Fachbeitrag Kraftzwerge mit Wachstums-Potential

02.04.2012

Zusammen mit dem Smartphone haben auch MEMS ihren Siegeszug angetreten. Längst gehen die technischen Möglichkeiten aber über sich drehende Bildschirme hinaus - Ende der technologischen Entwicklung offen.

MEMS (Micro-Electro Mechanical Sytems), die neben Elektronik auch mikromechanische Strukturen in Silizium integrieren, sind vielversprechende Hoffnungsträger für die Zukunft; ihre Wachstumsprognosen liegen über denen von Halbleitern. Verwendung finden sie künftig überwiegend als Sensoren (früher waren Tintenstrahl-Druckköpfe die „Paradedisziplin“ für MEMS-Bauelemente) und als Aktoren. Dabei konnten sie über die meisten technischen Branchen hinweg bereits einen ansehnlichen Markt von ungefähr 10 Milliarden US-Dollar für sich erobern, dessen Umsatzpotential langfristig sogar bei einer Billionen (!) US-Dollar gesehen wird. Kein Wunder also, dass über spezialisierte Unternehmen hinaus nicht nur die großen Halbleiteranbieter, sondern auch die führenden Foundries - neben STMicroelectronics (die im Februar den zweimilliardsten MEMS-Chip auslieferten) auch TSMC und Globalfoundries - ins attraktive MEMS-Geschäft einstiegen.

Augmented Reality statt gedrehter Bildschirme

Die Konvergenz von MEMS, drahtloser Konnektivität und Internet hat einzigartige neue Einsatzgebiete als Grundlage für die nächste technische Revolution erschlossen. Das Smartphone ist dafür das herausragende Beispiel: Innerhalb von nur vier Jahren stieg der Sensorgehalt bei Handys von praktisch Null auf mehrere Milliarden Stück. Und bereits voraussichtlich in zwei Jahren haben Handys mehr als die Hälfte des gesamten MEMS-Consumer-Markts erobert. Dabei reicht die Palette vom digitalen MEMS-Mikrofon über Beschleunigungs- und Lagesensoren sowie Gyroskope bis hin zu Magnetometern und Drucksensoren. Das damit ermöglichte Drehen der Bildschirmdarstellung, Stromsparfunktionen, Bewegungserkennung, elektronischer Kompass und 3D-Spiele sind bei Smartphones bereits Standard. Anwender und Freaks erwarten jetzt anspruchsvollere Applikationen wie erweiterte Realität (Augmented Reality), standortbezogene Dienste oder Koppelnavigation für Fußgänger. MEMS-Sensoren machten Mobilgeräte erst richtig massentauglich. Sie stellen über Berührung, Sprache, Bewegung und Position die Schnittstelle zum Telefon oder Tablet-Computer dar. Wobei die Ansprüche recht hoch sind; mobile Endgeräte brauchen winzige Sensoren, und lange Betriebszeiten setzen minimalen Stromverbrauch voraus. Darüber hinaus müssen diese Komponenten kostengünstig sein, um sie millionenfach einsetzen zu können. Die kleinsten MEMS-Sensoren etwa von Bosch Sensortec messen heutzutage zwei Millimeter Kantenlänge und sind weniger als einen Millimeter hoch. Im Stand-by-Betrieb sind sie so genügsam, dass sie gegenüber der Selbstentladung der Batterie nicht mehr ins Gewicht fallen.

Nächster Schritt Combo-MEMS

Im Bereich Consumer-MEMS, zu dem die Anwendungen im Handy-Segment gehören, erwarten die Marktforscher von IHS iSuppli nach dem Rekordwert von 38 Prozent im Vorjahr für 2012 ein Umsatzwachstum von 24 Prozent auf 2,8 Milliarden US-Dollar. Das laufende Jahr wird aller Voraussicht nach den Marktdurchbruch von Combo-MEMS bringen. Durch die Vereinigung mehrerer MEMS-Sensoren in einem Gehäuse sind diese Lösungen vor allem für platzkritische Anwendungen geeignet. Sie stellen meist eine Kombination von jeweils Beschleunigungs-, Gyroskop- und Kompass-Sensoren mit unterschiedlichen Freiheitsgraden (DoF, Depth of Field) dar. 12-DoF-Sensoren werden indes auch für Robotersteuerungen eingesetzt, oder in der Medizintechnik (Messung der Biomechanik des Knies). Bosch stellte Ende 2011 einen 6-DoF-Kompass mit einer Seitenlänge von 3 mm x 3 mm vor, der 2012 schnell an Bedeutung gewinnen könnte, speziell im Low-End-Smart-Phone-Bereich und für Handys ohne Kompass. Kommen Trägheitssensoren zum Ermitteln der Beschleunigung in allen sechs Freiheitsgraden zum Einsatz, wird von einer IMU (Inertial Measurement Unit) gesprochen. Neben der Navigation finden IMUs auch in der Bildstabilisierung zur Bewegungserfassung Verwendung. MEMS-Bewegungssensoren, um eine Kategorie herauszugreifen, werden sich in ihrem Einsatz in Phones und Pads in den nächsten fünf Jahren nahezu verdoppeln, von 1,1 Milliarden US-Dollar 2011 auf 2,1 Milliarden US-Dollar 2015. Sie werden darüber hinaus zu interaktiven TV-Lösungen mit Gestensteuerung führen, die die konventionellen Fernbedienungen ablöst. Doch auch im Gesundheits- und Fitnessbereich tut sich in der Rehabilitation, der Diagnostik und der Physiotherapie ein weites Anwendungsgebiet auf, außerdem in der Überwachung von älteren und eingeschränkt bewegungsfähigen Personen.Zu den MEMS, die 2012 darüber hinaus nach vielen Vorankündigungen in Serie für den Consumer-Markt gehen werden, sind neben HF-MEMs auch Kapazitätsdioden zu rechnen. Bereits jetzt soll eine Regelkondensator-MEMS-Lösung in den USA zur Antennenanpassung in Handys nutzen, um auf diese Weise die Datenrate um bis 40 Prozent zu steigern (besonders kritisch mit 4G bei niedrigeren Bandbreiten bis 700 MHz).

Wachstumsmarkt Automotive

Zu den Bereichen mit höchster MEMS-Dynamik zählt wegen der Umsatz-entscheidenden Innovationsgeschwindigkeit und der hohen Erwartungen an Komfort natürlich auch das Automobil als zweitgrößtes Anwendungsgebiet. In einem modernen Auto sind bis zu 100 dieser Sensoren zu finden - Tendenz steigend. Sie sind beispielsweise die „Sinne“ für Einspritzsysteme in Benzin- und Dieselmotoren, sie lösen die Zündung der Airbags aus oder sind für die Funktion des Schleuderschutzes ESP von maßgeblicher Bedeutung. MEMS-Drucksensoren werden, IHS iSuppli zufolge, bis 2014 zum führenden MEMS-Baustein werden (Umsatz 1,22 Milliarden US-Dollar in 2010). Infolge der Erholung im Automobilmarkt kommen sie bereits im übernächsten Jahr auf 1,85 Milliarden US-Dollar. Der Gesamtumsatz im Automotive MEMS-Segment belief sich 2011 auf 2,2 Milliarden US-Dollar, 16 Prozent mehr als 2010, das in der Erholungs- und Nachholphase nach der Rezession beachtliche 28 Prozent verzeichnete. Zuvor lagen die Zuwachsraten regelmäßig im oberen einstelligen Bereich. Damit bewiesen die Hersteller von Kfz-Systemen, dass sie Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Die Fachwelt erwartete nämlich wesentlich stärkere negative Auswirkungen der Katastrophen in Japan - weniger wegen direkter Schäden als vielmehr infolge der Auswirkungen auf die Lieferkette und die Produktionskapazitäten vieler japanischer MEMS-Kunden.

Boom dank neuer Vorschriften

Nachdem nun die Auswirkungen der Desaster allmählich verschwinden, sieht der Bereich MEMS im Automobil ungetrübt sonnigen Zeiten entgegen. Nach Expertenmeinung wird die Marktexpansion in den nächsten Jahren sogar schneller vor sich gehen als ursprünglich angenommen, nämlich mit einer jährlichen Durchschnittswachstumsrate bis 2015 von 10 Prozent auf dann 3,1 Milliarden US-Dollar. Das liegt auch daran, dass im Zeitraum von 2012 bis 2014 in verschiedenen Weltregionen gesetzliche Regelungen in Kraft treten, die ohne einen verstärkten Einsatz von Automotive-MEMS überhaupt nicht umsetzbar sind. So wird beispielsweise der Einsatz von elektronischen Stabilitätskontrollen (ESC) in den USA, Europa sowie einigen kleineren Ländern Vorschrift. Zum Ende der genannten Zeitperiode werden zudem Reifendruck-Kontrollsysteme in China und Europa Pflicht. Bezüglich des Automotive-MEMS-Wachstums hat China mit strengen Vorschriften hinsichtlich Sicherheit und Bekämpfung der Umweltverschmutzung und des Kohlenstoffausstoßes die Nase vorn. Die CAGR bis 2015 in China liegt bei 14,8 Prozent. Obwohl dort nur fünf MEMS-Sensoren pro Wagen eingebaut sind (weltweiter Durchschnitt, Stand 2010: 9,2) sorgen sowohl der boomende Fahrzeugverkauf als auch eine Verdopplung der MEMS pro Auto für die Behauptung der dritten Position im Weltmarkt hinter Nordamerika und Europa, noch vor Japan.Nach eigenen Angaben führt Bosch die Weltrangliste im MEMS-Sensoren-Markt mit deutlichem Vorsprung an (Bosch ist auch in China Marktführer), wobei ebenfalls Automobil und Konsumelektronik die wichtigsten Abnehmer sind. Erst vor kurzem wurde ein neuer Stückzahlrekord bekanntgegeben: Seit Produktionsstart vor 16 Jahren hat das Technologieunternehmen bereits zwei Milliarden MEMS-Sensoren hergestellt. Dauerte es zum Erreichen der ersten Milliarde noch 13 Jahre, wurde die Zwei-Milliarden-Marke kürzlich nach nur drei weiteren Jahren übersprungen. Und die Produktionsmengen wachsen weiter: Zuletzt wurden jährlich nahezu eine halbe Milliarde Stück erreicht, das sind pro Arbeitstag mehr als 1,3 Millionen.

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