Fachbeitrag Strom aus Niedertemperaturwärme

10.09.2013

Weil Abwärme oft auf zu niedrigem Temperaturniveau anfällt, bleiben gigantische Energiemengen ungenutzt. Eine Technologie, die Wärmeenergie bereits ab 20 °C ohne mechanische Komponenten direkt in elektrische Energie umwandelt, könnte dies ändern. Einen Prototyp, der die Fachwelt beeindruckt, gibt es schon.

Etwa 300 TWh an industrieller Abwärme blieben laut Statistischem Bundesamt in Deutschland im Jahr 2009 ungenutzt, weil Technologien fehlen, die daraus wirtschaftlich Strom generieren könnten. Mit „The 1“ soll sich das ändern: Die Technologie kann grundsätzlich überall dort zum Einsatz kommen, wo Wärme über 20 °C verfügbar ist. Die Effizienz steigt dabei im Intervall von 20°C bis 80 °C linear mit zunehmender Temperatur. Bereits heute liefert das Labormodell bei Raumtemperatur genügend Energie, um kleine Verbraucher mit einigen Milliwatt zu versorgen. Der im Frühjahr 2013 auf der Messe Eltefa vorgestellte Prototyp erreichte bei 55°C bis 70°C bereits mehr als 0,5mW/cm² und im Dauertestbetrieb bei knapp 30°C rund 0,1 mW/cm².

Elektrochemischer Basisprozess

„The 1“ basiert auf einer eher zufälligen Entdeckung: einem elektrolytischen Prozess, der endotherm ausgeglichen wird. Auf Basis einer elektrochemischen Reaktion ist damit die Umwandlung von Wärme in Strom über ein einfaches System möglich. Die galvanische Zelle lässt sich so aufbauen, dass man mit geringen Materialmengen auskommt. Diese sind günstig verfügbar und in ihrer Konzentration toxikologisch unbedenklich. Erste Wirtschaftlichkeitsrechnungen lassen auf eine profitable Nutzung hoffen. Darüber hinaus eignet sich das Verfahren zur Speicherung elektrischer Energie.

Das Grundprinzip betrifft eine besondere Kombination einer elektrolytischen und endothermen Reaktion. Eine negative Metall-Elektrode und eine positive Elektrode beispielsweise aus Graphit sind so angeordnet, dass sie mit einem dazwischen eingebrachten Elektrolyten in Kontakt stehen. Eine spezielle Oberflächenbeschaffenheit der Elektroden ermöglicht elektrische Entladung sowie thermische und elektrische Ladung. Für die Funktion ist maßgeblich, dass die Elektroden in Verbindung mit dem Elektrolyten ein galvanisches Element bilden, was die Abgabe elektrischer Energie an angeschlossene Verbraucher ermöglicht.

In herkömmlichen Akkumulator-Systemen bildet sich an der Minuselektrode aus dem elementaren Metall so lange ein Salz, bis es an der Elektrodenoberfläche restlos aufgebraucht ist. Bei der neuen Technologie verhindert eine Ladung mit Hilfe von Wärmenergiezufuhr dagegen, dass sich die Zelle vollständig entlädt. Hierzu muss am Pluspol gebildeter atomarer Wasserstoff mit dem Elektrolyten reagieren. Daraus entsteht eine lösbare Substanz, mit der das am Minuspol gebildete Salz reagieren kann.

Die endotherme Reaktion liefert unter Wärmezufuhr die für den galvanischen Prozess erforderlichen Ausgangsprodukte. Die thermische Ladung erfolgt parallel zur elektrischen Entladung - aus Wärme wird Strom. Alternativ kann „The 1“ genutzt werden, um elektrische Energie zu speichern, indem sie direkt über die Elektrodenanschlüsse zugeführt wird. Dabei lässt sich der Ausgangszustand der Elektroden wiederherstellen, falls die thermische Ladung dauerhaft geringer ausfällt als die elektrische Entladung.

Im Vergleich zu Technologien mit ähnlichen Zielen zeichnet sich das Verfahren durch zwei Eigenschaften aus:

�?� Temperatur-Effizienz: Im Idealfall entsteht aus der Wärmeenergie von knapp 24 Liter 60 °C warmem Wasser 1 kWh elektrischer Leistung. Dabei sinkt die Wassertemperatur auf 20 °C.

�?� Dauerhafte Reversibilität: Auf Basis chemischer Reaktionen und begünstigt durch zwei gegenläufige physikalische Prozesse gelingt es, bei permanenter Wärmezufuhr dauerhaft elektrische Energie zu erzeugen. Alternativ kann „The 1“ unter Aufnahme elektrischer Energie aus einer an die Elektroden angeschlossenen Energiequelle aufgeladen werden und dabei als Speicher dienen.

Die geplante Lebensdauer beträgt fünf Jahre, wenngleich hierzu noch keine detaillierten Forschungsergebnisse vorliegen. Im Laufe der letzten Jahre konnten die Leistungsdaten der entwickelten Prototypen kontinuierlich gesteigert werden. Da sich die Technologie erst in einem frühen Entwicklungsstadium befindet, wird mit weiteren Ergebnisverbesserung gerechnet.

Einsatz und Marktpotenzial

„The 1“ kann grundsätzlich als Komplementärsystem zur ergänzenden Deckung eines Energiebedarfs oder als autarkes Primärsystem eingesetzt werden. Im ersten Fall steht vor allem die Nutzung von (Ab-)Wärme aus Industrieprozessen oder alternativen Wärmequellen im Vordergrund, also die Bereitstellung von Kühlleistung für Industrieprozesse und nicht-industrielle Anwendungen. Aufgrund der Einsetzbarkeit bei relativ niedrigen Temperaturen wird die Energieverwendung optimiert und die zusätzlich zugeführte Energie reduziert.

Im zweiten Fall erfolgt eine Nutzung primär angebotener Wärme aus alternativen Wärmequellen und „The 1“ wandelt die bereitgestellte Wärme ohne externe elektrische Energiesysteme autark in elektrischen Strom um. Einerseits kann hierdurch bestehender Energiebedarf gedeckt werden, andererseits kann aber auch Kühlleistung nutzbar gemacht werden und in Form elektrischer Energie weitergegeben werden. Die ökonomische Bewertung der Technologie ist noch mit vielen Fragezeichen versehen. Ziel der Weiterentwicklung ist nun der Bau und Betrieb einer Pilotanlage mit 100 kWp in einem bestehenden Produktionsbetrieb. Themenfelder sind in diesem Zusammenhang:

�?� Optimierung des einzusetzenden Elektrolyten

�?� Optimierung und Standardisierung der Elektroden

�?� Verbesserung des Separators

�?� Design von Gehäuse und der thermischen Infrastruktur

�?� Entwicklung geeigneter elektrischer Anschlüsse

�?� Programmierung des erforderlichen Zellen-Managements

�?� Design und Konfiguration eines geeigneten Wechselrichters

Die Pläne dazu werden momentan mit Partnern einer zu gründenden Projektentwicklungsgesellschaft erörtert.

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