte der VCI in diesem Zusammenhang die chemische Industrie, die ihre Energieeffizienz seit 1990 verdoppelt habe.

Laut dem Mineralölwirtschaftsverband (MWV) könnten die deutschen Raffinerien beim Erreichen der Klimaziele 2050 eine entscheidende Rolle spielen. Einen Beweis dafür liefern die beiden in der vergangenen Woche angekündigten Vorhaben, die beide im Zusammenhang mit Power-to-X-Technologien stehen und damit auch der Energiebranche zugute kommen.

Weltgrößte Power-to-Gas-Anlage für deutsche Raffinerie

So kündigten Shell und ITM Power kündigten, in der Raffinerie Rheinland die weltweit größte PEM-Wasserstoff-Elektrolyse-Anlage zu errichten. Mit einer Kapazität von zehn Megawatt wird der Wasserstoff vor allem für die Verarbeitung von Produkten der Raffinerie genutzt. Die Technologie wird zugleich für einen möglichen Einsatz in anderen Sektoren getestet.

An der Umsetzung ist ein europäisches Konsortium aus Shell, ITM Power, Sinteff, Thinkstep und Element Energy beteiligt. Insgesamt Die Gesamtinvestition des Projekts, einschließlich der Integration in die Raffinerie, beläuft sich auf rund 20 Millionen Euro. Davon stellt die Europäische Fuel Cell Hydrogen Joint Undertaking zehn Millionen Euro zur Verfügung.

Inbetriebnahme bereits für 2020 geplant

Nach dem Projektstart beginnen die Experten nun mit dem detaillierten technischen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Ein Name für die Anlage ist bereits gefunden: Refhyne wird sie heißen und soll im Jahr 2020 ihren Betrieb aufnehmen. Es wird die erste großindustrielle Anwendung der Polymer-Elektrolyt-Membran-Technologie (PEM) sein.

Mit dieser Anlage wird es möglich sein, Wasserstoff aus Strom statt aus Erdgas zu gewinnen. Die geplante Anlage soll auch zur Stabilität des Stromnetzes beitragen und die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen erleichtern. Wird der Strom als grüner Wasserstoff mit erneuerbarer Elektrizität gewonnen, kann er laut Shell dazu beitragen, die CO2-Intensität des Raffinerie-Standorts zu reduzieren.

Wasserstoff aus Strom statt aus Erdgas

Die Rheinland Raffinerie benötigt jährlich rund 180.000 Tonnen Wasserstoff. Derzeit deckt diesen Bedarf vor allem Erdgas, das durch Dampfreformierung gewonnen wird. Die neue Anlage kann jährlich zusätzliche 1.300 Tonnen Wasserstoff produzieren, die vollständig in die Raffinerieprozesse integriert werden, beispielsweise für die Entschwefelung konventioneller Kraftstoffe.

Stellt sich die Anlage als erfolgreich heraus, könnte die am Standort Wesseling erprobte Technologie das künftige Energiesystem Europas mitentwickeln und dafür in der Raffinerie erweitert und in anderen Produktionsstätten eingesetzt werden. Dann wäre es möglich, auch Kunden außerhalb der Raffinerie mit Wasserstoff zu beliefern.

Spezialchemikalien aus CO2 und Erneuerbaren

Wasserstoff spielt auch in dem Projekt, das Evonik und Siemens angekündigt haben, eine Rolle. Allerdings ist das Gas dabei nur ein Zwischenschritt. Vordergründig wollen die Partner im Forschungsprojekt Rheticus CO2 mithilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen und Bakterien in Spezialchemikalien umwandeln. Hierzu arbeiten die beiden Unternehmen zusammen an Elektrolyse- und Fermentationsprozessen. Bis zum Jahr 2021 soll eine erste Versuchsanlage am Evonik-Standort im nordrhein-westfälischen Marl in Betrieb gehen, die Chemikalien wie Butanol oder Hexanol erzeugt – beides Ausgangsstoffe beispielsweise für Spezialkunststoffe oder Nahrungsergänzungsmittel.

Kapazitäten von bis zu 20.000 Tonnen pro Jahr

Im nächsten Schritt könnte eine Anlage mit einer Produktionskapazität von bis zu 20.000 Tonnen pro Jahr entstehen. Denkbar ist auch die Herstellung von anderen Spezialchemikalien oder Treibstoffen. Beteiligt sind rund 20 Wissenschaftler beider Unternehmen.

Mit der Plattform, die in dem Projekt entstehen soll, könnten chemische Produkte wesentlich günstiger und umweltfreundlicher als heute produziert werden. Auf Basis dieser Plattform können Betreiber ihre Anlagen künftig je nach Bedarf skalieren und sie flexibel an lokale Gegebenheiten anpassen. Sie könnten künftig überall dort installiert werden, wo CO2 vorhanden ist – etwa aus Kraftwerksabgasen oder Biogas.

Die neue Technologie vereint mehrere Vorteile. Mit ihr lassen sich nicht nur Chemikalien nachhaltig produzieren, sie dient zudem als Energiespeicher, kann auf Stromschwankungen reagieren und dazu beitragen, das Stromnetz zu stabilisieren.

Künstliche Photosynthese soll umgesetzt werden

Mit der Rheticus-Plattform wollen die Partner zeigen, dass künstliche Photosynthese machbar ist. Künstliche Photosynthese meint, dass mit einer Kombination von chemischen und biologischen Schritten CO2 und Wasser in Chemikalien umgewandelt werden – ähnlich wie es Pflanzen mithilfe von Chlorophyll und Enzymen tun, um Glukose zu synthetisieren. Da die Rheticus-Plattform das CO2 als Rohstoff verwendet trägt sie dazu bei, die Kohlendioxidbelastung der Atmosphäre zu reduzieren. So würde beispielsweise die Herstellung von einer Tonne Butanol drei Tonnen Kohlendioxid benötigen.

In die Forschungskooperation bringen Siemens und Evonik jeweils ihre Kernkompetenzen ein, um Power-to-X in die Anwendungen zu bringen. Siemens liefert die Elektrolysetechnik, mit der im ersten Schritt Kohlendioxid und Wasser mit Strom in Wasserstoff und Kohlenmonoxid (CO) umgewandelt werden. Evonik steuert das Fermentationsverfahren bei, also die Verwandlung CO-haltiger Gase zu Wertstoffen durch Stoffwechselprozesse mithilfe spezieller Mikroorganismen. Im Rheticus-Projekt werden beide Schritte – Elektrolyse und Fermentation – aus dem Labormaßstab in einer technischen Versuchsanlage zusammengeführt.

Evonik und Siemens sehen in der Rheticus-Plattform großes Potential für die Zukunft. Da sich die gewünschte Größe von Anlagen einfach verwirklichen ließe, machen der modulare Charakter und die Flexibilität hinsichtlich Standort, Rohstoffquellen und den hergestellten Produkten die neue Plattform insbesondere für die Spezialchemie attraktiv. Die Partner hoffen, dass auch andere Firmen die Plattform nutzen und mit eigenen Modulen zur Herstellung ihrer chemischen Produkte verknüpfen.

Bildergalerie

  • Die Elektrolyse dient dazu, Kohlendioxid mithilfe von Strom in Kohlenmonoxid umzuwandeln. Im zweiten Schritt werden aus dem CO über ein Fermentationsverfahren von Evonik Wertstoffe wie Butanol oder Hexanol erzeugt.

    Die Elektrolyse dient dazu, Kohlendioxid mithilfe von Strom in Kohlenmonoxid umzuwandeln. Im zweiten Schritt werden aus dem CO über ein Fermentationsverfahren von Evonik Wertstoffe wie Butanol oder Hexanol erzeugt.

    Bild: Siemens

  • Die Rheinland Raffinerie steht im Fokus eines Projekts, bei dem Shell und ITM Power die weltgrößte Power-to-Gas-Anlage errichten wollen.

    Die Rheinland Raffinerie steht im Fokus eines Projekts, bei dem Shell und ITM Power die weltgrößte Power-to-Gas-Anlage errichten wollen.

    Bild: Shell Deutschland Oil

  • Herzstück von Power-to-Gas: Elektrolyseur-Stapel für eine PEM-Anlage

    Herzstück von Power-to-Gas: Elektrolyseur-Stapel für eine PEM-Anlage

    Bild: ITM Power

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