Smart Factory Wenn der Bedarf die Fertigung steuert

Kontrollwaage: Eine Software erfasst die Daten zentral und erleichtert damit die Auswertung. So kann die Produktion stetig optimiert werden.

Bild: Bizerba
01.09.2016

Industrie 4.0 ist mehr als nur ein Schlagwort. Das Konzept verändert die Denkweisen, Prozesse und Abläufe an allen Punkten der Wertschöpfungskette – vom Wareneingang, über den Fertigungsprozess bis hin zu Verpackung, Auszeichnung und Logistik.

Vornamen auf dem Getränke-Etikett, 3D-Drucker für Pasta und Fruchtgummi oder Gerichte, die mit personalisierten Zusatzstoffen angereichert wurden: Szenarien wie diese sind keine Vision mehr, sondern konkrete Anwendungsfälle für Industrie 4.0 aus Sicht der Lebensmittelindustrie. Sie haben die Arbeitsweise des Maschinenparks verändert, der sich heute zunehmend selbst steuert. Dabei bestimmt nicht mehr der Mensch, sondern immer öfter das Produkt selbst den Fertigungsprozess.

Unterschiedliche Treiber lösen Neuerungen in der Wertschöpfungskette aus. Für Innovationen beim Automatisieren der Fertigung sind meist Trends in der Abnehmerindustrie verantwortlich. So machen etwa Online-Shopping, E-Commerce und die Nachfrage nach persönlich auf den Verbraucher zugeschnittene Nahrungsmittel immer kleinere Losgrößen erforderlich. Um diese bedarfsgesteuerte Produktion zu realisieren, ohne dass dabei die Kosten für den produzierenden Betrieb in die Höhe schießen, müssen autonome, selbststeuernde, wissensbasierte und sensorgestützte Systeme miteinander im Einklang arbeiten.

Anlagen bestellen Verbrauchsmaterial

Die Rolle von netzwerkfähigen, modularen und individuell ausbaubaren Anlagen wird vor diesem Hintergrund zunehmend wichtiger. Heute können Maschinen, die klassischerweise für den Fertigungsprozess zuständig sind, unter anderem die Bestellung von Material übernehmen und somit den Einkauf entlasten.

Ein Beispiel sind Anlagen, die beim Einlegen von Plug-In-Etikettenrollen verifizieren, ob es sich um die richtigen Labels handelt und sich entsprechend automatisch konfigurieren: Sie sind auch in der Lage, eigenständig eine Bestellung auszulösen, sobald der Meldebestand an Etiketten erreicht ist. Dazu wird automatisch eine Information an den Lieferanten abgesetzt, ohne dass der Hersteller den Etiketten-Produzent manuell verständigen muss. Das Verbrauchsmaterial steuert den Prozess völlig eigenständig. Zudem konfiguriert sich die Maschine selbsttätig, was die Rüstzeit reduziert und Fehletikettierungen verhindert, gleichzeitig auch Lieferverzögerungen vorbeugt und die Lagerhaltung optimiert.

Effektivität mit vernetzter Software analysieren

Sind Maschinen darüber hinaus in der Lage, über Veredelungsstufen und Organisationseinheiten hinweg miteinander zu kommunizieren, erhöht das natürlich die Effektivität, Qualität und Flexibilität der Produktion. Lebensmittel verarbeitende Betriebe haben zu diesem Zweck in der Vergangenheit häufig nur den Schwund oder die Verluste der Ware beim Abpacken gemessen. Es müssen jedoch systematisch sämtliche Produktionsparameter und Arbeitsschritte unter die Lupe genommen werden, um die richtigen Rückschlüsse auf den Verarbeitungsprozess ziehen zu können.

Vernetzte Software ermöglicht es inzwischen, die Gesamtanlageneffektivität inklusive der Faktoren Leistung, Qualität und Verfügbarkeit zu analysieren. Wichtige Zusatzinformationen, beispielsweise die verarbeitete Lebensmittelmenge pro Mitarbeiter, lassen sich damit berechnen. Zudem können die Verantwortlichen analysieren, welches Etikett von welchem Hersteller welche Maschinenabnutzung verursacht und wie es die Linienleistung beeinflusst. Obendrein lassen sich auch Rückschlüsse zu Umgebungseinflüssen, Störungen und Kosten beim Einsatz von gewissen Materialien ziehen. Spezifische Software-Tools, etwa zur Stammdatenpflege, können schließlich Artikeldaten und Etikettenparameter zentral erstellen, pflegen und an die Geräte senden. Diese stellen sicher, dass nur geprüfte Daten in die Produktion überspielt werden.

Auch beim Verpacken und Auszeichnen sowie beim Überprüfen des Füllgewichts und der abschließenden Kontrolle auf Fremdkörper oder defekte Verpackungen leisten vernetzte Maschinen wertvolle Unterstützung. Sie können untereinander besser kommunizieren und mehr Informationen austauschen, was wiederum die Effektivität, Qualität und Flexibilität der Produktion steigert.

Mit durchgängigen Systemlösungen für die Lebensmittelkontrolle lässt sich beispielsweise die Zahl der Produktrückrufe reduzieren. Insbesondere durch den Einsatz von Metalldetektoren und Röntgengeräten können Hersteller fremdkörperfreie Produkte mit genormtem Gewicht produzieren. Optische Kontrollsysteme sorgen zusätzlich für Sicherheit durch eine einheitliche Verpackung der Produkte und bieten dem Endkunden ein schönes, gleichmäßiges Erscheinungsbild. Dies kann die Kaufentscheidung beeinflussen, da der Konsument eher zu einem makellos verpackten Produkt greift als zu Ware mit schiefem Etikett oder unlesbaren Inhaltsstoffen. Zum anderen überprüfen Vision-Geräte jede Packung zu hundert Prozent und speichern das Ergebnis samt Bild ab, was die Dokumentation sowohl gegenüber dem Kunden als auch dem Gesetzgeber erleichtert.

Geräte übermitteln eigenständig Informationen

Die vernetzte Kommunikation zwischen technischen Anlagen auf Basis von Internettechnologien birgt auch ein enormes Potenzial für den Service. Durch die Möglichkeiten des M2M-Datenaustauschs lassen sich Fehler und Probleme erkennen, noch bevor sie auftreten. Das Prinzip: Die Geräte übermitteln individuelle Informationen eigenständig an eine für den jeweiligen Fehlerfall zuständige Servicekraft und erlauben damit eine kostengünstige und schnelle Problemlösung. Oftmals ist heute ein ferngesteuerter Zugriff möglich, um Veränderungen an den Geräten vorzunehmen – ohne dass wie in der Vergangenheit ein Einsatz vor Ort nötig wird.

Die technische Realisation erfolgt über Sensoren, die diverse Gerätedaten sowie Ereignisse erfassen und sie in Echtzeit per Ethernet oder drahtlos an einen Leitstand zum Auswerten schicken. Hinzu kommt die Möglichkeit, Soll- und Schwellwerte von Anlagen zu analysieren und im Fall der Fälle eine entsprechende Alarmfunktion auf unterschiedlichen Kanälen abzusetzen. Mit optimierter Wartung und bestmöglicher Organisation lassen sich die Down-Zeiten folglich reduzieren. Die Service- und Wartungskosten sinken und die Verfügbarkeit steigt merklich.

Prozessinnovationen verändern die Herstellung

Mit der vierten industriellen Revolution wandelt sich schrittweise die gesamte Wertschöpfungskette der Lebensmittelindustrie. M2M-Technologien ermöglichen es, den aktuellen Zustand von Geräten kontinuierlich zu überwachen, Ergebnisse zu analysieren und die gewonnenen Erkenntnisse wieder in Beschaffung und Produktion einfließen zu lassen sowie für individuelle Wartungsarbeiten zu nutzen. Die eigentlichen Innovationen finden hierbei nicht nur bei Produkten und Technologien statt, sondern auch bei Prozessen und Anwendungen beziehungsweise Applikationen. Gerade die Prozessinnovationen sind es, die im Rahmen von Industrie 4.0 die Herstellung verändern und dazu beitragen, Kosten zu reduzieren, die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen und die Qualität zu steigern. Hersteller, denen es gelingt, sämtliche Stufen der Wertschöpfungskette anzubinden, werden von Kosten- und Umsatzvorteilen profitieren und Qualitäts- und Produktivitätsvorteile erzielen.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel