Fachbeitrag Besser wohnen, produktiver arbeiten

Stadterweiterung: Vor Wien entsteht über mindestens 20 Jahre eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas mit einem Planungsgebiet von 240 Hektar.

17.02.2014

Lebensqualität steigern heißt für Städte unter anderem CO2-Ausstoß verringern, Lärm reduzieren und Energiekosten senken. Wie das gehen könnte, führen Modellprojekte von Bottrop über Wien bis Japan vor Augen – mal in gewachsenen Strukturen, mal auf der grünen Wiese.

Ja, Bottrop soll mustergültig werden. Die Stadt im Ruhrpott verändert sich. Sie hat sich mit dem Projekt „Innovation­City Ruhr“ das ehrgeizige Ziel gesetzt, innerhalb von zehn Jahren – im Zeitraum von 2010 bis 2020 – den CO2-Ausstoß in einem Pilotgebiet um die Hälfte zu reduzieren und die Lebensqualität zu steigern. Bottrop soll zur Musterstadt in Sachen Energieeffizienz umgebaut werden. Während andere Vorzeigeprojekte auf der grünen Wiese geplant und aus dem Boden gestampft werden, steht hier der Umbau einer gewachsenen Stadt an [1].

Es geht um 14.474 Gebäude, in denen 70.000 Einwohner auf 2463 Hektar leben und arbeiten. Dazu werden keine Hochglanzbroschüren mit futuristischen Zeichnungen über den Stadtteil der Zukunft verteilt. In Bottrop herrscht der Pragmatismus des Machbaren. Bis jetzt sind 125 Einzelprojekte initiiert und zum großen Teil bereits umgesetzt.

Da gilt es zum Beispiel, Wohnhäuser zu sanieren. Dabei sind Wärmedämmung und neue Fenster ebenso Thema wie der Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung, Stromspeicher und erneuerbare Energien. Eine Vernetzung dieser Gebäude mit Hilfe intelligenter Energiemanagementsysteme sorgt zudem für die Verteilung von lokal erzeugtem Strom und Wärme an umliegende Gebäude – ein Konzept das in Bottrop den Titel „Energiewende von unten“ trägt. Ein zentrales Projekt ist dabei die Installation von 100 Anlagen für Kraft-Wärme-Kopplung, verteilt über die Stadt. Das von der EU bezuschusste Projekt soll eine erste Infra­struktur für die gekoppelte Erzeugung von Wärme und Strom schaffen [2].

Erfahrungen der Bergbaustadt

Erste Ergebnisse können sich sehen lassen. Einzelne Einfamilien-, Mehrfamilien- und Geschäftshäuser sind soweit saniert, dass sie bilanziell mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Diese Musterhäuser sind ideale Anschauungsobjekte für Hauseigentümer. In den letzten beiden Jahren stieg die energetische Modernisierungsrate im Projektgebiet Bottrop auf 7,82 Prozent jährlich. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt liegt die Rate bei 0,9 Prozent.

Erste Erfolge sind auch bei den 2000 gewerblich genutzten Gebäuden zu verzeichnen. So erzeugt etwa das Metallbauunternehmen Technoboxx mit der eigenen Photovoltaik-Anlage mehr Strom als es selbst verbraucht. Und das, obwohl hochenergetische Arbeiten wie Schweißen, Walzen und Drehen im täglichen Betrieb anstehen.

Um den verkehrsbedingten CO2-Ausstoß, die Feinstaubbelastung und den Lärm zu verringern, wird unter anderem im Projekt „Stadtverträgliches Lkw-Routing“ der Weg zu Gewerbebetrieben optimiert. Umweltverträgliche Routen werden gesucht und an die Hersteller von Lkw-Navigationssystemen weitergeleitet. Und auch Elektromobilität nimmt in Bottrop ihren Anfang. Um erste Erfahrungen mit Reichweiten und Ladedauer zu sammeln, können Bürger für 48 Stunden eine Elektroauto kostenlos ausleihen.

Umfassendes Konzept

Es sind viele Mosaiksteinchen, die in Bottrop zusammengefügt werden müssen. Die kostenlose Energieberatung prüft jedes einzelne Projekt darauf, welche Maßnahme sinnvoll ist. „Die Ziele der InnovationCity Ruhr lassen sich nur erreichen, wenn man ein umfassendes Konzept hinterlegt und alle Akteure in den Prozess integriert“, meint Sebastian Bittrich, Projektmanager Marketing/Öffentlichkeitsarbeit bei der Innovation City Management GmbH. „Das geschieht bei uns mit dem Masterplan ‚Klimagerechter Stadtumbau‘“.

Diesen Masterplan haben die Bürger von Bottrop mitgestaltet. Über 300 Vorschläge und Wünsche aus der Bevölkerung bezüglich der anstehenden Umgestaltung der Stadt wurden in der Planungsphase abgegeben. Damit dabei der Überblick nicht verloren geht, hat sich ein Konsortium um das Planungsbüro AS&P Albert Speer und Partner gebildet.

Der Masterplan und die Erfahrungen der Bottroper kommen in Zukunft auch anderen Städten zugute. Derzeit wird ein Innovationshandbuch verfasst, das verdeutlicht, wie ein klimagerechter Stadt­umbau funktionieren kann. Darin ist beispielhaft aufgezeigt, wie sich ein Stadtquartier aufwerten lässt – auch über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus.

Baustelle vor den Toren Wiens

Eine ganz andere Baustelle liegt vor den Toren von Wien. Wo einmal der Flugplatz Aspern war, ist heute eine beeindruckende Großbaustelle zu besichtigen, deren Kräne schon von weitem sichtbar sind. Auf 200 Hektar entsteht ein Wohnquartier für 20.000 Menschen und Gewerbefläche für 6000 Arbeitsplätze. Dabei ist die Hälfte des Areals für den öffentlichen Raum eingeplant, darunter drei große Parkanlagen. Im Zentrum des neuen Quartiers wird ein See mit Seepark angelegt – der Identität stiftende Mittelpunkt von „Aspern Seestadt“ [3].

Der U-Bahn-Anschluss ist schon gebaut und wird die ersten Bewohner – die Ende des Jahres einziehen sollen – in 25 Minuten bis in die Stadtmitte von Wien bringen. Ein umfangreiches Rad- und Fußwegenetz erleichtert es den Bewohnern, sich innerhalb des Quartiers zu bewegen. Statt einem klobigen Einkaufszentrum mit Parkhaus entsteht eine Einkaufsstraße, wo im Erdgeschoss Läden, Gastronomie und Kleingewerbe für den alles umfassenden Einkaufsmix sorgen sollen. Auch der Weg zum Bildungscampus innerhalb der Seestadt ist nicht weit. Dort sind Kindergarten, Ganztagesvolksschule, Berufsschulzentrum und das Stadthaus mit Polizei, Ärztezentrum und Stadtteilmanagement beheimatet. Fahrten mit dem Auto sind innerhalb des Gebietes kaum erforderlich, motorisierter Verkehr soll so weit wie möglich vermieden werden. So soll ein Gebiet mit hohem Freizeit- und Erholungswert entstehen.

Die Planer versprechen sich allein vom Stadtgrundriss einen energiesparenden Effekt. Die Höhe der Bauten nimmt von Süden nach Norden zu, so dass die Sonneneinstrahlung bessere Chancen hat. Der kreisförmige Stadtgrundriss und die Bepflanzung reduzieren Winde und thermische Verluste. Wärmeverluste werden auch durch die dichte Bebauung reduziert, zentrale Wärme- und Kälteversorgung ist leichter zu realisieren. Da die Grünzone aus der Landschaft um das Quartier bis in die Bebauungszone hinein verästelt, erwarten die Planer eine positive Wirkung auf das Kleinklima.
Die Forschungsgesellschaft ASCR wird ab 2015 mit innovativer Technik in den Gebäuden Daten erheben, die Aufschluss geben sollen über deren Energiebilanz. Der Energiebedarf und die Kosten könnten so weiter gesenkt werden. Ob auch Geothermie genutzt werden kann, ist derzeit noch in der Diskussion.

Chinas grüne Stadt am Fluss

Der Blick auf einen anderen Kontinent führt nach Asien – bekannt für seine Megacities der Superlative mit schnellem Wachstum. Doch es geht auch anders: 2010 ist erstmals eine chinesische Stadt als „Slow City“ zertifiziert worden. Yaxi liegt im Distrikt von Nanjing und ist dafür bekannt, dass hier ein Gegenpol zum hektischen Treiben anderer Städte geschaffen werden soll. Inzwischen wird das Stadtviertel Yaxi New Town gebaut, mit dem Ziel, eine neutrale Energie- und CO2-Bilanz aufweisen zu können [4].

Solarenergie und Biogas sollen den Bedarf vollständig decken. Aus den südamerikanischen Tropen eingeschleppte Wasserhyazinthen sind in der Region um Yaxi zur Plage geworden. Sie werden abgeerntet, vergärt und sorgen zusammen mit den Abfällen aus der umliegenden Landwirtschaft für Strom- und Wärmegewinnung in Biogasanlagen. Da in China Stromüberproduktion nicht ins öffentliche Netz eingespeist werden kann, haben die Planer große Batterie-Speicher vorgesehen. Auch Elektroautos sollen ans Speichersystem andocken. Wird dann noch überschüssiger Strom produziert, ist die nahegelegene Industrie ein dankbarer Abnehmer.

Um für eine bessere Lebensqualität zu sorgen, ist die Liste der einzelnen Maßnahmen in Yaxi lang. Selbst der Einbau von Duschköpfen und Wasserhähnen ist geregelt, um den Trinkwasserverbrauch niedrig zu halten. Für die Toilettenspülung genügt das aufgefangene Regenwasser.

Das Stadtzentrum soll weitgehend den Fußgängern vorbehalten sein. Dabei hilft ein dichtes Netz an Busverbindungen. Von wo auch immer die Menschen loslaufen – es sind immer nur 400 Meter bis zu einer Haltestelle. Außerdem verfügen die Busse über Brennstoffzellenantriebe, was die Feinstaubbelastung in der Stadt senkt.

Stadtteil statt Fabrikgelände

Eine weitere Modellstadt entsteht westlich von Tokio für etwa 3000 Bewohner auf dem ehemaligen Firmengelände von Panasonic. Die Fabrikhallen sind abgerissen. Auf 19 Hektar durchpflügter Erde entstehen bis 2018 600 Häuser und 400 Appartements, darunter betreutes Wohnen für ältere Menschen. „Fujisawa Sustainable Smart Town“ soll sich dank hochentwickelter Technik auch nach einer Katastrophe noch drei Tage lang selbst mit Energie versorgen können [5].

Photovoltaik-Anlagen sind auf jedem der Fertighäuser installiert. Speicherbatterien im Haus nehmen überschüssige Elektrizität auf. Computertechnik soll dafür sorgen, dass die Energieversorgung im System gewährleistet bleibt. Es wird ermittelt, ob der Strom ins Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert wird. Zusätzlich zu den Batterien sind Brennstoffzellen installiert, die bei Bedarf Elektrizität und Warmwasser erzeugen. Sinn der ganzen Elektronik ist es, die Energiekosten zu senken. Was bei stetig steigendem Energiebedarf in Japan einen Kurswechsel bedeutet.

Auch im sozialen Bereich sind neue Modelle geplant. Die Bewohner sollen demokratisch in der Stadt mitwirken. Jeder Bewohner ist auch im stadtteil­eigenen sozialen Netzwerk gemeldet. Das kann er nutzen, etwa um den Termin beim Frisör zu koordinieren oder um mit Nachbarn Kontakt aufzunehmen. Was sich virtuell anbahnt, soll möglichst auf dem Hauptplatz oder in Cafés zu nachbarschaftlichen Kontakten führen. Immerhin ist Fujisawa weitgehend auto­frei und hat viele grüne, öffentliche Zonen eingeplant.

Immer mehr Modellstädte

Weltweit entstehen derzeit um die 400 Smart Cities. Die Ziele sind überall dieselben: Deutliche Reduzierung des Energieverbrauchs und möglichst autarke Stellung der Gebiete mit dezentraler Energieversorgung. Der Verkehr wird weitgehend herausgehalten, hier geht der Trend zu Elektromobilität. Geschäfte und soziale Einrichtungen sollen leicht erreichbar sein. Kurzum: Die Lebensqualität steigt durch weniger Verkehrslärm, begrünten und sonnigen Begegnungszonen und erneuerbare Energien.

Weitere Informationen

[1] www.icruhr.de

[2] www.zukunftshaus.org

[3] www.aspern-seestadt.at

[4] www.dreso.com/de/metanavi/presse/presseinformationen/detail/aktuell/nachhaltige-stadtentwicklung-in-china-yaxi-new-town-wird-energieneutral/

[5] www.panasonic.de/html/de_DE/Unternehmen/CSR%3A+Umwelt/Übersicht/Konzepte+für+morgen/Smart+Sustainable+Town/7960420/index.html

Bildergalerie

  • Anschauungsunterricht: Musterhaus als Positiv-Beispiel für skeptische Bürger in Bottrop

    Anschauungsunterricht: Musterhaus als Positiv-Beispiel für skeptische Bürger in Bottrop

    Bild: Andre Laaks

  • Großbaustelle: Vor den Toren Wiens entsteht ein Quartier für 20.000 Menschen.

    Großbaustelle: Vor den Toren Wiens entsteht ein Quartier für 20.000 Menschen.

    Bild: Schedl/Aspern Development AG

  • Fujisawa Sustainable Smart Town: Der Stadtteil ist um einen zentralen Platz geplant, dem Wellness Square, wobei die Anordnung der Häuser dafür sorgt, dass die Sonnenenergie optimal genutzt werden kann.

    Fujisawa Sustainable Smart Town: Der Stadtteil ist um einen zentralen Platz geplant, dem Wellness Square, wobei die Anordnung der Häuser dafür sorgt, dass die Sonnenenergie optimal genutzt werden kann.

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