Fachbeitrag Ortsnetzstationen regeln und überwachen


Brennpunkt Ortsnetzstation: Eine vollautomatische Überwachung und Regelung von Ortsnetzen ist möglich.

03.09.2013

Das Smart-Grid-Projekt Frankfurt soll die „Intelligenzlücke“ im Netz schließen. Auf Basis einer Lösung für Verteilnetze auf der Niederspannungsebene soll nun in einem zweiten Schritt eine intelligente Steuerung für die Lastflüsse im Mittelspannungsnetz entstehen.

Die Energiewende stellt neue Anforderungen insbesondere an die Netze der Mittelspannungs- und Niederspannungsebene. Durch die Volatilität der Stromproduktion aus erneuerbarer Energien drohen zunehmend Überlastzustände, aber auch Spannungserhöhungen und Lastflussumkehr. Gefragt sind deshalb Lösungen, die eine Überwachung der Netzzustände auf diesen Spannungsebenen ermöglichen und eine „intelligente“ Steuerung von Spannung und Lastfluss erlauben. Teure klassische Netzerweiterungen können damit vermieden oder zumindest weit in die Zukunft verlagert werden.

Netzsteuerung auf Niederspannungsebene

Bei den Übertragungsnetzen der Höchstspannungs- und Hochspannungsebene ist schon heute eine vollständige Überwachung der Netzzustände möglich. Für die „intelligente“ Netzsteuerung auf der Niederspannungsebene hat die Mainova im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Bergischen Universität Wuppertal, SAG und Bilfinger Mauell mit iNes („intelligente Ortsnetzstation“) eine pragmatische und kostengünstige Lösung entwickelt und implementiert. Bei iNes kommuniziert eine Steuereinheit (Smart Remote Terminal Unit, Smart RTU), die in der Ortnetzstation untergebracht ist, via Powerline-Datentransfer zyklisch mit Sensoren und Aktoren. Bei den Sensoren handelt es sich um Strom- und Spannungsmesser im Niederspannungsnetz. Bei den Aktoren ist zwischen netz- und kundenbezogenen Elementen zu unterscheiden. Netzbezogene Aktoren sind beispielsweise Spannungsregler im Niederspannungsnetz oder Blindleistungssteller von Solaranlagen oder auch öffentliche Elektroladesäulen. Kundenbezogene Aktoren ermöglichen zusätzlich die Einspeise- oder Entnahmelimitierung auf Grundlage bilateral vereinbarter Verträge. Die Sensoren und Aktoren werden an neuralgischen Punkten im Verteilnetz platziert. Auf diese Weise kontrolliert iNes den Netzzustand und kann den Lastfluss in kritischen Situationen optimieren. Mit iNes lassen sich die Ortsnetze vollautomatisch überwachen und regeln. Sie ist modular aufgebaut, arbeitet autark und bewahrt die Netzleitstelle dadurch vor einer Datenflut. Die Netzleitstelle kann aber direkt auf die Daten von iNes zugreifen, um sich ein präzises Bild von den Verhältnissen in dem ausgewählten Ortsnetz zu machen. Der Charme der „intelligenten“ Ortsnetzstation besteht darin, dass Sensoren und Aktoren nicht bei jedem Kunden installiert werden müssen. Zudem liegen alle Sensoren im öffentlichen Bereich. Bei anderen Smart-Grid-Lösungen müssen alle Hausanschlüsse mit einem Smart Meter ausgestattet sein, um ein verlässliches Bild von der Auslastung des Netzes zu erstellen. iNes dagegen funktioniert ohne den flächendeckenden Einsatz von Smart Metern und ist deshalb schon heute überall einsetzbar. Damit bildet iNes die technische Basis für ein Smart Grid, respektiert aber zugleich die Privatsphäre der Kunden und ist damit eine Lösung, die nicht mit den Bestimmungen des Datenschutzes in Konflikt gerät.

Ausdehnung auf Mittelspannungsebene

Die Mainova will nun in einem zweiten Schritt gemeinsam mit den Kooperationspartnern im Smart-Grid-Projekt Frankfurt das Funktionsprinzip von iNes auf die Mittelspannungsebene ausdehnen. Das würde zugleich die „Intelligenzlücke“ im Netz schließen. Dieser Schritt erfordert allerdings erhebliche Entwicklungsaufwendungen. Insoweit ist die Durchführung von einer öffentlichen Förderung abhängig. Für die Mittelspannungslösung soll die existierende Smart-RTU-Box in der Ortsnetzstation als Sensor eingesetzt werden. Spannungen und Ströme werden dann mittels GPRS in eine vorgelagerte Central-Smart-RTU-Box ins Umspannwerk übertragen. Dort dient das iNes-Gerät am HS/MS-Trafo als Zentrale. Weitere Sensoren können die Sensorik an neuralgischen Stellen im Mittelspannungsnetz ergänzen. Dazu sind induktive Strom- und induktive oder kapazitive Spannungswandler erforderlich. Eventuell können auch andere innovative Verfahren zum Einsatz kommen - etwa Sensoren für Strom und Spannung basierend auf dem Prinzip der Rogowskispule, die in Kabelstecker integriert sind. Aufgrund der Ergebnisse der Central-Smart-RTU-Box werden die Aktoren angesteuert. Ein Aktor kann ein Mittelspannungsschalter oder der Stufenschalter des HS/MS-Trafos im Umspannwerk sein. Außerdem stellen die nachgelagerten Smart-RTU-Boxen in einer Ortsnetzstation in einer zweiten Funktion auch Aktoren da. Diese sprechen anschließend die Aktoren im Niederspannungsnetz an. Die generelle Ansteuerungslogik entspricht dabei derjenigen für das Niederspannungsnetz. Das heißt „grid first - customer last“: Zuerst werden die netzbezogenen Aktoren angesteuert und erst wenn alle diese Mittel ausgeschöpft sind, findet eine Lastbeeinflussung über die kundenbezogenen Aktoren statt. Kommt es beispielsweise an einem wind- und sonnenreichen Tag in einem ländlichen Mittelspannungsnetz aufgrund der starken Einspeisung von Windkraft- und Photovoltaikanlagen zu Überlastzuständen, wird zunächst der Zufluss von Strom aus dem HS-Netz durch Spannungsmessung des regelbaren HS/MS-Trafo im Umspannwerk gedrosselt, oder es werden Lastflüsse innerhalb des Mittelspannungsnetzes durch automatische Anpassung des Schaltzustandes umgeleitet. Reicht diese Maßnahme nicht aus, werden die Smart-RTU-Boxen in den Ortsnetzstationen dahingehend aktiviert, dass es zu einer Abschwächung der Lastflüsse aus dem Niederspannungsnetz in das Mittelspannungsnetz kommt. Als Ultima Ratio kann schließlich ein Lastabwurf bei den Windkraft- oder Solaranlagen eingeleitet werden.

Anwendung in Frankfurt

Das Smart-Grid-System Frankfurt bietet wie die vorhandene Lösung iNes im Niederspannungsnetz überdies die Möglichkeit, dynamische Reserven in bestehenden Mittelspannungsnetzen zu identifizieren. So können Netzbetreiber die vorhandene Netzkapazität optimal nutzen. Für den Fall, dass schließlich doch ein konventioneller Netzausbau erforderlich sein sollte, kann das System wichtige Erkenntnisse liefern. Es kann etwa aufzeigen, wann und an welchen Stellen es sinnvoll ist neue Leitungen zu verlegen.Mit der Ausdehnung des Funktionsprinzips von iNes auf die Mittelspannungsebene eröffnen sich neue Anwendungsmöglichkeiten für diese Technik, denen im Zuge der Energiewende eine immer wichtigere Bedeutung zukommt. So wird es möglich, den Strombezug aus dem vorgelagerten Hochspannungsnetz an die tatsächliche Lastsituation im Mittelspannungsnetz anzupassen. Außerdem lässt sich damit die Grundlage schaffen für den Ausgleich der Strommengen aus dezentralen Erzeugungsanlagen im Bereich von Niederspannung (etwa Photovoltaik-Anlagen) und Mittelspannung (Windkraftanlagen) sowie steuerbaren Stromsenken (wie Power-to-Gas-Anlagen) auf der Mittelspannungsebene. Das Smart-Grid-System Frankfurt kann die dezentralen Erzeuger und Abnehmer effizient zusammenbringen und damit einen substanziellen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten.

Fortsetzung aus dem Heft:

Die wachsende Zahl dezentraler regenerativer Strom-Einspeiser und eine dazu asynchrone Leistungsabforderung stellt die Netzbetreiber vor große Herausforderungen. Das bisher bestehende Niederspannungsnetz wurde ursprünglich nur zur Verteilung von Strom und nicht für diese volatile Einspeisung entworfen. Die Folgen sind stark schwankende Lastflüsse bis hin zur Lastflussumkehr und Spannungsbandverletzungen. Verschärfend kommt hinzu, dass es derzeit keinerlei Transparenz im Niederspannungsnetz gibt. Die bisher verwendeten Schutzsysteme können diese Störungen weder registrieren noch aktiv darauf reagieren.

Mit iNES kritische Netzabschnitte identifizieren und gegensteuern

Um die dezentral angeschlossenen Erzeugungskapazitäten auf eine effiziente Weise in das bestehende Energieversorgungssystem integrieren zu können, sind neue Systemansätze, Geschäftsmodelle und technische Entwicklungen nötig. Ein langfristiger Ausbau der Netze wird dabei nicht in Frage gestellt, der jedoch mit hohen Kosten verbunden ist.

Unter Leitung der SAG hat daher 2011 ein Forschungskonsortium, bestehend aus Mainova, der Bergischen Universität Wuppertal, Bilfinger Mauell und SAG, das Forschungsprojekt "iNES" zur Entwicklung einer intelligenten Ortsnetzstation und Verteilnetz-Management System als wichtige Komponente eines intelligenten Netzes gestartet. Die Smart-Grid-Systemlösung, verwaltet Netzkapazitäten dezentral innerhalb der Niederspannung und ermöglicht die kosteneffiziente Integration von dezentralen Stromerzeugungsanlagen in das Verteilnetz.

Erweiterung für das Ortsnetz

So kann ein bestehendes Ortsnetz mit einem modularen, autarken Mess- und Regelsystem erweitert werden, mit dem die kompletten Einspeise- und Lastflusssituationen in Echtzeit kontrolliert und bei Bedarf kritische Abweichungen gezielt behoben werden. Teil des universellen Regelungskonzeptes ist die Einbindung sämtlicher am Markt verfügbarer Regelungskomponenten für Spannungs-, Blindleistungs- und Wirkleistungsregelung. Damit integriert und steuert iNES unterschiedlichste Komponenten wie regelbare Ortsnetztrafos (rONT), Längsregler, Wechselrichter, EEG-Erzeuger (PV, Wind, Biomasse, Biogas), Speicher und besonders leistungsstarke Verbraucher (wie Kühlanlagen und Wärmepumpen).

Im ersten Schritt zu einem intelligenten Netz werden bestehende Ortsnetzstationen um die Funktion Stationsmonitoring zur Erfassung von Auslastungsgrad und Stationszustand erweitert. Darauf aufbauend können im Verteilnetz an neuralgischen Netzknoten Messsensoren und Regeleinheiten platziert werden, um das gesamte Ortsnetz überwachen und steuern zu können. In der Ortsnetzstation werden die Daten der dezentral gewonnenen Messungen zusammengeführt und anschließend in einer zyklischen Online-Berechnung (Grid State Identification) des aktuellen Netzzustandes, auf der Basis einer spärlichen Messtopologie, aufbereitet. Nur maximal 10 bis 15% der Netzknoten müssen mit Sensorik ausgerüstet werden, um den Netzzustand und potenzielle �?nderungen der Netztopologie automatisch registrieren zu können. In der dritten Ausbaustufe wird in Kombination mit dem innovativen iNES Berechnungsalgorithmus (Intelligent Grid Control) und Ausstattung zentraler Einspeiser und Verbraucher mit Aktorik eine autarke, intelligente und sichere Netzführung mit Wahl der optimalen Maßnahmenstrategie zur Spannungs-, Blindleistungs- und Wirkleistungsregelung in Echtzeit erreicht.

Eine solches intelligentes Mess- und Regelsystem kann Erzeugungsspitzen abfangen und damit den Zeitpunkt von Netzausbauinvestitionen vermeiden bzw. weit in die Zukunft verlagern. Ziel ist es zudem, komplexe Vorgänge und Netzzustände transparent zu machen, Netze zu entlasten, den Veränderungen der Leistungsflüsse entgegenzuwirken sowie die Versorgungssicherheit nachhaltig zu garantieren.

Als integriertes intelligentes Verteilnetz-Management-System bietet iNES eine wirtschaftliche Alternative zum konventionellen Netzausbau und ermöglicht eine sichere, transparente, autarke Betriebsführung und die nachhaltige Schließung der "Intelligenzlücke" im Ortsnetz. Auf dieser Basis werden zukünftige Smart Market-Applikationen erst ermöglicht.

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