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Trends in der Wasser- und Abwassertechnik „Es geht nicht um ein Mehr, sondern um ein Verstetigen der Forschung“

„Folgt man Schätzungen der UN, so wächst die Weltbevölkerung bis 2050 auf über 9 Milliarden bei einem Urbanisierungsgrad von rund 80 Prozent. All diese Menschen in teils neuen Infrastrukturen mit Wasser, Nahrung und Energie zu versorgen, ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.“ Peter Gebhart, Betreuer der Fachabteilungen Rückkühltechnik und Wasser- und Abwassertechnik beim VDMA

Bild: VDMA
20.06.2017

Peter Gebhart ist Referent beim VDMA und Betreuer der Fachabteilungen Rückkühltechnik sowie Wasser- und Abwassertechnik. Wir haben mit ihm über den derzeitigen Stand der deutschen Wasser- und Abwassertechnik gesprochen. Neben der wirtschaftlichen Situation der Branche waren auch die aktuellen Trends und die Digitalisierung in der Wasserwirtschaft wichtige Themen.

publish-industry:

Die Exporte der deutschen Wasser- und Abwassertechnik sanken 2016 im Vergleich zum Vorjahr, wenn auch nur leicht, um 0,1 Prozent. Wie bewerten Sie das?

Peter Gebhart:

Mathematisch ist es natürlich korrekt, bei minus 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr von einem Sinken der Exporte deutscher Wasser- und Abwassertechnik zu sprechen. Ich würde jedoch gern von einem Behaupten auf hohem Niveau sprechen. Betrachten wir doch die Entwicklung der beim VDMA geführten Statistik der Exporte der Wasser- und Abwassertechnik in den letzten zehn Jahren. Zu sehen ist eine deutliche Steigerung von zunächst unter 600 Millionen Euro in 2007 über erstmalig mehr als 900 Millionen in 2012 bis zu den rund 977 Millionen Euro in 2015 und 2016.

Was hat Auswirkungen auf diese Entwicklung?

Auch sie hat den in vielen Statistiken sichtbaren Bruch bezüglich der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 bis 2009. Das verdeutlicht vielleicht am besten, welchen Einfluss politische und wirtschaftliche Entwicklungen für einzelne Teilbranchen des Maschinen- und Anlagenbaus haben. Und 2016 war diesbezüglich kein einfaches Jahr. In einem auch von politischen Unsicherheiten beeinflussten Marktumfeld mit deutlichen Schwankungen konnten die deutschen Anbieter von Wasser- und Abwassertechnik ihr hohes Exportniveau vor allem durch Zuwächse im Kernmarkt EU-28 und in Russland halten.

Was sind die derzeit wichtigsten Märkte?

In der Rangfolge der weltweit stärksten Exportmärkte steht China trotz eines Rückganges auf 88,5 Millionen Euro (minus 10,7 Prozent) weiter auf Rang eins, gefolgt von Russland, das durch einen deutlichen Zuwachs von 63 Prozent auf 69,4 Millionen Euro den zweiten Rang belegt, und Frankreich mit 61,9 Millionen Euro (plus 0,7 Prozent). Die USA fielen vom zweiten auf den vierten Rang zurück (54,5 Millionen Euro; minus 18,1 Prozent).

Muss die Industrie künftig umdenken?

Das glaube ich auch vor dem Hintergrund der genannten Zahlen nicht. Für die einzelnen Hersteller ist es vielmehr notwendig, stetig die Strategie bei der Bearbeitung wichtiger Einzelmärkte zu überprüfen und ebenso die Marktentwicklung sowie das dafür vorgehaltene Produktportfolio. Zu bilanzieren ist, dass es den deutschen Anbietern von Wasser- und Abwassertechnik auch 2016 gelungen ist, teilweise signifikante Rückgänge in einzelnen, wichtigen Märkten – zum Beispiel China und USA – durch ebenso deutliche Zuwächse in anderen Märkten – etwa Russland, Indien und Kanada – zu kompensieren. Die ausgeprägte Kompetenz der deutschen Unternehmen, spezifische und bedarfsgerechte Lösungen für viele und teils sehr unterschiedliche Regionen der Welt zu entwickeln und anzubieten, ist ein Schlüssel für den anhaltenden Erfolg.

Was erwarten Sie für die nächsten Jahre?

Die Aufgaben werden nicht kleiner. Folgt man Schätzungen der UN, so wächst die Weltbevölkerung bis 2050 auf über 9 Milliarden mit einem Urbanisierungsgrad von rund 80 Prozent. Alle diese Menschen in teils neuen Infrastrukturen mit Wasser, Nahrung und Energie zu versorgen, ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Ein nachhaltiges Wassermanagement ist ein Schlüssel dazu und bietet für exportorientierte Unternehmen der Investitionsgüter­industrie große Chancen. Die deutschen Firmen sind hier gut aufgestellt. Mit innovativen Konzepten und Systemen bieten sie weltweit maßgeschneiderte Lösungen für eine sichere Trink- und Frischwasserversorgung, die effiziente Nutzung von Prozesswasser und eine effiziente Abwasserbehandlung an.

Was sind die aktuellen Themen in der Wasser- und Abwassertechnik?

Ich bin davon überzeugt, dass Themen wie die Rückgewinnung von Wertstoffen aus Prozess- und Abwasser und das Bemühen um weitgehende Schließung von Wasserkreisläufen nicht nur nach wie vor aktuell sind, sondern es bleiben Zukunftsthemen. Das möchte ich gern auch noch um die energetische Nutzung des Abwassers und um die Energieeffizienz ergänzen. Insbesondere vor dem Hintergrund der angesprochenen Industrialisierung und Urbanisierung in vielen Weltregionen werden diese Themen noch längere Zeit auf der Agenda stehen. Erfahrungen, die hierzu in Europa gemacht werden, sind gleichzeitig Voraussetzungen für den künftigen Export­erfolg deutscher Anbieter und die Verbesserung von Wasserangebot und -qualität in vielen Regionen dieser Welt. Erwähnenswert sind an dieser Stelle etwa die Erkenntnisse bezüglich einer weiterführenden Abwasserbehandlung, einer „energieautarken“ Abwasserreinigungsanlage, der Phosphorrückgewinnung oder der Wieder- und Weiterverwendung von Prozesswässern.

In welchen Bereichen muss mehr geforscht, mehr entwickelt werden?

Das zu den genannten Themen geforscht wurde und wird ist wichtig und richtig. Aus meiner Sicht geht es aber nicht unbedingt um ein „Mehr“, sondern eher um ein Verstetigen dieser Forschung. Hierfür gibt es in Deutschland auch seit Jahren entsprechende Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA). Dort wird im Förderschwerpunkt „Nachhaltiges Wassermanagement“ (NaWaM) die Entwicklung innovativer Techniken, Verfahren und Systemlösungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Ressource Wasser gefördert. Ziel ist es, Schlüsseltechnologien fachübergreifend und in Zusammenarbeit mit der Industrie zu entwickeln, an sich ändernde Randbedingungen anzupassen und international zu verbreiten.

Nennen Sie uns bitte ein aktuelles Beispiel hierfür.

Derzeit greift etwa die Fördermaßnahme WavE („Zukunftsfähige Technologien und Konzepte zur Erhöhung der Wasserverfügbarkeit durch Wasserwiederverwendung und Entsalzung“) oben erwähnte Themen wie Wasserwiederverwendung und Kreislaufführung auf, erstmalig dezidiert auch für industriell genutztes Wasser. Ich habe die Ehre, diese Maßnahme in einem Lenkungskreis konstruktiv begleiten zu dürfen. Zum Thema Verstetigung von Forschung muss ich hier noch erwähnen, dass sich der VDMA seit längerer Zeit für die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung – ergänzend zur bestehenden Projektförderung – einsetzt, wie sie in fast allen europäischen Ländern längst gang und gäbe ist. Mit der Einführung dieser investitionsfördernden und Arbeitsplätze sichernden Maßnahme könnte insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen auf den internationalen Märkten langfristig gestärkt werden.

Dirk Waider, Vizepräsident des DVGW, meinte kürzlich, Wasser 4.0 gebe es nicht und die Digitalisierung sei in der Wasserwirtschaft in der Form nicht möglich. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Ich würde lieber über das Thema Industrie 4.0 und die damit einhergehende und notwendige zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen der Industrie sprechen. Sie erkennen daran, dass ich bezüglich einzelner 4.0-Wirtschaftsbereiche eher die Meinung von Herrn Waider teile. Spielen Sie das nur mal für die 38 Fachverbände des VDMA durch. Dann hätten wir allein von a wie Abfall- und Recyclingtechnik 4.0 bis v wie Verfahrenstechnik 4.0 eine Vielzahl an 4.0-Begrifflichkeiten. Und es gib ja noch viele Wirtschaftszweige neben dem Maschinen- und Anlagenbau. Ob dann überall das gleiche Grundverständnis zum Begriff, aber auch zu ganz praktischen Dingen wie beispielsweise Referenzarchitektur oder den Standards von Protokollen und Schnittstellen gilt, darf bezweifelt werden. Für den Maschinen- und Anlagenbau ist deshalb Industrie 4.0 der geeignete Begriff, der mit anderen Branchenverbänden geteilt wird. Das zeigt auch der Zusammenschluss von Bitkom, ZVEI und VDMA in der Plattform Industrie 4.0. Diese wurde seitdem weiter ausgebaut und steht inzwischen unter der Leitung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie des BMBF.

Wie weit ist die Digitalisierung in der Wasser- und Abwassertechnik fortgeschritten?

Ich denke, eine Blaupause für Industrie 4.0 gibt es nicht. Vielmehr gilt es, das Thema individuell für jedes Unternehmen, für jeden Industriezweig, jedes Anwendungsfeld zu betrachten. Industrie 4.0 ist heute keine Parallelwelt mehr. Digitalisiertes, vernetztes Produzieren und Wirtschaften zieht bereits in den Unternehmensalltag ein – auch in den der Wasserwirtschaft. Erste Anwendungsbeispiele aus Bereichen der Kanalnetzsteuerung, Verbrauchserfassung oder Einbindung smarter Komponenten wie etwa Pumpen und Armaturen zeigen das bereits.

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