Interview „Noch fünf bis sieben Jahre durchhalten“


Strategien eines Regionalversorgers: Michael Lucke ist Geschäftsführer des Allgäuer Überlandswerks AÜW.

11.09.2013

Mit seiner fast 100-jährigen Geschichte versteht sich das Allgäuer Überlandwerk als „Unternehmen der Generationen“. Seit fast zehn Jahren bringt Michael Lucke als Geschäftsführer frischen Wind in das Traditionsunternehmen und blickt mit Energy 2.0 in die Zukunft der Energieversorgung.

Energy 2.0: Herr Lucke, womit verdienen Energieversorger heute noch Geld?

Michael Lucke: Wir müssen uns von den Renditen der Vergangenheit verabschieden und das auch unseren Gesellschaftern klarmachen. Mit Netzen kann man aufgrund des derzeitigen Regulierungssystems noch Geld verdienen. Im Handel und Vertrieb sieht es dagegen eher schlecht aus. Bei Industriekunden, aber auch im Privat- und Gewerbesegment sind die Margen zusammengebrochen. Der Erzeugungsbereich läuft noch vernünftig, aber wenn ich mir die Frontjahre unserer Gas- und Kohlekraftwerke betrachte, kann man schon von einer Asset-Krise reden. Ich glaube aber, dass wir über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren durchhalten müssen, um dann zumindest die Kapitalkosten verdienen zu können. Aber das wird alles nicht mehr auf dem Niveau liegen, von dem wir kommen.

Was wird das neue Marktdesign bringen?

Ein ausgewogener Kapazitätsmarkt würde unsere Kohle- und Gas-Assets wieder in die Nähe von Profitabilitäten bringen. Aber ich bin Realist genug um zu sehen, dass Deutschland ein Wirtschaftsstandort mit einer starken Industrie-Lobby ist und die Politik daher genau auf die Energiepreise schaut. Was immer die Politik in dieser Legislaturperiode beschließt: Wenn 2018 zunehmend Altkraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Markt gehen, werden neue Kraftwerke wieder bessere Renditen erzielen. Aber das ist meine ganz persönliche Einschätzung. Ich kämpfe in den Verbänden dafür, dass sich die Investitionen aus den Jahren 2005 bis 2010 der kommunalen Unternehmen sich rechnen.

Nun planen Sie als regionaler Versorger gerade einen innovativen Schritt in der Wasserkraft. Wie schwierig fällt da die Umsetzung?

Die sehr harte Wasser-Rahmen-Richtlinie gibt uns wenige Möglichkeiten, neue Wasserkraftstandorte zu entwickeln. Wir haben aber gerade in Bayern eine Vielzahl von Wehrstufen, die man nutzen könnte. Oft sind es auch sanierungsbedürftige Wehre, und da glaube ich schon, dass wir auch mit Blick auf die Ökologie neue Kraftwerke errichten könnten. Innovative Kraftwerkstypen, die wir für solche Gegebenheiten testen, sind die sogenannten VLH- Kraftwerke, also Very-Low-Head-Kraftwerke. Das muss man sich vorstellen wie einen Propeller, den man in den Fluss setzt, der langsam dreht und den Fischen die Möglichkeit gibt, sich durch das Kraftwerk zu bewegen, ohne Schaden zu nehmen. Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen, aber wir müssen das heute ausprobieren, damit es morgen oder übermorgen wirtschaftlich ist. Ich glaube jedenfalls daran, dass diese Technologien zukunftsfähig sind.

Auch bei den Verteilnetzen gehen Sie neue Wege. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Irene-Projekt im Energiedorf Wildpoldsried, das die durch die Einspeisung von erneuerbaren Energien verursachte Belastung der Verteilnetze wieder auffangen soll?

Ja, diese steuerbare Ortsstation kombiniert mit einem Batteriespeicher ist eine Herzensangelegenheit von uns. Wir haben jetzt erste belastbare Ergebnisse aus der Praxis und gehen davon aus, dass wir durch solche Technologien allein im Allgäu rund 400.000 Euro jährliche Ausbaukosten für regenerative Energien einsparen können. Wir müssen jetzt eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen und wollen das auch volkswirtschaftlich hochrechnen um einen Diskussionsbeitrag für Deutschland liefern zu können, wie wir Netze „intelligent“ anlegen und vor allem nachhaltig betreiben können. Die Angst der Kritiker von Intelligenz ist ja oft, dass man jetzt in innovative Steuerungen und Messungen investiert, aber in 10 oder 15 Jahren doch wieder auf Kupfer umsteigen muss und dann die Volkswirtschaft vielleicht doppelt belastet.

Kann man Ihre Erfahrungen aus diesem Dorf auch auf die Verteilnetze in Städten übertragen?

Wenn man sie behutsam überträgt schon. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass ein zentraler Ortsnetzspeicher in einem gesunden Mischgebiet deutlich effizienter und am Ende des Tages ökonomischer sein wird als kleine Speicher in jedem Haus. Solche Modelle können funktionieren für Mittelstädte oder große Städte mit einem gesunden Verhältnis zwischen Einfamilien-, Zweifamilien- und Reihenhäusern, aber nicht zwingend für klassische Ballungsräume.

Außer der Technik braucht es auch noch Know-how. Wie können Versorger, die sich noch nicht mit solchen Themen beschäftigt haben, da schnell aufholen?

Wir haben dazu eine Tochtergesellschaft gegründet: Die Egrid Applications & Consulting GmbH hat die Aufgabe, zustandsbasierte Netzoptimierung durchzuführen, indem sie erst die bisherigen Planungsparameter hinterfragt, dann hochauflösend misst und bei Bedarf auch steuert. Dafür nutzen wir softwaregestütze Applikationen.

Um auch das Netz selbst zu betreiben?

Wohl höchstens punktuell oder gewisse Netzbereiche. Das hängt von einzelnen Unternehmen ab, inwieweit hier Handlungsbedarf besteht

Wie groß ist das Marktpotenzial für eine solche Dienstleistungs-Tochter?

Wir gehören in Bayern zu den zehn größten Netzbetreibern. Insgesamt gibt es 275 bayerische Netzbetreiber, darunter viele kleine, denen man mit dieser Technologie helfen kann. Mit unserem Technologiepartner Siemens können wir auch komplexe Netze optimieren.

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