Internet der rollenden Dinge Das Geschäft mit Car2X und Big Data

Bild: Continental AG
28.01.2014

Sobald das Auto Teil des Internets der Dinge wird, ermöglicht die prädiktive Analyse neuartige Geschäftsmodelle. Automobilhersteller und Zulieferer, die mit der Vernetzung Geld verdienen wollen, tun gut daran, ihre Kernprozesse systematisch zu analysieren.

Das Internet ist zu einem der einflussreichsten Faktoren des modernen Lebens geworden: Zu Hause, unterwegs, beim Einkaufen – praktisch immer sind wir vernetzt und haben die Möglichkeit zur Kommunikation mit Dritten. Mit der nahezu flächendeckenden Verfügbarkeit von mobilen Breitbandverbindungen sind wir alle mittlerweile gewohnt, über Smart Phones und Tablets jederzeit Zugriff auf Daten, Informationen und Unterhaltungsangebote zu haben, auch wenn wir diese nicht auf unserem Gerät gespeichert haben.

„Always on“ ist daher die Erwartungshaltung insbesondere jüngerer Kunden an das Automobil – nicht nur in den etablierten Märkten sondern auch in den aufstrebenden Schwellenländern. Zudem fördern strengere Anforderungen an die Verkehrssicherheit die Vernetzung sowohl von Fahrzeug als auch Fahrer mit der Umgebung.

So arbeiten Fahrzeughersteller und Zulieferer, aber auch branchenübergreifende Konsortien schon seit Jahren an Technologien, um durch direkte Kommunikation des Fahrzeuges mit der Umgebung Fahrer und Fahrzeug in Echtzeit über potenzielle Gefahrensituationen zu warnen oder vorausschauend zu navigieren. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber erkannt, dass durch den Zugriff auf Fahrzeugdaten im Falle eines Unfalls wertvolle Zeit eingespart werden kann, um zielgerichtet Hilfe zum Fahrzeug zu bringen. Er hat daher den automatischen Notruf „eCall“ in der EU verpflichtend gemacht. Ab 2015 müssen alle Neufahrzeuge mit einem solchen System ausgestattet sein, das über Mobilfunk das Fahrzeug mit Leitzentralen verbindet.

Prädiktive Analyse

Im Konsumentenalltag sind Internet und Vernetzung schon lange nicht mehr wegzudenken. Vernetzung heißt hier: Verknüpfung von personenbezogenen Daten und (Trans-)Aktions-Informationen, bekannt durch Kundenbindungsprogramme oder die perfekt personalisierte Werbung von Google und anderen Internetanbietern. Möglich machen dies neue Technologien der „prädiktiven Analyse“, die große Mengen unstrukturierter Daten nutzt, um Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Die so gewonnenen Informationen über Bedürfnisse, Vorlieben und Wünsche werden beispielsweise genutzt, um das Konsumentenverhalten personengenau zu prognostizieren und im richtigen Moment Angebote zu unterbreiten.

Mit „Car-to-X“, also der Vernetzung des Fahrzeuges mit dem Internet (und dadurch Milliarden von anderen Datenquellen und -senken), ergeben sich neue, ungeahnte und bislang nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten in der Nutzung von Daten, um neue Geschäftspotenziale zu erschließen. Diese gehen noch weit über zielgerichtete Werbung und das „Cross-Selling“ von Produkten und Dienstleistungen hinaus. Der Gewinner dabei muss nicht unbedingt der Fahrzeughersteller sein, da die Systemgrenzen zwischen Fahrzeug und Umgebung zunehmend verwischen.

Das Fahrzeug wird damit zu einem der wichtigsten Knoten im „Internet der Dinge“. Der Zugang zu Fahrzeug- und Fahrerdaten sowie deren intelligente Verknüpfung und Auswertung im Sinne einer „Big Data“-Analyse werden entscheidend, wenn es um die Verteilung zukünftiger Profitpools geht. Diese schlummernden Potenziale möglichst schnell und effizient zu erkennen und durch entsprechende Geschäftsmodelle zu adressieren wird damit zu einem kritischen Erfolgsfaktor von morgen.

Geschäftspotenziale systematisch identifizieren

Die Entwicklung potenzieller neuer Geschäftsmodelle erfolgt heute häufig auf Basis von „Use Cases“ – Anwendungsszenarien also, die in der Regel das Ergebnis von Brainstorming-Meetings oder Benchmarking-Studien sind. Damit können wichtige Impulse gesetzt und singulär erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickelt werden, auch außerhalb des eigentlichen Kerngeschäfts. Die Identifikation neuer Geschäftsmodelle ist damit aber oft zufallsabhängig oder beschränkt sich auf schnelles Kopieren und Verbessern von Ideen Dritter. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass im eigentlichen Kerngeschäft, also in der Optimierung und Effizienzsteigerung des eigenen Wertschöpfungsnetzwerkes sowie in der Verbreiterung und verbesserten Durchdringung des eigenen Kunden- und Produkt- oder Serviceportfolios, ein siebenfach höheres Ertragssteigerungspotenzial als außerhalb des eigenen Kerngeschäfts liegt.

Um dieses systematisch zu identifizieren und zu adressieren gibt es die „Heat map“, die bereits in der Automobil­industrie zum Einsatz kommt. Dabei werden im ersten Schritt auf der Vertikalen die Kernprozesse rund um Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Fahrzeug und begleiteten Dienstleistungen aufgelistet, in der Horizontalen potenzielle Datentypen und -quellen, die in diesen genutzt werden können. Es entsteht ein Suchfeld, das systematisch Feld für Feld strukturiert abgearbeitet werden kann. Ziel dabei ist es, potenzielle Anwendungsfelder zu identifizieren, deren Geschäftspotenzial abzuschätzen, und hinsichtlich der weiteren Entwicklung zu priorisieren.

Fahrzeug- und Kundendaten

Im Hinblick auf „Car-to-X“-Geschäftsmodelle ist insbesondere die Nutzung von Fahrzeug- in Verbindung mit Kundendaten relevant, die gegebenenfalls durch weitere ergänzt werden können.
Für jeden Teilprozess werden dabei unter anderem folgende Fragen gestellt:

  • Welche Informationen fehlen uns, um die richtigen Dinge zu tun, also die Bedürfnisse unserer Kunden besser zu verstehen, zielgerichteter und besser zu adressieren und damit effektiver zu werden? Beispiele hierfür sind: Die Produkteigenschaften für bestimmte Marktsegmente auf Basis realer Einsatzprofile richtig zu definieren, die Ladestrategien für Elektrofahrzeuge in Abhängigkeit von topographischen Daten zu optimieren oder die Zahlungsbereitschaft potenzieller Gebrauchtwagenkäufer durch lückenlose Fahrzeughistorie erhöhen.

  • Mit welchen zusätzlichen Informationen könnten wir effizienter werden, also „die Dinge richtig tun“? Beispiele hierfür sind gezielte (Direkt-)Marketingkampagnen oder eine schnellere und gezieltere Diagnose und Reparatur in der Werkstatt.

Der Betrachtung von Ausnahmeprozessen, die aufgrund von fehlenden Ressourcen wie Komponenten, Personal oder Informationen durchzuführen sind, kommt zusätzlich eine hohe Bedeutung zu. Gerade hier können prädiktive Analysemethoden signifikante Effekte bewirken.
Erste Beispiele neuer Geschäftsmodelle, die aus der Kommunikation des Fahrzeuges mit der Umwelt abgeleitet werden können, gibt es bereits. So haben zum Beispiel Ford Deutschland und die Allianz eine Kooperation zum Thema „Pay-as-you-drive“ angekündigt. Der Versicherungstarif ist dabei unter anderem von der Fahrweise abhängig.

„Connectivity“ wird immer mehr zum wesentlichen Hebel zur Kostensenkung und Umsatzsteigerung im Kerngeschäft. Das Rennen um die profitversprechendsten Anwendungen und interessantesten Geschäftsmodelle hat jedoch gerade erst begonnen und wird alle Beteiligte vor erhebliche Herausforderungen stellen. Dabei dürfen Kundennutzen und Kundenakzeptanz nicht aus dem Auge verloren werden.

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  • Bild: Roland Berger

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