Doppelte Flächennutzung Beere trifft Photovoltaik: Größte Agri-PV-Anlage im Obstbau eröffnet

Feierliche Eröffnung in Oberkirch-Nussbach: Kernstück der neuen Agri-PV-Anlage ist ein nachgeführtes System, bei dem eine Hälfte der Reihen unter Einbezug von pflanzenphysiologischen Gesichtspunkten nachgeführt, die andere Hälfte rein nach sonnenoptimierten Parametern gesteuert wird.

Bild: Fraunhofer ISE
15.04.2024

Im Forschungsprojekt „Modellregion Agri-Photovoltaik für Baden-Württemberg“ entwickelt ein Konsortium aus 13 Projektpartnern unterschiedliche Agri-PV-Pilotanlagen in Baden-Württemberg. Nun ist die fünfte Anlage des Projekts eröffnet worden: Auf dem Obsthof Vollmer in Oberkirch-Nussbach liegt der Fokus auf einer Kombination von Kern- und Beerenobst mit unterschiedlich nachgeführten PV-Modulen.

Das Forschungsprojekt „Modellregion Agri-Photovoltaik für Baden-Württemberg“ unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE hat zum Ziel, Agri-Photovoltaik-Anlagen für Baden-Württemberg zu bauen und zu erforschen. Erste Zwischenergebnisse zeigen dabei, dass nicht nur die unter den Anlagen gebauten Kulturen von der teilweisen Verschattung profitieren, sondern auch die PV-Module wegen der Kühlung durch die Pflanzen mehr Strom produzieren als vorab angenommen. Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, hat am 12. April 2024 nun die mittlerweile fünfte Anlage des Projekts eröffnet: auf dem Obsthof Vollmer in Oberkirch-Nussbach.

„Zuletzt konnten wir Rekordzahlen beim Ausbau von Photovoltaik in Baden-Württemberg verzeichnen. Um die Energiewende erfolgreich zu meistern, müssen die Zahlen für Freiflächen-PV allerdings noch weiter an Fahrt aufnehmen“, sagt Baumann bei seiner Eröffnungsrede auf dem Obsthof Vollmer. „Die Flächen sind begrenzt. Der große Vorteil von Agri-PV ist, dass wir Raum doppelt nutzen können. Das bringt den Solar-Ausbau und somit die Energiewende weiter voran. Daher ist die heutige Einweihung der Anlage in Nußbach als größte Agri-PV-Anlage im Obstbau in Deutschland ein wichtiges Zeichen.“

Unerwartete Stromproduktion

Bei der ersten Agri-PV-Anlage des Projekts über Apfelbäumen in Kressbronn am Bodensee konnten bereits zwei Jahre lang Messungen durchgeführt werden. Dabei stellten die Wissenschaftler fest: Der Obsthof konnte auf der Fläche unter der Agri-PV-Anlage 70 Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen und den Bewässerungsbedarf um 50 Prozent reduzieren. Der sich durch den Klimawandel verstärkenden Tendenz von zu viel Sonne und zu wenig Wasser für die Apfelbäume wurde erfolgreich entgegengewirkt.

Die Agri-PV-Anlage produzierte dabei über 20 Prozent mehr Strom, als das Konsortium auf Basis der Simulationen erwartet hatte. Die genauen Gründe hierfür sind noch Gegenstand weiterer Untersuchungen; das Forschungsteam vermutet, dass eine Kombination aus Verdunstungskühlung und Hinterlüftung den wichtigsten Beitrag für die erhöhten Stromerträge leistete. „Es profitieren nicht nur die Pflanzen von der PV-Anlage, sondern auch die PV-Anlage von den Pflanzen, wenn man die Agri-PV-Anlage passend plant“, fasst Oliver Hörnle, Projektleiter am Fraunhofer ISE, die Zwischenergebnisse auf der Eröffnung zusammen.

Die neu eingeweihte Agri-PV-Anlage in Oberkirch-Nussbach umfasst vier Teile. Neben dem Stromertrag aus fest montierten PV-Modulen über Kiwis, Birnen, Äpfeln und Zwetschgen mit vollverschattenden Modulen und einem an Folientunnel angelehnten System im Beerenbau mit semitransparenten Modulen ist das Kernstück des Projekts ein nachgeführtes System mit vollverschattenden Modulen. „Das Besondere an der nachgeführten PV-Anlage ist die Halbierung der 140 m langen Reihen“, erklärt Landwirt und Unternehmer Dr. Hansjörg Vollmer, auf dessen Hof die Anlage gebaut wurde. „Die eine Hälfte der Reihen wird unter Einbezug von pflanzenphysiologischen Gesichtspunkten nachgeführt, die andere Hälfte rein nach sonnenoptimierten Parametern gesteuert.“

Die hierfür am Fraunhofer ISE entwickelten Nachführ-Algorithmen werden ab Mitte 2024 im Anlagensystem des Projektpartners Intech Clean Energy erprobt. Die agrarwissenschaftliche Begleitforschung übernimmt das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg.

Kein Nutzungskonflikt

Übergeordnetes Ziel von „Modellregion Agri-Photovoltaik für Baden-Württemberg“ ist es, offene Fragen zur dualen Nutzung von Flächen für Landwirtschaft und Solarstromerzeugung zu beantworten. Mit der Entwicklung und dem Bau maßgeschneiderter Pilotanlagen an neun unterschiedlichen Standorten mit verschiedenen Obst- und Beeren-Kulturen soll die Machbarkeit verschiedener vielversprechender Anwendungsbereiche und Technologien untersucht und Auslegungsvarianten erforscht werden. Gefördert wird das bis Ende 2024 laufende Forschungsvorhaben von den Landesministerien für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft sowie für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz.

„Die ‚Modellregion Agri-Photovoltaik Baden-Württemberg‘ zeigt, dass PV-Einsatz und Landwirtschaft eine fruchtbare Symbiose eingehen können, ohne in einen Nutzungskonflikt um die Fläche zu treten“, resümiert Baumann.

Bildergalerie

  • Zu sehen ist die Agri-PV-Anlage in Oberkirch-Nussbach von oben.

    Zu sehen ist die Agri-PV-Anlage in Oberkirch-Nussbach von oben.

    Bild: Fraunhofer ISE

  • Unter der Agri-PV-Anlage auf dem Obsthof Vollmer werden Zwetschgen, Äpfel, Birnen, Kiwi und Brombeeren angepflanzt.

    Unter der Agri-PV-Anlage auf dem Obsthof Vollmer werden Zwetschgen, Äpfel, Birnen, Kiwi und Brombeeren angepflanzt.

    Bild: Fraunhofer ISE

  • Von der Beschattung könnten nicht nur die Pflanzen profitieren: Auch die PV-Module erzeugten in anderen Anlagen des Projekts unerwartet viel Strom.

    Von der Beschattung könnten nicht nur die Pflanzen profitieren: Auch die PV-Module erzeugten in anderen Anlagen des Projekts unerwartet viel Strom.

    Bild: Fraunhofer ISE

  • Bei der Eröffnung der Anlage auf dem Obsthof Vollmer war unter anderem der Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Dr. Andre Baumann (Dritter von rechts) zugegen.

    Bei der Eröffnung der Anlage auf dem Obsthof Vollmer war unter anderem der Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Dr. Andre Baumann (Dritter von rechts) zugegen.

    Bild: Fraunhofer ISE

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