Fachbeitrag Intelligente Stromnetze von morgen

ABB AG



04.06.2012

Trotz aller Anstrengungen zur Energieeinsparung nimmt der Energiebedarf weiter zu. Herkömmliche Netze sind aber nicht in der Lage, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Abhilfe schaffen sollen Smart Grids, die viel mehr können als nur Energie übertragen.

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Auch wenn ständig von Energieeffizienz und Energieeinsparungen die Rede ist: Der weltweite Energiebedarf wächst. Dabei entsteht diese erhöhte Nachfrage weniger in den Industrieländern, sondern hat ihre Ursache vor allem in einem stetigen Bevölkerungswachstum und dem steigenden Wohlstand in den so genannten Schwellenländern. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, müsste pro Woche ein neues 1-GW-Kraftwerk ans Netz gehen. Aber es ist sogar fraglich, ob das reichen würde. Denn neben der Energieerzeugung ist auch die Verteilung problematisch. Die Netze, die heute verfügbar sind, sind alles andere als effizient - Tendenz abnehmen. So haben sich die Energieverluste im Übertragungs- und Verteilungssystem zwischen 1970 und 2001 nahezu verdoppelt. Mit der Einbindung erneuerbarer Energiequellen stehen die Netze vor einer weiteren Herausforderung: Diese Quellen sind intermittierend, weil sie beispielsweise Wettereinflüssen unterliegen, und nicht immer unbedingt an Orten, wo die Energie auch tatsächlich benötigt wird. So sinnvoll ein Offshore-Windpark auch sein mag: Die Abnehmer für die Energie sind immer ein ganzes Stück entfernt. Und nicht zuletzt ist auch die Spannungsqualität heute von viel größerer Bedeutung als beispielsweise vor 15 oder 20 Jahren. Für all diese Anforderungen sind die heute im Betrieb befindlichen Energienetze nicht entwickelt worden. Konzipiert wurden sie als Einweg-System, in dem eine Kommunikation zwischen Erzeuger und Verbraucher nicht stattfindet. Aber gerade eine derartige Kommunikation ist ein essentieller Bestandteil dessen, was man unter einem Smart Grid versteht. Daneben sind Überwachungssysteme für das gesamte Netz notwendig, um Betriebsstörungen schon im Vorfeld vermeiden zu können. Mit flexiblen Methoden der Übertragung und Verteilung muss eine schwankende Nachfrage ausgeglichen werden. Auch Speichertechnologien sind notwendig, um mit Nachfragepeaks besser zurechtzukommen und um erneuerbare Energiequellen besser einbinden zu können. Hinzu kommen neue Designkonzepte und fortschrittliche Materialien in Systemkomponenten, um Effizienz, Sicherheit und Leistung zu verbessern. All diesen Herausforderungen kann nur durch eine Kombination aus Sensoren, Kommunikation, Informations- und Überwachungstechnlogie begegnet werden, um das gesamte Netz von der Energieerzeugung bis zur Verteilung und zum Verbrauch, smart zu machen.

Definition

Aber was genau ist ein Smart Grid? Zwar reden ständig alle darüber, aber wie so oft ist nicht unbedingt klar, was gemeint ist. Die EU-Kommission hat 2006 festgelegt, was in Europa ein Smart Grid ausmachen soll:

Es ist flexibel, indem es die aktuellen Nutzer-Anforderungen erfüllt, aber auch auf künftige Herausforderungen ausgerichtet ist. Der Zugang muss für alle Nutzer gegeben sein. Das gilt in besonderem Maße für erneuerbare Energiequellen und die lokale Energiegewinnung. Dabei wird auf eine möglichst geringe CO2-Emission Wert gelegt. Es soll wirtschaftlich sein. Das Netz muss zuverlässig und sicher sein und die Qualität der Energieversorgung sicherstellen. Es soll die Anforderungen des Digitalen Zeitalters erfüllen und Gefahren und Unvorhersehbarkeiten abfedern können.

Auch das US Department of Energy hat 2008 Kriterien für das Smart Grid festgelegt. An vielen Stellen gibt es Übereinstimmungen, allerdings gehen die Amerikaner an manchen Stellen noch weiter. So wird ausdrücklich eine aktive Beteiligungsmöglichkeit für Konsumenten verlangt

Netzwerk statt Hierarchie

Einer der größten Unterschiede zwischen heutigen Netzen und Smart Grids besteht in der Netzstruktur. Bestehende Netze wurden entwickelt, damit große Kraftwerke entfernte Kunden mit Energie versorgen können - dabei war das Netz eine Einbahnstraße. In Zukunft wird das Netz ein Zwei-Wege-System sein. In Ergänzung zu den großen Kraftwerken erzeugen viele kleine, verteilte Quellen Energie, die übertragen und verteilt werden muss. Daraus ergibt sich eine Struktur, die eher einem Netzwerk als der bisherigen hierarchischen Struktur entspricht. Die Vorteile - nicht nur durch die Netz-Topologie - sind für alle Beteiligten enorm. Die Netzbetreiber erhalten völlig neue Möglichkeiten, die Netze zu überwachen. So lässt sich trotz der stetig steigenden Nachfrage ein höheres Niveau von Zuverlässigkeit erreichen. Die Nutzer wiederum erhalten mehr Kontrolle über ihre Energiekosten und haben sogar die Möglichkeit, selber Energie zu erzeugen und ins Netz einzuspeisen. Insgesamt profitieren sie von einer zuverlässigeren Energieversorgung. Und durch geringere Peaks und die steigende Integration von erneuerbaren Energiequellen wird der CO2-Ausstoß deutlich gesenkt.

Technologische Komponenten

Ein Smart Grid besteht aus Technologien, die sich im Wesentlichen in vier Kategorien einteilen lassen. Die Grundlage lässt sich mit den Muskeln im menschlichen Körper vergleichen, hier findet die Wandlung, Übertragung, Speicherung und Nutzung der Energie statt. Die darüber liegende Ebene mit Sensoren und Aktuatoren steuert diese untere Ebene. Die Kommunikationsebene überträgt die Informationen und Signale an die oberste Ebene, in der Entscheidungen getroffen werden - ähnlich dem menschlichen Gehirn. Sowohl die Aktuatoren als auch die Entscheidungsebene sind essentiell für das Smart Grid. Ohne kontrollierbare Komponenten, mit denen man den Netzzustand ändern kann, sind die erfassten und kommunizierten Daten nahezu wertlos. Schon heute warden von Netzbetreibern smarte Elemente in die Netze integriert, denen künftig noch mehr Bedeutung zukommen wird. Dazu gehören unter anderem die Folgenden.

Wide Area Monitoring Systems (WAMS):Diese Technologien sammeln, übertragen, speichern, analysieren und kommunizieren Informationen von Tausenden von Datenpunkten über verschiedene Stromnetze und über große Distanzen. Die Integration von erneuerbaren Energien in großem Umfang, die Übertragung von Energie über große Distanzen sowie die Integration von Elektrofahrzeugen und Ladestationen wären ohne diese Technologien nicht möglich. Netzwerk-Management-Systeme können größere Bereiche überblicken und so beispielsweise Fehler deutlich schneller erkennen und beheben. Supervisory Control and Data Acquisition (SCADA):Mit Hilfe von Computer-Systemen wird die Verteilung gesteuert. SCADA-Systeme überwachen Tausende von Messpunkten im Netz und bieten den Netzbetreibern so erheblich bessere Möglichkeiten zur Analyse und Überwachung der Netze. Flexible Alternating Current Transmission Systems (FACTS):Mit diesen Technologien lassen sich die Kapazitäten vorhandener Übertragungswege dramatisch erhöhen und dabei gleichzeitig die Stabilität und Zuverlässigkeit des Systems sicherstellen oder sogar verbessern. Sie machen die Energieübertragung über lange Strecken effizienter, indem sie Engpässe entfernen und intermittierende Energiequellen sicher in das Netz einspeisen. Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ):Mit HGÜ verbessern die Netzbetreiber die Zuverlässigkeit ihrer Netze. HGÜs wandeln den Wechselstrom bei der Energieerzeugung in Gleichstrom für die Übertragung um und anschließend wieder in Wechselstrom für den Verbrauch. Die Technologie stellt sicher, dass Energie von intermittierenden Quellen mit einer Spannung ins Netz eingespeist werden, die eine stabile Energieversorgung sicherstellt. Hinzu kommt, dass HGÜ große Mengen von Energie über lange Strecken effizient übertragen kann. Das macht es zur idealen Technologie, um Energie von abgelegenen Quellen zum Zentrum der Nachfrage zu bringen.

Viele dieser Technologien sind schon längst im Einsatz - aber erst ihre sinnvolle Kombination wird zu einem wirklich intelligenten Netz führen. Dabei ist Kompatibilität essentiell für das Smart Grid - und der Schlüssel zu Kompatibilität sind Standards. Diese müssen an vielen Stellen aber erst noch geschaffen werden. Das Ergebnis wird ein Netz sein, das weitgehend automatisiert ist und sich selbst überwacht. Dabei ist Technologie ein Mittel zum Zweck - ein Smart Grid definiert sich durch die Möglichkeiten, die es bietet.

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