Fachbeitrag Weiß-blaue Energiewende

11.04.2012

Ein Jahr nach Fukushima ist auch in Bayern in Sachen Energiepolitik nichts mehr, wie es war. Das Land, das einen Großteil seiner Stromversorgung aus der Kernenergie bezieht, steht vor einem großen Wandel. Und setzt auf Wasserkraft. Schafft das Land die Wende?

Weiß-blauer Himmel, hohe Berge, grüne Wälder, saftige Wiesen - das verbinden viele Touristen mit Bayern. Abgesehen vom Bier. Ein Großteil des Landschaftsbilds ist das Zeugnis bäuerlicher Arbeit. Dabei dient mittlerweile nur noch ein Teil der Fläche zur Herstellung von Nahrungsmitteln und zur Viehhaltung, immer mehr Platz wird für den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen genutzt, wie Energiepflanzen und Holz zur Energiegewinnung. Somit wird der traditionelle Vieh-, Milch- oder Ackerbauer zum Energiebauern. Und die Erneuerbaren sichern Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Einen Anteil von 25 Prozent haben sie an der Stromerzeugung in Bayern.

Dieser Wert muss ausgebaut werden, will man die Wende schaffen. Denn noch dominieren Kernkraftwerke die Energielandschaft - sie erzeugen die Hälfte des Stroms im Freistaat. Damit sie vom Netz gehen können, muss noch einiges passieren. So müssen zum Beispiel die Stromnetze in ganz Deutschland ausgebaut und erneuert werden, damit Bayerns Stromversorgung auch nach Abschaltung der Kernkraftwerke gesichert bleibt. Denn wenn Ende 2022 das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wird, müssen die Leitungen große Strommengen aus Norddeutschland und dem Ausland nach Bayern transportieren. Zum Beispiel aus Offshore-Windanlagen. Und zwar über viel längere Strecken als bisher. Darauf ist der Freistaat angewiesen wie kein anderes Bundesland, wie eine Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) belegt.

Netzausbau und Speicher

„Das deutsche Stromnetz muss schnellstmöglich ausgebaut werden, und zwar quantitativ und qualitativ, langstreckig ebenso wie kurzstreckig“, fordert VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Die Netzstudie zeige, dass sich mit dem geplanten Ausbau auf 380-kV-Ebene allein der Kernenergieausstieg und der Ausbau der Erneuerbaren in Bayern keinesfalls bewältigen lasse.

Experten gehen davon aus, dass das Höchstspannungsnetz in Bayern um rund 240 Kilometer und das Mittelspannungsnetz um bis zu 43.000 Kilometer ausgebaut werden muss. Beim Niederspannungsnetz rechnen die Fachleute mit einer Erweiterung von bis zu 82.500 Kilometern.

„Wenn es bis 2022 nicht gelingt, ausreichende Ausgleichskapazitäten im Bereich der Stromerzeugung zu schaffen, könnte Bayern von anderen Bundesländern oder auch angrenzenden Ländern abhängig werden“, ist Josef Hasler, Vorstandsvorsitzender des Energieversorgers N-Ergie in Nürnberg überzeugt „Wenn wir bis 2022 über ausreichend Ersatzkapazitäten verfügen wollen, muss die bayerische Energiepolitik jetzt die Voraussetzungen für den Kraftwerksbau und deren netztechnische Einbindung schaffen“, mahnt er.

Doch mit dem Ausbau der Netze ist es nicht getan. Um eine sichere Versorgung gewährleisten zu können, sind Energiespeicher ebenfalls unverzichtbar. Sie helfen den Strom aus Erneuerbaren, der starken Schwankungen unterliegt, zu integrieren. Das kann mit Pumpspeicher- und natürlichen Speicherkraftwerken, geschehen, etwa an Stauseen.

Investitionen in Erneuerbare

Das alles kostet natürlich. Die Landesregierung will darum in den kommenden fünf Jahren mehr als eine Milliarde Euro in die Energiewende und den Klimaschutz investieren, 126 Millionen davon bereits 2012. Dabei möchte Bayern auch die Erforschung von Langzeitspeichern umfassend fördern. Weitere Schwerpunkte sollen auf den Investitionen in die Übertragungs- und Verteilnetze liegen sowie auf dem ökologischen Ausbau von Wasserkraft.

Denn die hält der bayerische Umweltminister Marcel Huber (CSU) für einen wesentlichen Bestandteil der Energiewende in Bayern. In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse sagte Huber, es solle bei den 6000 bestehenden Querbauwerken, wie Stauanlagen, geprüft werden, ob eine ökologisch-verträgliche energetische Nutzung des gestauten Wassers erreicht werden kann. Dazu sei man auf der Suche nach geeigneten Standorten für neue Pumpwerke. Derzeit habe Bayern bei Pumpspeicherkraftwerken eine Kapazität von 540 MW. Das Leistungspotenzial neuer Pumpspeicherwerke liege bayernweit bei rund 2000 bis 3000 MW.

Energie innovativ

Allgemein will die Regierung den Anteil der erneuerbaren Energie an der Stromproduktion verdoppeln: Von einem Viertel auf die Hälfte innerhalb der nächsten zehn Jahre. Das wurde im Mai2011 mit dem bayerischen Energiekonzept „Energie innovativ“ beschlossen. Die größten Zuwächse beim erneuerbaren Strom sollen dabei Photovoltaik und Windenergie erzielen.

Die Versorgungslücke, die durch den Verzicht auf Kernenergie entsteht, soll durch zusätzliche Stromerzeugung auf Gasbasis in Bayern und Stromlieferungen aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen außerhalb Bayerns geschlossen werden - aber nicht mit Kernkraft und Kohle aus Nachbarländern. Hans Urban, stellvertretender Geschäftsführer bei Schletter Solar, ist zuversichtlich: „Wegen des hohen Kernkraftanteils besteht momentan eine Menge Nachholbedarf. Mittelfristig sollte und wird aber Bayern mindestens genauso stark wie die anderen Bundesländer sein.“

Deutscher Solarmeister

Vor allem in der Photovoltaik sehen viele Unternehmer noch Potenzial. Hans Urban bewertet sie „als einzige regenerative Energieform in Bayern, die noch wesentlich ausbaubar ist und Kostensenkungspotenzial aufweist“.

PV-Anlagen gibt es viele im Freistaat, er ist sozusagen Deutscher Solar-Meister. 2011 wurden laut Meldedaten der Bundesnetzagentur deutschlandweit 238.719 PV-Anlagen mit 7485MWp Leistung neu installiert, 73.837 davon in Bayern mit einer Leistung von 1744 MWp. Nordrhein-Westfalen folgt abgeschlagen auf dem zweiten Platz mit 38.821 Anlagen und 982 MWp. Insgesamt dürfte sich die installierte Kapazität in Bayern mittlerweile auf etwa 7,3 GWp belaufen, in ganz Deutschland auf rund 24,8. Somit erreicht der Freistaat bereits über 29 % der gesamt Photovoltaik-Kapazität im Land.

Diese hohen Zahlen sind kein Wunder, scheint doch in Bayern im langjährigen Mittel die Sonne 1400 bis 1700 Stunden pro Jahr. Die mittlere jährliche Sonnenscheindauer in Deutschland beträgt 1528 Stunden. Die höchsten Werte mit bis zu 1800 Stunden erzielt das Allgäu.

Beste Voraussetzungen also für Solarenergie. Doch auch die Windkraft, die bisher eher eine untergeordnete Rolle spielt, soll nun zu einem veritablen Energielieferanten ausgebaut werden: Von derzeit 0,7 % Anteil am Stromverbrauch auf 6 bis 10 % bis 2021.

So entsteht zum Beispiel in Bad Neustadt in Unterfranken ein Windpark mit 14 Windrädern - einer der größeren nach bayerischen Maßstäben. Der genossenschaftliche Raiffeisen-Windpark „Streu & Saale“ soll ab 2014 eine Leistung bis zu 45 MW erbringen.

Energie aus Thermalquellen

Auch die südbayerischen Thermalwasservorkommen haben Potenzial undbieten die Möglichkeit zur geothermischen Wärmeversorgung aus landeseigenen Ressourcen. Bei Temperaturen ab 80°C kann auch grundlastfähiger Strom produziert werden. Das ermittelte Potenzial liegt bei etwa 300 MW für die Wärmenutzung und 25 MW für die Stromerzeugung. Bis zum Jahr 2021 soll die Tiefengeothermie knapp 1 % des Gesamtenergieverbrauchs und rund 0,6 % des Stromverbrauchs decken.

In Oberhaching-Laufzorn gab es beispielsweise bei Bohrungen 2009 eine der besten Fündigkeiten Deutschlands. Mit einer Förderrate von 130 bis 140 Litern je Sekunde und einer Temperatur von bis zu 130 °C kann neben Wärme auch Strom erzeugt werden. Die Fertigstellung ist für Frühjahr 2012 geplant. Die installierte Leistung soll 40 MW Wärme und 3,5MW Strom betragen.

Aufgrund der starken Landwirtschaft und des Waldreichtums spielt in Bayern die Biomassenutzung schon seit Jahren eine große Rolle. Sie ist derzeit einer der wichtigsten erneuerbaren Energieträger. Für mehr Effizienz sollen nun die bei bestehenden Anlagen meist noch ungenutzten Abwärmepotenziale besser ausgeschöpft werden.

�?nderung Landschaftsbild

Mit steigendem Anteil an erneuerbaren Energien verändert sich zwangsläufig auch das Landschaftsbild. Darin sehen manche Einheimische die Gefahr von Nutzungskonflikten zwischen Energieerzeugern und Landwirtschaft. „Der Zubau von 1000 bis 1500 Windrädern bis 2020 wird das Landschaftsbild prägen“, so N-Ergie-Chef Josef Hasler. Doch „wenn es gelingt, die Bürger aktiv einzubinden, wird die Energiewende auf Ebene der Energieerzeugung gelingen“. Bei der Biomassenutzung müsse jedoch verstärkt daran gearbeitet werden, dass es nicht zu Monokulturen kommt.

„Doch der Nachteil blauer Dächer ist mit dem Risiko eines GAUs nicht vergleichbar. Von der nicht geklärten Entsorgungsfrage ganz abgesehen“, so Solarunternehmer Hans Urban.

Forderungen an die Politik

Für viele Unternehmen ergeben sich durch die Energiewende erhebliche Umstrukturierungen. Einen Blackout befürchten die einen, andere sehen die Wende als Chance auf Technologiesprünge, Exportchancen oder gar die Marktführerschaft. „Durch den Ausbau der Erneuerbaren wird der Wirtschaftsstandort Bayern gestärkt“, meint Josef Hasler. Dennoch sieht er auch Herausforderungen und erwartet von der Landespolitik Einfluss auf die Bundesregierung. Und Hans Urban fordert Konzepte statt Lippenbekenntnisse: „Die Politik muss die Weichen stellen.“

Dabei würden Unternehmen die Regierung am liebsten als Schrittmacher sehen. So auch Dr. Ulrich Möhl von YIT, Anbieter von Gebäudetechnik: „Vor allem muss die öffentliche Hand ihre Vorbildrolle bei der Reduzierung des Energieverbrauchs aktiv wahrnehmen.“

Quellen

BStMWIVT, BStMUG, BStMELF, Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, Bayerische Staatsregierung, VBW, BSW Solar, Bundesnetzagentur,

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