Automobilelektronik „Augmented Reality wird eine große Rolle spielen“

Stolz auf die neue C-Klasse: Daimler-Entwickler Peter Häußermann.

Bild: Daimler
03.04.2014

Wie entwickelt sich die Interaktion zwischen Auto und Mensch? Peter Häußermann müsste es wissen. Der 58-Jährige leitet den Bereich Elektrik/Elektronik und Telematik bei Daimler. Seit 1996 ist er verantwortlich für die Multimedia-, Navigations- und Kommunikationssysteme aller Mercedes-Benz-Pkw-Baureihen und der zugehörigen Bedien- und Anzeigekonzepte.

Mobility 2.0: Herr Häußermann, mit der neuen C-Klasse bietet Mercedes-Benz erstmals im Mittelklasse-Segment ein Head-up-Display an. Damit ist Daimler, verglichen mit Wettbewerbern, spät dran. Warum?

Peter Häußermann: Wir wollten sicher gehen, dass die Technologie reif und erprobt ist. Es war der absolut richtige Schritt, so lange zu warten, bis das Head-Up-Display unseren hohen Qualitätsansprüchen entspricht. Zudem ist es auch immer eine Frage der Fahrzeugarchitektur. Der Rohbau muss bestimmte Kriterien erfüllen, es muss entsprechender Bauraum vorhanden sein.

Aber es gibt doch auch einen gewissen Marktdruck. Inzwischen erwarten die Kunden das Head-up-Display, oder?

Für uns ist die Zukunftsorientierung wichtig. Künftig werden spannende Anwendungsfelder wie Augmented Reality eine große Rolle spielen. Bei dieser Technologie möchten wir natürlich ganz vorne mit dabei sein. Die Plattform der C-Klasse bietet dafür beste Voraussetzungen. Von der Architektur werden auch andere Baureihen profitieren.

Neu ist zudem ein Touchpad, durch das sich das Infotainmentsystem fast wie ein Smartphone bedienen lässt. Den Drehdrücksteller gibt es aber nach wie vor. Beide haben nahezu identische Funktionen. Machen Sie es so nicht unnötig kompliziert?

Ganz im Gegenteil. Wir geben unserem Kunden die Freiheit, beide Bedienelemente so zu nutzen, wie es für ihn am logischsten und komfortabelsten erscheint. Der Drehdrücksteller ist klasse und in seiner Präzision unübertroffen. Buchstaben jedoch lassen sich nur etwas beschwerlich eingeben. Ein Großteil unserer Kundschaft sitzt in Asien. Dort gibt es Schriftzeichen, deren Eingabe durch das Touchpad sehr einfach und flüssig vonstatten geht.

Mit anderen Worten: Weil Autohersteller ihre Produkte weltweit verkaufen, kommen sie um einen Kessel Buntes an Mensch-Maschine-Schnittstellen nicht herum?

Sie müssen zwar nicht das Welt­auto bauen, das die Bedien­konzepte für fünf Kontinente bereitstellt, aber die Regionalisierung der Ein- und Ausgabearten ist ein Muss. Chinesen empfinden ein Bedienkonzept anders als Europäer. Sie sind sehr bildhaft geprägt, denken nicht so sehr in Linienstrukturen, Buchstaben und Worten. Und sie finden oft etwas ganz anderes schön als wir. Bei der Mensch-Maschine-Schnittstelle müssen wir einer großen Vielfalt an Verhaltens- und Wahrnehmungsmustern gerecht werden.

Warum dann nicht eine reine Sprachsteuerung?

Sprachsteuerung setzen wir bei Daimler seit langem erfolgreich ein, aber Menschen möchten ein Auto nicht ausschließlich durch Worte bedienen. Das widerspricht einerseits unserer Erfahrung, andererseits gibt es im Auto viele Situationen, in denen es angebracht ist, zum Beispiel das Radio oder Navigationsgerät mit den Händen zu bedienen, etwa wenn die Kinder auf dem Rücksitz schlafen oder man sich mit dem Beifahrer unterhält.

In der C-Klasse fallen vier Schalter auf: je einer für Navigation, Radio, Telefon und Media. Dabei lässt sich das alles per Touchpad, Sprachsteuerung und Drehdrücksteller aufrufen und bedienen. Warum diese Redundanz?

Das täuscht. Die Schalter sind der Tatsache geschuldet, dass sie sich unsere Kunden wünschen. Viele sagen, ich brauche den bewährten Knopf. Intuitive Nutzbarkeit heißt für mich auch, dem Fahrer die Möglichkeit zu geben, mit einer simplen Geste eine wichtige und bekannte Funktion abrufen zu können. Ich drücke auf Radio, und dann kommt auch immer Radio. Das ist eine sichere Bank. Gleichwohl wird der Weg weitergehen in Richtung weniger Schalter und Knöpfe, noch mehr Intuition, Einfachheit und Klarheit.

Müssen Sie dabei nicht mehr aufs Tempo drücken? Apple und Google streben mit Macht ins Automobil. Android schickt sich an, eine Art „Weltbetriebssystem“ zu werden. Sind das Bedrohungen für die Autoindustrie und speziell für Daimler?

Ich sehe das relativ entspannt. Künftig werden wir im Auto viele Rechnerkerne haben, je nachdem, welche Prozessoren wir verwenden. Auf jedem dieser Kerne kann ein anderes Betriebssystem laufen. Dann hätten wir zum Beispiel ein Basisbetriebssystem, das den Echtzeit-Erfordernissen des Autos gerecht wird, so dass die Fahrfunktionalitäten stets sicher und reibungslos ablaufen. Auf einem der anderen Rechnerkerne kann ein quasi eingebettetes Android-System laufen. In diesem Kern machen wir zum Beispiel Browser-Applikationen. Das sind zwei getrennte Welten. Android und iOS sind keine Bedrohungen, wenn man sie intelligent integriert.

Aber wenn der Fahrer Android und iOS im Auto nutzt, werden seine Nutzerdaten dann nicht automatisch auch an Google und Apple übermittelt? Wer hat hier die Hoheit?

Von einem Automatismus kann nicht die Rede sein. Der Fahrer entscheidet, welche Daten wohin fließen. Das stellen wir sicher.

Fahrzeuge sollen künftig quasi vorausahnen, welche Informationen der Fahrer in der jeweiligen Situation benötigt. Das ist ein hoher Anspruch, der eine Mensch-Maschine-Schnittstelle impliziert, die in komplexen Situationen Urteile fällen kann.

Dahinter steckt der Trend zu präventiven Systemen. Eine intuitive, smarte Mensch-Maschine-Schnittstelle muss in der Tat vorausahnen, was der Benutzer von ihr erwartet und ihm jederzeit Optionen anbieten. Wir werden also Algorithmen in die Fahrzeuge einbauen, die aus allen Informationen in und außerhalb des Autos Ableitungen treffen, was der Fahrer spontan braucht und was nicht. Durch diese Intelligenz werden die Systeme in der Lage sein, noch individueller auf die Bedürfnisse der Fahrzeuginsassen einzugehen.

Dazu muss das Auto den Fahrer aber intensiver denn je beobachten und Informationen bis hin zu sehr persönlichen Daten speichern. Viele Menschen wollen im Auto doch genau das Gegenteil: ihre Privatsphäre.

Wir nehmen diese Frage äußerst ernst. Entscheidend ist, dass der Fahrer und nur er entscheidet, welche Daten wo und wie gespeichert werden. Diese gesamte Funktionalität kann er bei uns konfigurieren. Wer sie nicht haben will, kann die einzelnen Lern- und Speichereffekte natürlich auch deaktivieren. Das machen wir im Übrigen auch bei unseren Onlinediensten so. Benutzer können Dienste, die sie nicht haben möchten, einfach abschalten.

Mercedes-Benz hat tendenziell eine ältere Klientel. Wie äußern sich diese Fahrer zu dem Thema?

Es gibt Menschen, die recht bereitwillig ihre Daten zur Verfügung stellen, wenn sie davon einen Vorteil haben. Dass aber ältere Kunden bisweilen einen anderen Zugang und Bezug zu dieser Thematik haben, ist logisch. Gerade deshalb ist es unsere Aufgabe, den Kunden an die Hand zu nehmen und die Bedienung so einfach und verständlich wie möglich zu gestalten. Wir stehen jedenfalls dafür ein, transparent und vertrauensvoll mit den Daten umzugehen.

Das Interview führte Peter Gaide für Mobility 2.0.

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