Dr. Felix Hanisch war mit diesem Beitrag im P&A-Kompendium 2019 als einer von 100 Machern der Prozessindustrie vertreten. Alle Beiträge des P&A-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen .
Als Ingenieur lernt man das Denken in Systemen, als Automatisierer obendrein das in Regelkreisen. Wenn ich ein paar Freunde daheim zum Essen einlade und ihnen einen Festbraten vorsetzen möchte, dann arbeite ich mit einem Ofen, dessen Innentemperatur gemessen und von der Ofenelektronik geregelt wird. Im Braten steckt ein weiteres Thermometer, dass die Kerntemperatur misst.
Die Gardauer endet bei Erreichen der Zieltemperatur, die abhängig von der gewünschten Produkteigenschaft (rare, medium, well) gewählt wurde. Beide Systeme, Braten und Ofen stehen offensichtlich in Wechselwirkung, die Heizleistung des einen bestimmt die Zustandsänderung des anderen (Braten) über die Zeit.
Mit digitaler Vernetzunng Dynamik steuern
Während sich dieser Prozess gut vorbereitet autonom in der Küche abspielt, wird im System „Freundeskreis“ vielleicht über einem ersten Glas Wein schon munter über digitale Disruption kommuniziert. Fakten und Emotionen bilden die Datenströme, die verbal und durch Gestik und Mimik mehrkanalig ausgetauscht werden und bei den einzelnen Teilnehmern unterschiedlichste Reaktionen auslösen können.
Je nach Zusammensetzung der Runde kann das System auch instabil werden: Ein Wort kann das andere geben, die Gemüter sich so stark erhitzen, dass ein Teilnehmer die Runde verlässt, noch bevor die Kerntemperatur des Bratens die Sollwertschwelle erreicht hat.
Die Systeme Küche und Freundeskreis können digital vernetzt sein: Im Smart Home sendet der Herd die aktuell gemessene Kerntemperatur auf das digitale Endgerät des Koches, vielleicht gar verbunden mit einer prädiktiv ermittelten Restgardauer. Mit dieser Zusatzinformation ausgestattet vermag der gastgebende Koch die Dynamik seiner Diskussionsrunde zu steuern, um sie punktgenau zu Tisch zu bitten, hoffentlich bevor erste Elemente sich aus dem System Freundeskreis herausgelöst haben.
Digitale Geschäftsmodelle schaffen
Ähnlich vielfältig sind die Prozesse und Systeme der Prozessindustrie, deren Basisautomatisierung seit über dreißig Jahren digitalisiert ist. Neu ist die engere Einbindung in die – auch firmenübergreifenden – Wertschöpfungsketten. Mit Industrie 4.0 werden mehr und mehr Systeme unmittelbar miteinander verknüpft, um eine Ende-zu-Ende-Automatisierung der Supply Chain zu erreichen. Dafür brauche ich valide Messungen – in der Anlage genauso wie im Markt.
Ich muss das Verhalten von Lieferkette und Markt modellieren, um als Unternehmer zukunftsrichtige Entscheidungen zu treffen. Dafür muss ich immer häufiger agil vorgehen, inkrementell Lösungen zum Kunden bringen und die Reaktion des Systems in die nächste Iteration einbauen. Ich muss Datenströme vernetzen, Daten über Kontext zu Informationen und schließlich Entscheidungsautomatismen erweitern. Auf diese Weise schaffe ich digitale Geschäftsmodelle, die auf der starken industriellen Basis in Deutschland aufbauen.
In der Namur habe ich Menschen angetroffen, die viele dieser Elemente verstehen und mit großer Kompetenz immer weiterentwickeln. Sie machen das inzwischen in enger Zusammenarbeit mit Herstellern und anderen Verbänden. So entsteht ein Innovationsmotor, der immer besser synchronisiert läuft. Davon ein Teil zu sein, hat mich bewogen, mich im Namur-Vorstand zu engagieren.