Fachbeitrag Energiewende braucht Gestaltung


Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Dr. Jobst Klien (Hochtief Energy Management), Cord Müller (Stadtwerke Aalen), Moderator Dr. Karlhorst Klotz (Energy 2.0), Berthold Müller-Urlaub­ (EVH, B.KWK), Dr. Hans-Joachim Ziesing (AGEB)

29.05.2012

Ein Jahr nach der politischen Rolle rückwärts ist klar: Die Umsetzung der Energiewende ist kein Selbstläufer. Welche Rolle die dezentrale Versorgung spielen könnte, stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion während der Hannover Messe 2012. Zu virtuellen Kraftwerken zusammen­gefasst bieten kleinere Erzeuger eine Chance, aber auch neue Herausforderungen für die Sicherheit der Netze.

Die Atomkatastrophe von Fukushima im März 2012 war der Anfang vom Ende der bisherigen Energiepolitik in Deutschland, denn bereits im Juni beschloss die Bundesregierung den stufenweisen Atomausstieg bis 2022. Die Energiewende war verkündet, aber bis heute bleibt unklar, wie und zu welchen Kosten sie umgesetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund diskutierten Vertreter von Energiewirtschaft, Wissenschaft und Verbänden sowie der Branche der Energiedienstleister unter der Leitung von Energy 2.0-Chefredakteur Dr. Karlhorst Klotz während der Hannover Messe auf dem Gemeinschaftsstand "Dezentrale Energieversorgung", auf dem im Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung (B.KWK) sowie dem ESCO-Forum im ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie) organisierte Unternehmen ihre Produkte und Leistungen für Contracting und KWK präsentierten.

Mehr denn je wollen Kunden seit der Atomkatastrophe über den Ursprung des verkauften Stroms wissen, berichtete Berthold Müller-Urlaub, neben seiner Funktion als Vorsitzender Geschäftsführer der EVH in Halle an der Saale gleichzeitig auch Präsident des B.KWK. Unmittelbarer Effekt sei die Verdopplung des bisherigen Verkaufs von Strom aus erneuerbaren Energien gewesen. Einen steigenden Bedarf der industriellen Kunden an neuen Dienstleistungen, der für die Branche positive Impulse setze, sah Dr. Jobst Klien, Sprecher der Geschäftsführung der Hochtief Energy Management in Hamburg und zugleich Vorstandsvorsitzender des ESCO-Forums. Mit den Worten "Wir können Energiewende" betonte er, dass die Hersteller der Elektroindustrie und die Contractoren bereit seien für die Energiewende, die richtigen Rahmenbedingungen am Markt müssten aber noch von der Politik geschaffen werden.

Cord Müller, Geschäftsführer der Stadtwerke Aalen, beleuch-tete die stufenweise Reaktion der Kunden auf den Politik-Wandel nach Fukushima. Stand zunächst der Umweltaspekt im Vordergrund, kamen schnell auch Fragen nach den zu erwartenden Kosten auf. Diese Diskussion war getrieben durch die deutliche Steigerung der EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz), die im Gegensatz zur KWK-Förderung nach oben nicht gedeckelt sei. Hier machte er neben der steigenden Kosten-belastung für die privaten Endverbraucher auch eine Gefährdung für den Industriestandort Deutschland aus. Auf Basis der Erfahrungen eines Betreibers von Blockheizkraftwerken (BHKW) hob Müller den kostendämpfenden Effekt der dezentra-len Kraft-Wärme--Kopplung hervor. "Darüber hinaus können BHKW einen Beitrag zur Lösung der Probleme durch die fluktuierende Erzeugung der erneuerbaren Energien mit der Be-reit-stellung von Flexibilität leisten und so Zusatzerlöse generieren."

KWK-Ziel der Bundesregierung wird verfehlt

Kein Teilnehmer der Podiumsdiskussion sah das KWK-Planziel der Bundesregierung (25 Prozent KWK-Stromanteil im Jahr 2020) als gesichert an. Dr. Hans-Joachim Ziesing, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. und Mitglied der von der Bundesregierung einberufenen Kommission zum Monitoring-Prozess "Energie der Zukunft", stellte fest, dass er aufgrund der zurzeit großen Investitionszurückhaltung nicht erkennen könne, wie das KWK-Ausbauziel mit dem jetzigen Instrumentarium erreicht werden soll. "Aktuell liegt der KWK-Anteil etwa bei 14 bis 15 Prozent. In den nächsten acht Jahren sind optimistisch betrachtet vielleicht 20 Prozent realisierbar. Die Bedingungen haben sich durch das KWK-Gesetz 2012 etwas verbessert, aber der Strommarkt bietet zurzeit keine ausreichenden Erlöse, um Investitionen in KWK zu stimulieren", so Dr. Ziesing. "Das Problem besteht nicht nur in der ungünstigen Relation von Stromerlösen zu Erdgaskosten, sondern ist geprägt durch das Fehlen von langfristig stabilen Rahmenbedingungen für Investoren."

Müller-Urlaub sah durch das KWK-Gesetz 2012 einen Hoffnungsschimmer, forderte aber gleichzeitig neben einer generellen Erhöhung der Fördersätze unabhängig von der Anlagenleistung insbesondere einen verstärkten Anschub für die Mikro-KWK. "Gerade die Kleinanlagen ab 1 kW elektrischer Leistung sind bei einem Investment von circa 15.000 Euro parallel zur weiterhin erforderlichen Heizung nicht wirtschaftlich zu betreiben." Als Schritt in die richtige Richtung zur Sicherung des KWK-Ausbauziels identifizierte er die im KWK-Gesetz 2012 erstmals integrierte Förderung von Wärmespeichern, mit denen auch bei größeren Anlagen die sogenannte Must-Run-Problematik gelöst werden könnte. Damit werde zum Beispiel der Zwang zum Betrieb einer wärmegeführten KWK-Anlage ohne Berücksichtigung der Strompreise bei kalten Außentemperaturen im Winter aufgehoben. Müller-Urlaub führte als Beispiel den 24-Stunden-Wärmespeicher der Energieversorgung in Halle an und kündigte gleichzeitig einen Ausbau der Speicherkapazitäten an: "Wir werden in Europas größten atmosphärischen Wärmespeicher investieren, der einen Wochenendbedarf der 100.000 Wärmekunden in Halle decken kann."

Professionelles Management der Energiewende

Um die vielen elementaren Weichenstellungen für die Energiewende sauber aufeinander abgestimmt zu realisieren, forder-te Dr. Klien von der Politik die Installierung eines quasi industriellen Projektmanagements. "Die Energiewende ist zwar verkündet worden, aber sie muss auch gestaltet werden." Weil die Bedingungen heute aber nicht geeignet seien, um den Umschwung zu erzielen, blieben die notwendigen Investitionen in Industrie und Haushalten aus. Den Ruf nach konzeptioneller Klarheit und Transparenz der energiepolitischen Weichenstellun-gen unterstützte auch Dr. Ziesing, der dabei über die Beiträge der Praktiker hinausging, indem er zunächst anregte, die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Vergangenheit an den neuen Anforderungen zu spiegeln. "Das Experiment Energie-wende braucht andere Wirtschaftlichkeitskriterien als die tradierten", lautete sein Credo. "Und die Energiewende wird mit Mitteln des Marktes nicht zu realisieren sein. Deshalb ist es Auf-gabe der Politik, wirtschaftliche Randbedingungen zu schaffen, die das Wirtschaftlichkeitskalkül so verändern, dass die Transformation zur neuen Energieinfrastruktur wirklich geschehen kann."

Förderung nur dort, wo nötig

Mit Blick auf die kontrovers diskutierte EEG-Umlage konfrontierte Moderator Dr. Karlhorst Klotz die Diskussionsrunde mit der Frage nach der politischen Akzeptanz einer immer höheren Förderung, die letztlich der Stromkunde bezahlen müsse. Müller-Urlaub stellte für den Verband B.KWK fest, dass einerseits die Deckelung der KWK-Fördermittel bei 750 Millionen Euro nicht erreicht worden sei und die Branche andererseits grundsätzlich eine Förderung nur dann erwarte, wenn der Markt die Realisierung der politisch gesetzten Ziele nicht ermögliche. Statische Fördermechanismen in Gesetzen mit der Gefahr der Überförderung könnten auch durch marktspezifische Anreize ersetzt werden. "Die Politik versucht aber immer wieder, durch Gesetze Märkte zu regulieren", klagte Müller-Urlaub. "Das ist zum Scheitern verurteilt." Das komplexe Geflecht gesetzlicher Rahmenbedingungen sei zurzeit jedoch strukturell nicht veränderbar. Mit der Forderung nach einer Erhöhung der Fördersätze für KWK-Anlagen verfolge der B.KWK das Ziel, durch KWK-Ausbau zukünftigen Kapazitätsproblemen und starken Strompreisschwankungen während der Umsetzung der Energiewende noch rechtzeitig gegenzusteuern.

Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung

Cord Müller brachte mit dem Stichwort Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung einen Aspekt in die Diskussion ein, der für die Entwicklung der dezentralen Energieversorgung von steigender Bedeutung sein wird. "Mit der fortschreitenden Erderwärmung wird der Bedarf an Kälte für die Kühlung vermehrt in Bürogebäuden und privaten Haushalten steigen", so seine Erwartung. "Dieser Kältebedarf wird den verringerten Wärme-bedarf in Folge einer verbesserten Dämmung der Gebäudehülle kompensieren, so dass die Jahresnutzungsstunden für einen auskömmlichen Betrieb einer BHKW-Anlage trotz verschärfter Wärmedämmung weiter gegeben sein werden".

Als ein Zwischenergebnis hielt Moderator Dr. Klotz fest, dass die Flexibilität der Erzeugung insgesamt steigen müsse, wenn die Herausforderungen der Energiewende bewältigt werden sollen. Die KWK bewege sich aber nicht im luftleeren Raum, sondern werde Bestandteil des Smart Grid sein. Für Müller-Urlaub sind die in virtuellen Kraftwerken gebündelten KWK-Anlagen ein Teil der Lösung für das Smart Grid. Die dafür benötigte Steuerungs- und Kommunikationstechnik sei bereits verfügbar.

Dr. Ziesing sah in virtuellen Kraftwerken dank der gezielt abrufbaren Fähigkeit zur Kraft-Wärme-Kopplung das technische Pendant der schwankenden erneuerbaren Einspeiser. Müller machte einschränkend deutlich, dass aus Sicht eines Verteilnetzbetreibers ihre Steuerung eine große Herausforderung darstelle. "Virtuelle Kraftwerke, die alle zur gleichen Zeit auf ein Preissignal hin einspeisen, können die Versorgungssicherheit in Stromnetzen in Gefahr bringen", so seine Befürchtung. "Für Netzbetreiber wie die Stadtwerke Aalen, die bereits gegen den Trend in den vergangenen Jahren in das Verteilnetz investiert haben, sehe ich aktuell keine Gefahr. Aber für die Zukunft bleibt die Aufgabe, mehr Informationen über jede Schleife im Niederspannungsnetz zu erhalten, um die Erzeugung effizienter und schleifengenau steuern zu können."

Müller-Urlaub fasste die Position der KWK-Branche zum Netzausbau in der Forderung zusammen, den Netzausbau zu überdenken. Die Energiewende brauche mehr Erzeugung dort, wo verbraucht wird. "Die bisherige Politik des �??weiter so‘ in tradierten Denkstrukturen ist überholt und wird auch von der Bevölkerung nicht mehr mitgetragen, die sich massiv gegen beinahe jede Investition in Großprojekte der Energieinfrastruktur stellt."

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