Fachbeitrag Zweirad-Branche im E-Temporausch


„Rad e“ auf der Überholspur: Der Zweiradmarkt nimmt Fahrt auf. Das spüren auch branchenfremde Firmen.

17.04.2012

Immer mehr Menschen begeistern sich für Pedelecs, E-Bikes und Co. Derzeit entsteht ein höchst dynamischer Markt, in dem sich auch manche Investoren und Glücksritter versuchen - und sogar etablierte Unternehmen, nicht nur aus der Automobil- und Energiebranche.

Schon gehört? „Nahmobilität“ ist angesagt. Hinter dieser Entwicklung stecken Megatrends wie die fortschreitende Urbanisierung, der demografische Wandel verbunden mit dem Streben nach Gesundheit und Mobilität bis ins hohe Alter. Ja sogar Klimawandel und Knappheit der Ressourcen spielen eine Rolle.

Gerade E-Bikes haben da enormes Potenzial: Als effiziente und gesunde Fortbewegungsmittel mit geringem Flächenverbrauch, hoher Verfügbarkeit und einem niedrigen Anschaffungs- und Kilometerpreis erscheinen sie wachsenden Käufergruppen attraktiv.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Konzerne und Investoren das Zweirad als attraktives Investment und strategisches Asset im künftigen Mobilitätsportfolio entdecken. Dabei lösen sich die historisch gewachsenen und oftmals ideologisch geprägten Grenzen zwischen Fahrrad-, Automobil- und Zulieferbranche auf und neue Player etablieren sich. Sind das erste Vorboten einer sich neu formierenden E-Mobilitätsbranche?

Die Zeichen der Zeit erkannt haben nicht nur Fahrradindustrie und -handel, die inzwischen zunehmend auf hochwertige E-Bikes setzen und Umsatz und Gewinn damit deutlich steigern. Auch die Automobilindustrie, branchenfremde Investoren und neue Unternehmen sehen die Zweiradbranche als attraktives Investment, neuen Absatzkanal oder grünes Marketinginstrument.

OEMs im E-Bike-Fieber

In der Automobilbranche entdecken inzwischen große Marken und Konzerne das Thema E-Bike für sich: Die Daimler-Tochter Smart will noch in der ersten Hälfte dieses Jahres mit einem E-Bike in Serie gehen, das bei der Vorstellung auf der Fahrradmesse Eurobike für jede Menge Vorschusslorbeeren und eine ungewohnt große Medienbeachtung sorgte. Derzeit hat der Konzern angekündigt, dass Ende 2012 eine Luxus-Variante des Autoveredlers Brabus mit Carbon-Elementen folgt (Bild Seite 26/27).

BMW plant für 2012 dem Vernehmen nach die Ergänzung seines Elektroportfolios durch Roller und ein Falt-Pedelec, und das Zulieferer-Joint-Venture Brose-SEW entwickelt induktive Ladesysteme und einen neuen Antrieb für Pedelecs, der noch in diesem Jahr die Serienreife erreichen soll.

Auch andere große Marken beschäftigen sich mit dem E-Bike: So hat Ford 2011 eine Elektroradstudie mit Smartphone-Integration gezeigt und Opel feierte nach der zur IAA 2011 vorgestellten Kleinwagenstudie „Rak e“ mit dem futuristischen „Rad e“ (Bild Seite 24) Premiere auf dem Genfer Autosalon.

Alles Marketing-Gimmicks? Keineswegs. BionX, ein Ableger des kanadischen Magna-Konzerns, ist schon lange fest im Markt etabliert und auch Bosch blickt seit seinem Einstieg als OEM für E-Bike-Hersteller inzwischen auf eine glänzende Erfolgsbilanz zurück. Nach eigenen Angaben verkaufte der Konzern im Jahr 2011, also in seinem ersten Geschäftsjahr als Systemlieferant, bereits rund 70.000 Einheiten aus Motor, Akku und Steuerung, die bei über 30 Fahrradmarken eingesetzt werden.

Wer kommt also als Nächstes? Bei vielen wird bereits geplant. So will sich zum Beispiel auch VW ein Stück vom wachsenden Markt für Zweiräder und Leicht-Elektrofahrzeuge sichern. Geplant ist angeblich der Einstieg in die Elektroroller-Produktion im Rahmen eines Verleihsystems - vorerst jedoch erst einmal für Asien.

Investieren im Zweiradmarkt

Während sich in den letzten Jahren kaum jemand ernsthaft für Investments im Bereich Fahrrad zu interessieren schien, entdecken Investoren die Zweiradbranche mit dem E-Bike-Boom zunehmend als gewinnbringendes und zukunftsträchtiges Betätigungsfeld. Spektakulär war 2011 die Übernahme des größten deutschen Fahrradherstellers Derby Cycle (Marken sind unter anderem Kalkhoff, Raleigh, Rixe; der Umsatz im Geschäftsjahr 2010/2011 betrug 235,5 Mio. Euro) durch die niederländische PON-Holding, einem Pkw- und Nutzfahrzeug-Importeur. PON siegte im Bieterwettstreit gegen die ebenfalls niederländische Accell-Gruppe und baute seine Zweirad-Stellung mit der Übernahme von Gazelle und Cervélo weiter aus.

Aber auch die Accell-Gruppe (Marken sind unter anderem Hercules, Koga, Winora, Haibike; der Umsatz 2011 betrug 628,5 Mio. Euro) war nicht untätig: Sie stieß ihre 22-prozentige Derby-Beteiligung ab und übernahm zum Jahresende den Titanradspezialisten Van Nicholas und mit Currie Technologies den E-Bike-Marktführer in den USA.

Vom Branchenerfolg überzeugt zu sein scheint auch der schillernde Unternehmer und Finanzmanager Carsten Maschmeyer, dem ein exzellenter Riecher für neue Geschäftsfelder zugeschrieben wird. Er glaubt an den „Aufschwung auf zwei Rädern“ und ist mit einem Anteil von 33 Prozent inzwischen größter Aktionär der Mitteldeutschen Fahrradwerke (Mifa AG). Das Unternehmen vertreibt preisgünstige Fahrräder über Handelsketten wie Aldi, Metro und Co. und stößt mit der Übernahme der E-Bike-Schmiede Grace (Smart E-Bike) gerade ins Luxussegment vor.

Aber nicht nur in Deutschland und Europa dreht sich das Investorenrad: Nach der Insolvenz des international operierenden E-Bike-Herstellers Ultra Motor (Marke A2B) fand sich schnell ein potenter Käufer. Anfang dieses Jahres übernahm die indische Hero-Gruppe das Unternehmen. Unter dem Dach der Tochter Hero Eco soll in den kommenden Jahren der weltweit größte Anbieter für elektrische Zweiräder entstehen. Mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden Dollar gehört das bei uns kaum bekannte Unternehmen immerhin zu den größten Zweiradherstellern der Welt.

Geschäfte mit E-Mobilität

Nach dem anhaltenden Erfolg der Schweizer E-Bike-Marke Flyer und dem dazugehörigen Radverleiher Movelo, der inzwischen auch in Deutschland aus kaum einer Tourismusregion wegzudenken ist, etablieren sich in der Schweiz inzwischen große Wettbewerber: Im Herbst 2010 ist die Schweizer Migros-Gruppe (20 Mrd. Euro Umsatz 2010) unter dem Label M-Way mit einem durchdachten Konzept für Verkaufsstellen in den Markt für E-Mobilität eingestiegen. Angeboten wird ein hochwertiges E-Sortiment, angefangen von Pedelecs über E-Mopeds (Elmoto S. 27 rechts), Elektroroller und -motorräder bis hin zu Elektroautos wie dem Chevrolet Volt.

Aufzugehen scheint das Konzept, unterschiedliche Fahrzeuge zur Abdeckung des Grundbedürfnisses Mobilität aus einer Hand zu bieten: Nachdem 2011 bereits der dritte M-Way-Shop in City-Lage eröffnet wurde, sind 2012 drei weitere Geschäfte in großen Schweizer Städten geplant.

Die Strategie, aus modifizierten Modellen verschiedener Hersteller eine eigene Marke zu kreieren und Autohändler als Handelspartner für den Verkauf zu gewinnen, verfolgt EBike Advanced Technologies. Deren Macher Wolfgang Momberger und Helge von Fugler kommen aus Marketing und Vertrieb. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, mit der Marke „EBike“ den Markt in Europa abseits des Fahrradhandels zu erschließen. Produziert werden sollen die Räder vom Schweizer Premium-Hersteller Stromer und den deutschen Panther-Werken.

Allein in diesem Jahr sollen 50 Shops entstehen, die 11.000 E-Bikes verkaufen. Für 2013 erwarten sie eine Stückzahl von 37.000, und 2020 sollen es europaweit jährlich eine Million werden - 300.000 Stück sollen davon allein in Deutschland verkauft werden.

Vertriebskonzepte

Energieversorger wie RWE (Bild S.27 Mitte) setzen und fördern heute die Popularität der elektromobilen Fortbewegung, andere Unternehmen wie der Beratungsspezialist LeaseRad, E-Motion Technologies, Lautlos durch Deutschland, Donauer Solartechnik (Solarladestationen und E-Bikes, Bild S. 26 Mitte) und Orange Bike Concept entwickeln neue Konzepte für den Vertrieb. Alle setzen einen Schwerpunkt auf E-Bikes, wo Umsätze und Gewinne locken.

Einige bieten ihren Partnern nach dem Franchise-Modell Einkaufs- und Vertriebsplattformen, die einen schnellen Einstieg in die Vermarktung von Elektrofahrzeugen ermöglichen. Erfolgsrezepte sind hier vor allem eine ausgesuchte Produktpalette, Finanzierungsmöglichkeiten und die Vermittlung eines neuen Lebensgefühls. So haben die Stadt Karlsruhe und das Automotive Engineering Network Südwest im neu gegründeten Karlsruher E-Mobilitätszentrum regionale Player für E-Mobilität zusammengeführt. Orange Bike Concept bietet hier auf 750 Quadratmetern 70Elektrofahrzeuge, die zum großen Teil auch getestet und gemietet werden können.((nur online))

Weitere Informationen

Auswahl von Anbietern in der Zweirad-Branche

Accell Group AG: www.accell-group.com

EBike Advanced Technologies: www.ebike-int.de

AGFS: www.fahrradfreundlich.nrw.de

Bosch eBike Systeme: www.bosch-ebike.de

Call a Bike: www.callabike-interaktiv.de

Derby Cycle AG: www.derby-cycle.com

Donauer Solartechnik: www.donauer.eu/de

e-motion Technologies: www.emotion-technologies.de

Hero Eco: www.heromotocorp.com

Lautlos durch Deutschland: www.lautlos-durch-deutschland.de

LeaseRad: www.leaserad.de

MIFA AG: www.mifa.de

m-way: www.m-way.ch

OrangeBikeConcept: www.orangebc.com

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