Fachbeitrag Strategien für das Messwesen


Gewappnet: Rechtzeitige Entscheidungen über die Strategie fördern ein reibungslos und exakt funktionierendes Messwesen der Zukunft.

01.02.2012

Die Trennung der Marktrollen ist noch unvollständig, bietet aber interessante strategische Optionen. Wesentlich ist dabei, wettbewerbliche Leistungen und gesetzliches Pflichtprogramm zu trennen. Die Betrachtung von vier Basis-Szenarien erleichtert die Entscheidung.

Smart ist auf dem Vormarsch - auch in der Energiewirtschaft. Zeitgleich schreitet die Liberalisierung der Marktrollen Messstellenbetreiber und Messdienstleister voran. So sind mit den Wechselprozessen im Messwesen (WiM) nun verbindliche Abläufe definiert. Weitere konkrete Anforderungen an Smart Grids ergeben sich auch aus dem EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) 2011.

Die meisten Energieversorger haben momentan alle Hände voll zu tun, die gesetzlichen Regelungen und regulatorischen Vorgaben zu erfüllen. Statt strategisch zu planen, sind viele gezwungen, operativ zu reagieren. Auch im neu entstehenden Markt des Messwesens gibt es zahlreiche Fragen, auf die weder Energieversorger noch Netzbetreiber einheitliche Antworten haben.

Die Unsicherheit über die Entwicklung des Marktes und der neuen Technologien ist weiterhin groß, ein tragfähiges Geschäftsmodell noch nicht in Sicht. Trotzdem müssen sich vor allem Netzbetreiber mit den kommenden Veränderungen auseinandersetzen. Wie sehen die Strategien für das Messwesen aus, an der die Aufgaben der Messstellenbetreiber und Messdienstleister ausgerichtet werden? Wo sollen die Aufgaben zukünftig angesiedelt werden? Was sind die Pflichtaufgaben?

Zurzeit ist die Trennung der Marktrollen nicht vollständig. Nach wie vor ist der Netzbetreiber als „Notfall-Messstellenbetreiber“ in der Pflicht, eine Grundversorgung im Messwesen zu übernehmen, wenn ein fremder Messstellenbetreiber seinen Messbetrieb einstellt. Auch wird der Netzbetreiber zum Manager aller Messpunkte in seinem Netzgebiet: Er muss den Messbetrieb durch andere Messstellenbetreiber zulassen, die notwendigen Verträge hierzu abschließen und wie bisher alle bilanzierungs- und abrechnungsrelevanten Messdaten vorhalten, verarbeiten und weiterleiten - auch wenn er selbst die Messung gar nicht mehr vornimmt. Ebenso ist der Netzbetreiber in der Verantwortung, die Messwerte anderer Messstellenbetreiber zu plausibilisieren und Ersatzwerte zu bilden.

Energielieferung & Messwesen

Aufgrund seiner Historie hat der Netzbetreiber für die meisten seiner Messpunkte noch immer die Marktrolle des Messstellenbetreibers inne. Und diese Doppelrolle kann er nicht so einfach abgeben. Denn eine aktive Übertragung der Kundenbeziehung für Messstellenbetrieb und Messdienstleistung durch einen Netzbetreiber an einen externen Messstellenbetreiber und Messdienstleister ist nicht möglich. Dieser Übergang kann nur dann erfolgen, wenn der Endkunde es wünscht. Andererseits kann der Netzbetreiber mit der Öffnung des Messwesens die Rolle des Messstellenbetreibers und Messdienstleisters bei den Anschlusskunden in seinem Netzgebiet verlieren, bei denen fremde Messdienstleister die Messaufgaben übernehmen.

Aus der Trennung von Marktrollen und Geschäftsmodellen ergeben sich für Energieversorger zahlreiche strategische Optionen, wie die gesetzlichen Vorgaben erfüllt und das Messgeschäft ausgeweitet werden kann. Zum Beispiel in Kombination mit Strom- und Gaslieferprodukten oder zusammen mit den Möglichkeiten eines Geschäftsmodells rund um Smart Meter. Herzstück jeder Entscheidung ist dabei die Trennung von wettbewerblichen Leistungen und gesetzlichem Pflichtprogramm. Abhängig vom eingeschlagenen Weg werden unterschiedliche organisatorische und prozessuale �?nderungen erforderlich. Die Aufgabenliste für Netzbetreiber und Messstellenbetreiber ist auf jeden Fall sehr lang.

Je nach Energieversorger gibt es auf die Frage, wie das Messwesen zukünftig organisiert wird, unterschiedliche Antworten. Wichtig dabei ist, rechtzeitig die passende Lösung zu finden, ohne sich zu sehr an anderen Marktteilnehmern zu orientieren. Das Dilemma bei diesem Thema: Die Konsequenzen heutiger Entscheidungen reichen weit in die Zukunft und müssen daher zur Entscheidungsfindung sichtbar gemacht werden.

Szenarien abwägen

Als Ausweg aus den strategischen und organisatorischen Ungewissheiten im Messwesen bietet sich die Szenariotechnik an. Damit lassen sich mögliche Situationen im zukünftigen Energiemarkt aufzeigen und unter unternehmensspezifischen Gesichtspunkten analysieren. Zur organisatorischen Einordnung des Messstellenbetreibers und Messdienstleisters bieten sich vier Möglichkeiten/Szenarien an:

Einordnung beim Netzbetreiber Hierbei lassen sich bestehende Kompetenzen sowie Prozesse nutzen. Allerdings muss der Netzbetreiber Auswirkungen auf die Anreizregulierung berücksichtigen. Alle Dienstleistungen müssen diskriminierungsfrei angeboten werden; Sonderrechte für einen assoziierten Vertrieb sind nicht möglich. Einordnung beim VertriebBei einer vertriebsnahen Ansiedlung des Messwesens lassen sich Messgerät und Liefervertrag koppeln. Das dient der Kundenbindung, aber auch der zeitlichen Investitionsabsicherung und ermöglicht eine Optimierung der Wettbewerbsposition durch innovative und marktgerechte Produkte. Ebenso können Anforderungen von § 40 EnWG 2011 einfacher erbracht werden. Zu beachten ist, dass der Vertrieb die Grundmessdienstleistung nicht erbringen kann, da der Vertrieb ansonsten auch Einblick in Daten von Fremdlieferanten erhält. Outsourcing an eigene MessgesellschaftDie Gründung eines eigenen, sich dem Wettbewerb stellenden Mess-Unternehmens eröffnet die Möglichkeit, ein neues Geschäftsfeld mit eigenem strategischen Fokus und Ergebnistransparenz aufzubauen. Grundmessdienstleistung und Zusatzdienstleistung können angeboten werden. Outsourcing an DritteEin unabhängiger Dritter übernimmt den Messstellenbetrieb und die Messdienstleistung. Kompetenz und Flexibilität des Dienstleisters lassen sich nutzen, Investitionen vermeiden.

Agieren statt Reagieren

Die organisatorische Positionierung von Messstellenbetreiber und Messdienstleister ist je nach Ausrichtung des jeweiligen Unternehmens individuell zu treffen. Richtschnur dabei ist: Welches Szenario bietet die größte Handlungsfähigkeit? Ist die Richtung und der einzuschlagende Weg einmal entschieden, lassen sich auch konkrete Projektschritte definieren. Was passiert aber beim Auftreten zusätzlicher Informationen, die auf regulatorischen und rechtlichen Gegebenheiten, auf Technik- oder Marktneuigkeiten beruhen? Grundsätzlich ergeben sich hierdurch keine wesentlichen Zieländerungen, denn diese Eventualitäten sind jetzt mess- und bewertbar. Abhängig vom Einfluss künftiger Veränderungen können passende Maßnahmen nun schnell und rechtzeitig eingeleitet werden.

Der Energieversorger verlässt damit die bisher passive Rolle des Schadensbegrenzers und wandelt sich zu einem agierenden, die Geschäftsentwicklung vorantreibenden Marktteilnehmer. Dabei ist festzuhalten, dass ohne eine grundsätzliche Entscheidung die zusätzlichen Informationen zwar zu beschreiben wären. Deren unternehmensspezifische Auswirkungen wären allerdings nicht bewertbar. Im Zweifel reagiert das Energieversorgungsunternehmen nur um des Handelns willen, etwa weil der Markt das auch tut, was zu den bereits erwähnten strategischen Problemen führen kann.

Zur Sicherung eines individuellen und zielgerichteten Handelns im Markt reicht eine strategische Entscheidung zur Positionierung des Messwesens allein nicht aus. Zum Gelingen müssen die Auswirkungen und �?nderungen auch erkannt und beurteilt werden, um Organisation, passende Prozesse sowie eine leistungsfähige IT rechtzeitig aufzubauen. Denn sicher ist: Die Menge an Messdaten wird enorm wachsen.

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