Versorgungs- & Verbindungstechnik Wireless statt Kabel?

Bild: Friesland Kabel
02.06.2014

Im Zuge von Industrie 4.0 spricht alles von Wireless. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Sie sich als Kabelhersteller bald nach einem neuen Geschäftsmodell umsehen müssen? A&D hat verschiedene Meinungen der Branche eingeholt

Sven Ortmann, Ernst & Engbring: Das High-Tech Projekt Industrie 4.0 soll die Informatisierung der klassischen Industrien vorantreiben, sie also in smarte Fabriken umwandeln. In diesen elektromagnetisch verseuchten Produktionsstätten werden ohne eine sichere Übertragung der Daten immer wieder Probleme geschaffen. Trotz aufwändig aufgebauter, komplexer WiFi-Netzwerke kann es passieren, dass im Betrieb kein ausreichender Empfang und somit auch keine sichere, störungsfreie Verbindung gewährleistet ist. Besonders Hybridkabel haben hier ihre Daseinsberechtigung – eine sichere Übertragung von Daten und Energie auch unter schwierigen Bedingungen. Durch die Kombination unterschiedlichster Elemente unter einem gemeinsamen Mantel wird zudem die Montage vereinfacht und eine Reduzierung der Verkabelungszeiten erreicht. Der ebenfalls ausbleibende Kabelsalat trägt zu mehr Sicherheit und Komfort im täglichen Handling bei. Als Spezialkabelhersteller mit breiter Wissensbasis in der Kabelentwicklung und -fertigung und 300 engagierten Mitarbeitern sehen wir uns daher gut aufgestellt für die Industrie 4.0.

Klaus Moorlampen, Friesland Kabel: Kabelgebundene Netze sind nach wie vor einfacher, sicherer und schneller als Wireless. Natürlich gibt es Einzelfälle, wo Wireless Sinn macht. Wireless wird aber nach heutigem Stand in der Industrie nie das Kabel ablösen. Wir sind Spezialist für Schiffs- und Offshore-Verbindungen sowie für Datentechnik. In allen drei Bereichen steigt eher die Nachfrage nach Verbindungstechnik, da die Systeme und die technischen Anforderungen immer komplexer werden. Für die Übertragung von Leistung gibt es keine Alternative zum Kabel. Ähnlich ist es in der Datentechnik. Hier müssen heute die Systeme immer größere Datenmengen übertragen können. Deshalb wird vermehrt Glasfaser nachgefragt, das zudem abhörsicher ist. Große Datenmengen können nur sicher und schnell in kabelgebundener Form übertragen werden. In der Schifffahrtsbranche und in der Datentechnik geht daher der Trend eher zum Hybridkabel, welches die Anschluss- und Steuerleitung sowie die Datenübertragung vereint.

Michael Collet, Lapp: Kabel sind aus dem Maschinen- und Anlagenbau nicht weg zu denken. Ob Leistung übertragen wird oder Daten: ohne Kabel geht es nicht. Kabel sind die Lebensadern unserer Fabriken und unserer ganzen Welt. Und dieser Trend verstärkt sich weiter: Antriebe werden zunehmend elektrifiziert und gerade Entwicklungen wie die hin zur intelligenten Fabrik bedeuten vor allem, dass zwischen immer mehr Stellen immer mehr Daten ausgetauscht werden. Dazu braucht man immer mehr Kabel. Drahtlosanwendungen sind eine Ergänzung, aber kein Ersatz. Im industriellen Umfeld sind Drahtlosverbindungen besonders kritisch, denn die vielen Metallkonstruktionen – Maschinen und Gebäudestrukturen – wirken als Reflektoren. Für die Übertragung von Leistung ist das Kabel ohnehin weiterhin fast durchweg das Mittel der Wahl, und auch bei der Übertragung von Daten hat das Kabel prinzipbedingte Vorteile, etwa wenn es um maximale Übertragungsraten und Abhörsicherheit geht. Immer wichtiger werden im Maschinen- und Anlagenbau, ebenso wie im Büro und im privaten Alltag außerdem Themen wie EMV-Sicherheit und Elektrosmog. Deswegen wird gerade in sensiblen Bereichen auch in Zukunft das Kabel die beste Lösung sein.

Christian Berghoff, Leoni: 90 Prozent der derzeit verfügbaren Daten wurden in den letzten zwei Jahren gespeichert und bis zum Jahr 2020 sollen sich die vorhandenen Datenberge um das 50-fache erhöhen. Dieses Phänomen nennen Experten Big Data. Das Internet der Dinge und Dienste und Industrie 4.0 werden daran ihren Anteil haben. Industrie 4.0 benötigt neben der zuverlässigen Identifikation der Werkstücke als zweite Schüsseltechnologie eine leistungsstarke Vernetzung, um den anstehenden Datenmengen einer sich selbst organisierenden Produktion gerecht zu werden. Es muss ein stabiles, flexibles, redundantes Datennetz in der Fertigung wie auch im Datacenter implementiert sein. In der Fertigung wird von diesem IP-Ethernet-Netz zudem verlangt, dass die steigenden Datenmengen auch noch in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Im Bereich der Bandbreite hat Wireless aber seine Grenzen so dass wir davon ausgehen dürfen, dass der Bedarf an mehr Bandbreite und damit an Industrie Datenkabeln weiter steigen wird. In einer Industrie4.0-Produktion wird das LAN-Datennetz bestenfalls durch drahtlose Netzwerke ergänzt.

Sven Mäder, Metz Connect: Für uns bildet die Basis von Industrie 4.0 nach wie vor eine strukturierte Datennetzwerkverkabelung. Innerhalb der vernetzten Kommunikation ist die Einbindung von WLAN für bestimmte Dienste und Anwendungen sicherlich sinnvoll und notwendig. Der punktuelle WLAN-Einsatz basiert dabei als ein Auslasspunkt der strukturierten Verkabelung und hat über den netzwerkangebundenen Router seine Verbindung in die strukturierte Verkabelung. Die stetig steigende Vielzahl an vernetzten Geräten die bei einer durchgängigen Umsetzung von Industrie 4.0 miteinander und mit dem Menschen kommunizieren sollen, lassen sich nicht ausschließlich über eine Funkanbindung umsetzen. Industrie 4.0 bedeutet im Umkehrschluss eher eine gesteigerte Notwendigkeit an physischer Verkabelung, um das System in Gänze zu nutzen und ausfallsicher zu betreiben, da Wireless-Verbindungen störanfälliger und in ihrer Reichweite begrenzt sind. Applikationen wie PoE sind zudem mit Wireless nicht umsetzbar und auch hohe Datenübertragungen sind mit Wireless derzeit nicht möglich.

Jürgen Neumann, TKD Kabel: Noch ist ja Industrie 4.0 mehr Hype als ein konkretes Geschäftsmodell. Dabei sehen auch wir den Trend hin zur Smart Factory, in der auf Flexibilität getrimmte Anlagen stark individualisierte Produkte herstellen. Losgröße eins und rascher Produktwechsel lauten die Stichworte. Smarte Fabriken werden künftig wie ein modularer Plug&Play-Baukasten aufgebaut sein. Hierzu bedarf es multifunktionaler Verbindungstechnik, bei der auch Kabel eine zentrale Rolle spielen. Kommunikation wird einen noch größeren Stellenwert im industriellen Fertigungsprozess spielen und auch die Feldebene revolutionieren. Absehbar ist, dass Gigabit-Ethernet in die Sensor-/Aktor-Ebene vordringt – und neue, hochflexible Leitungen mit hoher Übertragungsleistung auf den Plan ruft. Das Potential ist riesig, weshalb wir uns hier noch stärker engagieren. Und noch was: Eine starke Zukunft sehen wir für Hybridleitungen, bei denen vielfältigste Signale sowie Energie in einem Kabel übertragen werden. Signale und Daten kann Wireless. Bei Energie geht aber auf absehbare Zukunft nichts ohne Kupfer – und das heißt Kabel.

Bildergalerie

  • Bild: Ernst + Engbring

  • Bild: Lapp Kabel

  • Bild: Leoni

  • Bild: Metz Connect

  • Bild: TKD Kabel

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