Interview „Die deutsche Wirtschaft kann vom Boom der grünen Branchen profitieren.“

22.06.2012

Die Energiewende ist ein Gemeinschaftsprojekt und treibt Verbraucher, Wirtschaft und Politik gleichermaßen um. Wie man am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aktuelle Themen wie den Netzausbau, den Emissionshandel und die Lage auf dem Solarmarkt beurteilt, erläutert die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt.

Energy 2.0: Frau Prof. Kemfert, Sie weisen bereits seit Jahren darauf hin, dass wir am Klimaschutz sogar verdien könnten. Tatsächlich kommt die Energiewende aber nur schleppend voran. Wie sieht die Rechnung aktuell aus?

Prof. Dr. Claudia Kemfert: Bei der Energiewende in Deutschland geht es vor allem um Versorgungssicherheit, also eine verlässliche und sichere Energieversorgung, die uns unabhängig von Energiepreisschocks macht und somit in erster Linie auf heimische Energieträger setzt sowie das Energiesparen in den Vordergrund rückt. Die Investitionen in Klimaschutzmärkte lohnen sich in der Tat: ob nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, klimaschonende Antriebstechniken, Ressourcen und Materialeffizienz, Abfallverwertung oder intelligente Infrastruktur - in keinen Markt werden in den kommenden Jahrzehnten mehr Investitionen fließen als in die zukunftsweisenden Energie- und Mobilitätsmärkte.

Dass alle Menschen "Gutmenschen" sind, kann man ja nicht erwarten, aber warum verfängt das plausible wirtschaftliche Argument nicht?

Ich teile die Einschätzung nicht, dass die Unternehmen die riesigen wirtschaftlichen Chancen nicht erkennen. Im Gegenteil, es investieren immer mehr Unternehmen in die nachhaltigen Zukunftsmärkte. Die deutsche Wirtschaft kann wie keine andere vom Boom der grünen Branchen profitieren, wie dem Ausbau der Energieeffizienz, Energie-speicherung, intelligente Daten- und Energienetze, innovative Kraftwerkstechno-logien und Antriebstechnologien. Sie kann aber auch in den klassischen Umweltschutzbranchen wie Müllver-arbeitung, Recycling und Wasseraufbereitung weiterhin Weltmarktpotenziale ausbau-en. Die Hannover Messe dieses Jahr hat eindrucksvoll gezeigt, wie gut die deutschen Unternehmen auch internatio-nal aufgestellt sind. Aber die Konkurrenz schläft nicht: Das Partnerland China hat gezeigt, dass es ebenso Marktführer in den Umweltschutzmärkten werden will.

Die Kosten für CO2 sind sehr niedrig - ist das Experiment Emissionshandel gescheitert?

Derzeit gehen nicht die richtigen Signale vom Emissionshandel aus. Gerade weil man in Deutschland auf marktwirtschaftliche Instrumente setzen will, muss man jedoch wahrnehmen, dass der Emissionshandel derzeit weder die notwendigen Anreize zu Investitionen in Gaskraftwerke oder in den Ausbau der erneuerbaren Energien liefert, noch ist er als alleiniges Instrument geeignet, um die Energiewende umzusetzen. Daher ist es umso wichtiger, einerseits die Verbesserung des Emissionshandels auf EU-Ebene zu erwirken. Andererseits ist diese mangelnde Wirkung aber auch das beste Argument dafür, dass man sich eben nicht nur auf ein Instrument allein verlassen kann, sondern viele Instrumente benötigt wie etwa auch die weitere Förderung der erneuerbaren Energien.

Was sind Ihre Erwartungen für 2013 und danach? Welche Kurskorrekturen sind nötig und noch möglich?

Ich hoffe sehr, dass man sich in der EU darauf verständigt, das Überangebot an Zertifikaten zu vermindern. Derzeit sind viel zu viele Emissionszertifikate aus unterschiedlichsten Gründen um Umlauf, es wäre notwendig, diese Menge zu vermindern durch die sogenannte Set-Aside-Option. Weiterhin wäre es ebenso wünschenswert, wenn man die Minderungsziele erhöht. Ich hoffe sehr, dass dies im kommenden Jahr in Europa gemeinsam umgesetzt wird.

Viele relevante Länder fehlen im Handelssystem. Wie bekommt man sie ins Boot, wie hoch sind die Chancen, dass das in den nächsten Monaten und Jahren gelingt?

Ideal wären weltweit möglichst viele Länder, die sich an dem System beteiligen. In der Realität sieht man jedoch immer mehr Länder, die sich für andere Lösungen entscheiden oder keine deutliche Emissionsminderung anstreben. Ohnehin wird es schwer werden, Länder zum Klimaschutz über absolute Emissionsminderungsziele zu bewegen. Jedes Land muss jedoch Energie einsparen und die Energieeffizienz verbessern, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Welche Erwartungen haben Sie an den Netzentwicklungsplan?

Ich denke schon, dass der Netzentwicklungsplan den notwendi-gen Netzausbau voranbringen wird. Wichtig sind vor allem eine Netzoptimierung und eine intelligente Steuerung von Ange-bot und Nachfrage. In den Regionen, wo es tatsächlich Ausbauprobleme gibt, wie beispielsweise im Nordwesten Deutschlands zur Anbindung von Offshore-Windenergie, muss man Lösungen finden, die ausreichend Vertrauen in den weiteren Netzausbau geben.

Die EEG-�?nderung hat deutliche Bremsspuren in der Solarbranche hinterlassen. Treten wir zu schnell auf die Bremse?

Die Gründe für die Schwierigkeiten der Solarbranche beruhen im Wesentlichen auf zwei Dingen: Zum Einen haben sich die Produktionskosten in den letzten Jahren massiv vermindert. Insbesondere der stark zunehmende Wettbewerb aus Asien drückt die Kosten massiv nach unten. Zweitens hat die Nachfrage besonders in Deutschland in den letzten Jahren sehr stark zugenommen. Die Vergütungssätze aus der Förderung erneuerbarer Energien waren und sind noch immer hoch, auch wenn sie in der Vergangenheit sukzessive gesunken sind. Durch die vergleichsweise hohen Vergütungen und niedrigen Kosten ist die Nachfrage nach PV nochmals deutlich gestiegen. Die Branche konnte zwar von den Entwicklungen profitieren, gleichzeitig sind jedoch auch Überkapazitäten entstanden. Aufgrund der stark gesunkenen Kosten und auch um den Strompreis nicht weiter steigen zu lassen, hat die Bundesregierung völlig zu Recht beschlossen, die Vergütungssätze rasch und deutlich zu vermindern. Zwar ist sie teilweise mit den sehr drastischen und kurzfristigen sowie vor allem teilweise überverhältnismäßigen Kürzungen über das Ziel hinaus geschossen. Insgesamt ergibt die Absenkung der Vergütungskürzung jedoch Sinn.

Kann die deutsche Solarwirtschaft die Senkungen der Vergütungen und den Schlingerkurs der Politik verkraften?

Leider konnten sich bis heute Bund und Länder nicht auf eine rasche Anpassung einigen - das sollte sich schnell ändern, auch für die Solarbranche selbst. Weiterhin prüfen derzeit einige Bundesländer, inwieweit sie stark in Not geratene Solarunternehmen durch Bürgschaften oder den Erwerb von Firmenanteilen unterstützen können. Es gibt zahlreiche innovative und sehr gut aufgestellte Unternehmen, die nun aufgrund der beschriebenen Probleme in Schwierigkeiten geraten sind. Es kann durchaus sinnvoll sein, Unternehmen gezielt zu helfen. Insbesondere auch, weil die Solarbranche insgesamt eine Zukunftsbranche ist. Daher ist es besonders wichtig, dass sich die Unternehmen durch gezielte Innovationen und Kostensenkungen fit machen für den internationalen Wettbewerb. Denn gerade deutsche Solarunternehmen haben dann einen Wettbewerbsvorteil auf dem internationalen Markt, wenn sie qualitativ hochwertige und innovative Solartechnologie anbieten.

Die Länderplanung ist auch bei der Onshore-Windkraft noch offen. Schießen wir hier über das Bundes-Ziel hinaus?

Das sehe ich nicht, im Gegenteil. Es gibt ja Nachholbedarf bei der Windenergie in zahlreichen Bundesländern, wie beispielsweise in Bayern, Baden Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder auch in Hessen. Windenergie an Land hat zudem den Vorteil, dass sie deutlich preisgünstiger ist als auf See und somit die Verbraucher nicht so stark belastet.

Was bedeutet der Wechsel im Bundesumweltministerium für die Energiewende? Sehen Sie darin einen Rückschlag oder eine Chance?

Der Bundesumweltminister ist zuständig für den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und die Rückführung der Atomenergie. Die Zuständigkeiten für die Energiewende befindet sich ja bei vielen Ministerien, und nicht nur dem Wirtschafts- sondern beispielsweise auch dem Verkehrsminister, der für die CO2-Gebäudesanierung und nachhaltige Mobilität zuständig ist, aber auch die Bildungsministerin die für die Energieforschung zuständig ist. Daher kann man das Gelingen der Energiewende unter den derzeitigen Zuständigkeiten nicht dem Bundesumweltminister allein anlasten oder aufbürden.

Wird Energie "Chefsache"?

Ich denke schon. Das Gelingen der Energiewende ist ein zentrales Anliegen der derzeitigen Regierung.

Wäre ein Energieministerium spätestens in der nächsten Legislaturperiode wünschenswert?

Eindeutig ja - auf jeden Fall so schnell wie möglich. Dies habe ich übrigens auch schon im Jahre 2006 in einem Gastbeitrag der Süddeutschen Zeitung gefordert. Mittlerweile wird deutlich, dass es ohne eine verantwortliche Institution nicht geht. Dabei sollen die Interessen und Kompetenzen gebündelt- nicht aufgegeben - werden. Die Energiewende ist ein enorm wichtiges und langwieriges Projekt - ohne Energieminister wird diese Herkulesaufgabe nicht zu schaffen sein.

Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.

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