Fachbeitrag „Biomasse boomt nicht mehr“


Dr. Siegfried Scholz, Geschäftsführer von Standardkessel

11.04.2012

Die Kesseltechnologie gehört meist nicht zu den Energiethemen, die es in die Schlagzeilen schaffen. An den Auftragsbüchern der Hersteller im Anlagenmarkt lässt sich allerdings gut ablesen, welche Energieformen gerade en vogue sind. Wir sprachen mit einem mittelständischen Anbieter.

Herr Dr. Scholz, wie verändert sich aus Ihrer Sicht der Markt durch die „Energiewende“?

Dr. Siegfried Scholz: Es gab zunächst Hoffnungen, dass sehr schnell zusätzliche GuD-Anlagen im mittleren Leistungsbereich von 40 bis 120 MW elrealisiert würden. Das ist aber so noch nicht der Fall. Zwar steigt das Interesse aus der Industrie und auch von Stadtwerken, aber bis solche Projekte entscheidungsreif sind, vergeht viel Zeit, und die gesetzlichen Vorgaben irritieren unsere Kunden. Denn weder sind die Fördermaßnahmen auf europäischer Ebene abgestimmt noch sind die Anforderungen in Bezug auf CCS (Carbon Capture and Sequestration) für Kraftwerke klar. Das verzögert die Entscheidung.

Glauben Sie denn, dass CCS in Deutschland noch eine Zukunft haben wird?

Das ist schwer zu sagen. Ich persönlich glaube daran nicht. Ich halte es auch technisch nicht für der Weisheit letzten Schluss, weil es die Mühen zur Steigerung der Wirkungsgrade zum guten Teil wieder zunichte macht.

Wer investiert derzeit in Energieerzeugungsanlagen?

Da geht es im Wesentlichen um Erweiterungsinvestitionen deutscher Industrie oder von Stadtwerken. Dabei handelt es sich meist um GuD-Anlagen. Wir sehen auch Projekte in der Stahlindustrie, wo man sich heute Brennstoffe zunutze macht, die früher zum Teil abgefackelt worden wären, etwa Gichtgase mit einem sehr niedrigen Heizwert.

Warum sind solche Brennstoffe heute attraktiv?

Letztendlich liegt das an den CO 2-Zertifikaten. Aber man hat lange gebraucht, um diese Technologie zu entwickeln. Inzwischen können wir Abhitzekesselanlagen mit Gichtgasen und Koksgasen betreiben. Zur Regelung einer solchen Anlage braucht es spezielles Know-how. Der fliegende Wechsel zwischen Gasturbinen- und Frischluft-Betrieb erfordert einen elastisch reagierenden Kessel mit Umschalteinrichtungen. Normalerweise bewirken die Druckschwankungen, dass die ganze Anlage herunterfährt.

Wie entwickelt sich die Nachfrage bei der Biomasse-Nutzung?

Der Trend in unserer Leistungsklasse ist in Deutschland mehr oder weniger schon vorbei. Die Nachfrage, die wir da noch sehen, entsteht am ehesten noch im unteren Leistungsbereich bis 5MW elmit Wärmeauskopplung. Biomasse boomt nicht mehr, das liegt an der gesunkenen Förderung und an der fehlenden Biomasse.

Und im Ausland?

In Europa gibt es durchaus noch Bedarf an Biomasseanlagen. Aussichtsreich war bis vor kurzem Spanien, aber durch die Aussetzung der Förderung für erneuerbare Energien für mindestens ein Jahr am Anfang dieses Jahres lohnen sich die Projekte dort nicht mehr. Wie es in Italien aussieht, weiß niemand so richtig, da ändern sich die Rahmenbedingungen auch. Es gibt im Moment nur einen Markt in Europa, der wirklich stabil zu sein scheint: Großbritannien.

Sie haben eine Lizenz erworben für die Wirbelschichtfeuerung. Wann ist dieses Verfahren attraktiv?

Bei Leistungen über 50 bis 100 MW, besonders wenn die Feststoffe, die man zufeuert, relativ schwankende oder sehr niedrige Heizwerte in einer Bandbreite von 4 bis 18 MJ/kg haben.

Ist der Markt bei den Anlagen für Rest- und Entsorgungsstoffe auch so stark von politischen Rahmenbedingungen abhängig?

Nicht unbedingt von der Förderung, aber schon von den gesetzlichen Voraussetzungen. Unser Schwesterunternehmen Baumgarte Boiler Systems in Bielefeld sieht dafür einen stabilen oder sogar wachsenden Markt, insbesondere in Osteuropa und Großbritannien. Allerdings können solche Anlagen nur mit einer „Gate Fee“, also einer Gebühr für die angelieferte Tonne Müll, kostendeckend betrieben werden - zumindest mit den Umweltauflagen, die heute bei uns gang und gäbe sind.

Wie attraktiv sind Abhitzekessel als Geschäftsfeld?

Natürlich ist in Deutschland schon viel gemacht, aber da sehen wir immer noch ein Ausbaupotenzial. Das technische Potenzial ist natürlich sehr viel größer als das wirtschaftliche jemals sein kann, was man daran sieht, dass in jedem Haushalt heutzutage ein Brennwertkessel steht, in der ganzen Industrie aber nicht ein einziger. Das Problem ist, dass Niedertemperaturwärme nirgends nachgefragt wird.

Unter welchen Voraussetzungen lohnt es sich denn überhaupt, Anlagen zur Nutzung von Niedertemperaturwärme zu bauen?

Immer dann, wenn sich die Energie- und Stoffströme der Prozesse gut integrieren lassen. Zum Beispiel ist BASF in Ludwigshafen deswegen so erfolgreich, weil das Unternehmen seine Prozesse ganz massiv integriert hat. Das ist einer der am weitesten integrierte Chemiestandorte weltweit. Damit schafft man sich Kostenvorteile gegenüber Wettbewerbern, die vielleicht mit geringeren Personalkosten arbeiten - aber natürlich auch Abhängigkeiten der Anlagen untereinander.

Was versteht Ihr Unternehmen eigentlich unter „intelligenter“ Kesseltechnologie?

Das sind speziell auf den Kundenbedarf abgestimmte Anlagen, zum Beispiel ein ganz massiv in die Kesseltechnik integriertes Feuerungskonzept oder der fliegende Wechsel zwischen Gasturbinen- und Frischluftbetrieb bei GuD-Anlagen. Dafür machen wir unter Umständen CFD-Studien (Continuous Fluid Dynamics), um eine solche Anlage kompakt bauen und in einem beschränkten Bauraum unterbringen zu können. Dazu gehört auch, dass die Anlagen genau die Teillastfähigkeit und Wartungsfreundlichkeit erreichen, die der Kunde erwartet - und das müssen wir vorher berechnen und auslegen.

Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.

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