Individualisierte Vollwartungskonzepte Wind-Service: Standard ist nicht genug

Die Windenergiebranche ist seit über zehn Jahren einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige in Deutschland und Europa – und mit der Branche wachsen auch die Anforderungen an Wartung und Instandhaltung.

Bild: Frank Boutrup Schmidt
10.11.2016

Viele Betreiber von Windenergieanlagen setzen zunehmend das Thema Service auf ihre Agenda – insbesondere in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Anlagen. Die Vorgabe hierbei: Sie wollen einen Großteil der Risiken abgeben können, bei der Auswahl der Leistungen jedoch gleichzeitig ein entscheidendes Wort mitreden.

Die Windenergiebranche ist seit über zehn Jahren einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige in Deutschland und Europa – und mit der Branche wachsen auch die Anforderungen an Wartung und Instandhaltung. Laut Berechnungen soll das Volumen des europäischen Wind-Service-Marktes von 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2020 wachsen. Immer wichtiger werden in diesem Zusammenhang Themen wie die Digitalisierung und Smart Data, zum Beispiel im Rahmen der Fernwartung und -überwachung, und technikübergreifende Kompetenzen der Serviceanbieter.

Service als Investition in die Zukunft

Dieses vielversprechende Entwicklungspotenzial, aber auch der durch die Einführung des Ausschreibungsmodells immer intensiver werdende Wettbewerb veranlassen die Betreiber, sich mit der Service-Strategie für Neuanlagen auseinanderzusetzen. Diese gilt als Hebel, um Investitionen und Rückflüsse auch langfristig absichern zu können. Bei Neuanlagen setzen Versicherungen und Banken in der Regel ein Vollwartungskonzept voraus, um Deckungszusagen zu gewähren. Vollwartungsverträge sind also oftmals essentiell für das Zustandekommen von Projekten. Für bereits bestehende Anlagen laufen die bisherigen Service-Pakete aus. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, die Wirtschaftlichkeit der Anlage durch die richtige Servicelösung auch in der zweiten Lebenshälfte sicherzustellen. Eine weitere Notwendigkeit, den Service zukunftsfähig auszurichten, ergibt sich aus Veränderungen auf Betreiber-Seite: Immer mehr große, institutionelle Betreiber wie Stadtwerke, Investoren und unabhängige Stromerzeuger treten auf den Plan. Für diese Unternehmen spielen angepasste Serviceleistungen und -konzepte, die ihre individuellen Anforderungen erfüllen, eine wichtige Rolle. Dazu gehören auch Einsparungen bei den Prozess- und Transaktionskosten, zum Beispiel durch die Wahl nur eines Partners für verschiedene Technik oder die umliegende Infrastruktur. Aus diesen Gründen gewinnen Servicekonzepte neben den reinen Leistungsdaten der Anlagen bei der Auswahl des Technik-Partners massiv an Bedeutung.

Risikomanagement als Qualitätsmerkmal

Allerdings ist Vollwartung nicht gleich Vollwartung. Vielmehr gibt es erhebliche Unterschiede in Qualität und Umfang der Serviceleistung. Ein Thema, das hierbei immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist die Gefahrenabwehr für Mensch und Umwelt. Professionelle Anbieter gehen diesen Punkt aktiv mit eigenen Konzepten an: Im Vollwartungskonzept werden die spezifischen Gefahrensystem- und tätigkeitsbezogen erfasst, systematisch dokumentiert und hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials bewertet. Der möglichst störungsfreie Betrieb von Windenergieanlagen hängt aber nicht nur von einem zuverlässigen Service, sondern auch von technischen Verbesserungen ab. Entwicklungspotenziale liegen vor allem in der Turbinentechnik und in der Weiterentwicklung der Rotorblätter.

Vollwartungskonzepte für Einzelbetreiber

Die Anforderungen an die Wartung unterscheiden sich teilweise erheblich. Entscheidend sind sowohl Art als auch Unternehmensgröße des Betreibers. So wollen beispielsweise Konsortien und kleine Einzelbetreiber die anfallenden Kosten sicher planen können – Gleiches gilt für die Banken und Versicherer. Für die Banken als Finanzierer ist es im Sinne der Risikominimierung entscheidend, dass die Kosten über die erwartete Gesamtbetriebslaufzeit einer Anlage kalkulierbar bleiben. Die Versicherer setzen einen vollumfänglichen Service nicht voraus, ziehen ihn aber in der Regel anderen Vertragsleistungen vor. Außerdem achten sie darauf, dass Wartungen und Reparaturen an Windenergieanlagen nur von geschulten und zertifizierten Anbietern durchgeführt werden. Für Einzelbetreiber ist vor allem der geringe administrative Einsatz durch das Vollwartungskonzept von Vorteil. Dieser reduziert die Komplexität durch geringere Prozess- und Transaktionskosten. Insgesamt profitieren kleinere Unternehmen von weniger Netzabkopplungen durch langfristige Wartungspläne und präventive Wartungskonzepte.

Stadtwerke profitieren von Erfahrungsschatz

Einige große Betreiber, die selbst aus dem operativen Geschäft kommen, möchten Teile eines Wartungskonzeptes mit den eigenen Ressourcen selbst abbilden. Wenn diese Betreiber bis dahin eher Erfahrungen im Bereich der konventionellen Energieversorgung aufweisen, dann gilt es, die Expertise für die regenerativen Energien schrittweise an sie zu übertragen. Hierzu gehören neben der Wartung der Technik auch die Haftungsübernahme. Gerade in der schnelllebigen Windbranche muss eine bestmögliche Leistung der Anlage garantiert werden. Vollwartungsmodule müssen die Weiterentwicklung und Pflege der Anlage beinhalten. Verbesserte Produkte sollen die Verfügbarkeit erhöhen und die Erträge steigern. Um hier wirklich messbare Fortschritte für den Betreiber zu erzielen, bedarf es langjähriger Erfahrungswerte in der herstellerübergreifenden Wartung von Windenergieanlagen, weitreichender Datenbestände aus der Wartung großer Flotten sowie der richtigen Analysen, um im Sinne der Ausfallsicherheit und der Wirtschaftlichkeit die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Gute Service-Anbieter verfügen auf dieser Basis über standardisierte Handlungsroutinen, die die jeweils besten Lösungswege für jeden Reparatur- und Wartungsfall definieren.

Service-Qualität erkennen und überprüfen

Health + Safety: Hat der Wartungsgeber eine Risiko- und Gefährdungsbeurteilung für den WEA-Typ? Außerdem ist es wichtig zu wissen, wie der Anbieter die Sicherheit der Umwelt und Mitarbeiter über die Dauer des Vertrages gewährleistet.

Technik-Kompetenz: Wie sind Trainings und Dokumentationen aufgebaut? Der Betreiber sollte sich die entsprechenden Unterlagen vorlegen lassen und prüfen. Auch die Dokumentation der Leistungen und die Nutzung von Softwaresystemen müssen rechtlich einwandfrei sein.

Kommerzielle Kompetenz: Welche Haftung übernimmt der Anbieter? Diese Frage muss im Vertrag transparent und nachvollziehbar erklärt sein. Einzelne Leistungen und AusschIüsse sollten klar dokumentiert und erläutert werden.

Vorteile von technikübergreifendem Service nutzen: Eine interessante Option für die Betreiber sind Angebote von technik­übergreifenden Service-Anbietern. Der große Vorteil den diese mitbringen ist neben dem einheitlichen Ansatz auch die Schnittstellenminimierung in der Zahl der Ansprechpartner für die Flottenbetreuung. Beides gewährleistet einen Service von gleichbleibender Qualität – über Länder- und Technikgrenzen hinweg. Ebenso profitieren die Kunden von einer Logistik-Infrastruktur, geschultem Personal und einer einheitlichen Abwicklung zum Beispiel von Rechnungen und Serviceeinsätzen. Professionelle Anbieter gehen hier voran, indem sie die Fülle vorhandener Daten verwerten.

Die Erstausrüster hingegen können komplexere Themen auf Systemebene besser abdecken und lösen. OEMs bieten aber auch unter Haftungsaspekten eine bessere Aufstellung als kleine Serviceanbieter. Geht es tatsächlich einmal darum, Ansprüche durchsetzen zu müssen, bietet die Substanz der OEMs dafür eine wesentlich bessere Perspektive. Diese Sichtweise wird auch von Banken und Versicherern geteilt und in der Risikobewertung entsprechend honoriert. Der Ansatz der Multibrand-Service-Anbieter ist es, diese unterschiedlichen Vorteilsstrukturen unter einem Dach zu vereinen.

Big Data in der Windbranche

Die Windbranche befindet sich noch immer im Wandel. Deshalb gilt es, durch eine Vielfalt von individualisierten Modulen kundenoptimierte Instandhaltungskonzepte zu entwickeln. OEMs gehören zu den Pionieren für Service4.0-Modelle. Diese bieten den Betreibern prädiktive Analytics Services an, um die Produktivität zu erhöhen oder Störungen zu antizipieren. Damit kann sich der Windparkbetreiber stärker auf sein Kerngeschäft konzentrieren. Ebenso haben führende Turbinenbauer die Möglichkeiten und Potenziale für sich erkannt. So können die über moderne Sensorik ausgelesenen Daten in einem zentralen Big Data Hub analysiert werden. Daraus lassen sich im laufenden Produktionsbetrieb anhand von Vergleichen Empfehlungen für eine höhere Leistung, Produktivität und Stabilität abgeben. Zudem sind Anwendungen auf dem Gebiet von Augmented Reality, die dabei unterstützen, fehlerhafte Teile zu lokalisieren, bei vielen Anbietern bereits Service-Praxis. Der Wunsch nach individuellen Rund-um-sorglos Paketen wird in Zukunft die Herausforderung in der Verbesserung der Kundenzufriedenheit sein.

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  • Der möglichst störungsfreie Betrieb von Windenergieanlagen hängt aber nicht nur von einem zuverlässigen Service, sondern auch von technischen Verbesserungen ab.

    Der möglichst störungsfreie Betrieb von Windenergieanlagen hängt aber nicht nur von einem zuverlässigen Service, sondern auch von technischen Verbesserungen ab.

    Bild: Frank Boutrup Schmidt

  • Blick in die Zukunft: OEMs gehören zu den Pionieren für Service4.0-Modelle. Diese bieten den Betreibern prädiktive Analytics Services an, um die Produktivität zu erhöhen oder Störungen zu antizipieren.

    Blick in die Zukunft: OEMs gehören zu den Pionieren für Service4.0-Modelle. Diese bieten den Betreibern prädiktive Analytics Services an, um die Produktivität zu erhöhen oder Störungen zu antizipieren.

    Bild: Frank Boutrup Schmidt

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