Ob im klassischen Maschinen- und Anlagenbau, in der Medizintechnik, der Prozessautomation oder beim Bau und Betrieb kritischer Infrastrukturen: Die Zukunft gehört Anlagen, die nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 arbeiten. Dabei organisieren sich Maschinen in smarten Fabriken weitgehend selbst, Lieferketten stimmen sich automatisch ab und Vorprodukte liefern ihre kompletten Fertigungsinformationen selbst an die Maschinen, die daraus Produkte herstellen.
Per IIoT zur Zukunft der Industrie
Dazu muss sich die Produktion agil und dynamisch auf veränderte Anforderungen einstellen. Das macht eine Kommunikation aller Teile der Anlagenautomatisierung mit anderen Systemen im Unternehmen auf vielen Ebenen erforderlich. Im Zuge der Umsetzung des Industrial Internet of Things (IIoT) steigt die Anzahl eigenintelligenter Knoten auf der Feldebene in den Netzwerken rapide.
Zudem ist in industriellen Anwendungen an vielen Stellen Echtzeitfähigkeit für die starre Vertaktung von Bewegungsvorgängen erforderlich. Zeitkritische Anwendungen, etwa die Synchronisierung eines Roboters mit einem intelligenten Track-System, können Zykluszeiten bis in den Mikrosekundenbereich erfordern.
Babylonische Sprachverwirrung
Ethernet ermöglicht zwar die schnelle Übertragung großer Datenmengen, hat jedoch kein wirklich berechenbares Zeitverhalten und erfüllt somit diese Kriterien nicht. Daher entstand unter dem gemeinsamen Begriff Industrial Ethernet eine Fülle verschiedener – im Grunde proprietärer – Systeme, die vom Ethernet-Standard mehr oder weniger stark abweichen und nicht miteinander kompatibel sind.
„Unterschiedliche inkompatible Protokolle über Schnittstellen zu einem Gesamtnetzwerk zusammenzuschließen, ist immens aufwendig“, weiß Christoph Neumann, VP Technology beim Embedded-Computerhersteller Kontron. „Nur mit einem einheitlichen, echtzeitfähigen Netzwerk, das interoperabel ist und die Standards der IT mit den Standards der Industrie vereinheitlicht, wird die Umsetzung der Methoden von Industrie 4.0 realistisch.“
Herstellerübergreifende Kommunikation
Die Voraussetzung dafür ist ein offenes und zugleich echtzeitfähiges Kommunikationsprotokoll. Führende Hersteller von Automatisierungs- und Informationstechnik setzen hierbei auf die herstellerunabhängige Kommunikationslösung OPC UA over TSN. Die universelle Kommunikationsplattform ist dabei, sich als einziger, weltweit einheitlicher Echtzeit-Kommunikationsstandard zu etablieren.
Der Hintergrund: Mit Open Platform Communication Unified Architecture (OPC UA) nach IEC 62541 existiert bereits seit 2006 ein industrielles Kommunikationsprotokoll, mit dem sich Maschinendaten maschinenlesbar semantisch beschreiben lassen. Neben seiner Herstellerunabhängigkeit und inhärenten Security verdankt OPC UA seine hohe Popularität einem integrierten Vorstellungsmechanismus.
„Damit lassen sich neue und bis dahin unbekannte Geräte später ins Netzwerk bringen, ohne dies von vorn herein in Programm oder Konfiguration berücksichtigen zu müssen“, beschreibt Christoph Neumann dessen Nutzen. „Das macht Produktionsanlagen zukunftssicher, denn es reduziert erheblich den Aufwand für Umbauten und Modernisierungen.“
Allerdings verfügt OPC UA nicht über ein deterministisches Zeitverhalten, sodass es sich nicht für die Übertragung von Echtzeitdaten innerhalb synchronisierter Anlagenteile eignet. Für den Datenaustausch zwischen Steuerungen führte die OPC Foundation daher das schnelle Kommunikationsmodell Publisher-Subscriber (Pub/Sub) ein. Der kontinuierliche Versand, ohne zwischen einzelnen Nachrichten Antworten der Empfänger abzuwarten, bringt bereits eine erhebliche Beschleunigung der Kommunikation und eine Entlastung des Netzwerkes. Die besondere Fähigkeit zu einem deterministischen, harten Echtzeitverhalten jedoch entsteht durch dedizierte Nutzung des echtzeitfähigen innovativen Ethernet-Standards Time Sensitive Networking (TSN).
Das neue Ethernet
Time-Sensitive Networking (TSN) ist eine Erweiterung des Ethernet-Standards des IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) um ein ganzes Bündel an Normen, die das Übertragungsverhalten von Datenpaketen auf verschiedene Weise regeln und ihm dadurch Echtzeitfähigkeit verleihen.
Dazu verfügt TSN über die drei Kernfähigkeiten Zeitsynchronisation über eine einheitliche Zeitbasis, Disposition des Datenversandes (Traffic Scheduling) und automatisierte Systemkonfiguration. Letztlich ermöglicht erst die Kombination von OPC UA PubSub mit der Kommunikationstechnologie TSN das Realisieren echtzeitfähiger Anwendungen im industriellen Umfeld auf Basis allgemein verfügbarer Standards.
TSN, Turbo für Applikationen
„Die Erweiterung von OPC UA um TSN garantiert die deterministische Übertragung von Daten in großen konvergenten Netzwerken und kann die bisherige Trennung von Maschinen- und IT-Netzwerken auflösen“, sagt Cristoph Neumann. „Intelligente dezentrale Architekturen lassen sich damit genauso lösen wie schnelle zentrale Antriebskonzepte.“
Dazu tragen auch Performance-Steigerungen im Zuge der Neudefinition von Ethernet bei. Die Technologie ermöglicht Plug-and-produce-fähige Netzwerke mit mehreren 10.000 Knoten, die sich einfach administrieren und konfigurieren lassen. Dabei können die Netzwerkteilnehmer bis zu 18-mal schneller kommunizieren als mit allen bisherigen Protokollen. Das eröffnet unter anderem neue Möglichkeiten im Bereich hochsynchroner Antriebsapplikationen und Steuerungsaufgaben im Industrieumfeld.
Bereits heute Realität
Als einer der Vorreiter dieser Technologie hat Kontron auf der Messe SPS IPC Drives 2018 in Nürnberg ein Starterkit für TSN vorgestellt. Nach einem FPGA-Softwareupgrade unterstützt dieses nun auch neue Standards wie IEEE 802.1Qbu und 802.1CB für reduzierte Latenzzeiten und Jitter sowie redundante, fehlertolerante Netze. Auch der Open Source Stack nach open 62541 für OPC UA over TSN mit PubSub und das für das zentrale Management über CUC und CNC erforderliche netconf – Protokoll sind nun im Starterkit integriert.
Zusätzlich stattet das Unternehmen immer mehr Produkte im Standard mit der neuen TSN-Fähigkeit aus, so zum Beispiel COM Express-Module, 3HE VPX-Blades und 3,5 Zoll SBCs. Erleichtert wird das durch die Integration der TSN-Funktionalität in Halbleitern zahlreicher Prozessor-Hersteller, etwa der Intel-Core-Prozessoren der 11. Generation.
„Durch die vollständige Integration von OPC UA over TSN in unsere Hard- und Software erleichtern wir Anwendern das Realisieren konvergenter Ethernet-basierender Netzwerke, auf denen parallel zum regulären IT-Datenverkehr auch zeitsynchronisierte, deterministische Kommunikation abläuft“, ist Christoph Neumann überzeugt. „Damit wird echtes IIoT beziehungsweise Industrie 4.0 basierend auf allgemeingültigen Ethernet-Protokollstandards möglich.“