Sensorik & Messtechnik Das Unsichtbare sehen

24.04.2014

Infrarotkameras sehen mehr als das menschliche Auge. Diese Eigenschaft ist nicht nur für die Wissenschaft oder die Sicherheitsüberwachung von Nutzen, sondern auch für die Industrie.

Dass die digitale Bildverarbeitung schneller, zuverlässiger und effizienter prüfen kann als das menschliche Auge ist in der Industrie schon lange bekannt. Allein die Geschwindigkeit, mit der eine optische Qualitätskontrolle dank hoher Bildraten durchgeführt werden kann, übertrifft bei weitem die Fähigkeiten eines Menschen. Doch Kameras können auch einen weitaus breiteren Spektralbereich erfassen als Menschen. Besonders Infrarotkameras eröffnen neue Möglichkeiten für die industrielle Bildverarbeitung.

In der Industrie werden vorwiegend Kurzwellen-Infrarotkameras (SWIR) verwendet. Diese beruhen auf speziellen, komplexeren Bildsensoren als konventionelle Kameras; nämlich InGaAs-Sensoren, deren fotosensitive Fläche aus Indium-Gallium-Arsenid besteht. Im Unterschied zu einem CCD- oder CMOS-Sensor, der ausschließlich aus Silizium besteht, setzt sich ein InGaAs-Sensor aus verschiedenen Werkstoffen zusammen. Auf einem CMOS-Auslesechip stapeln sich eine InGaAs- und eine InP-Schicht (Indiumphosphid). Je nach chemischer Zusammensetzung des fotosensitiven InGaAs-Substrats und Aufbau des Sensors können diese in Wellenlängenbereichen zwischen 0,4 und 2,7 µm empfindlich sein. Die Stärke der InP-Schicht bestimmt die spektrale Empfindlichkeit des Sensors in Richtung sichtbaren Lichts.

Bildkorrektur und Industrietauglichkeit

Aufgrund dieser komplexen, hybriden Architektur sind InGaAs-Sensoren sehr aufwändig zu produzieren und entsprechend teurer. Trotzdem ist es nach heutigem Stand der Technik leider unmöglich, die fotosensitive Fläche mit hundertprozentiger Sicherheit mit der Ausleseschaltkreisschicht zu verbinden. Das Ergebnis ist im Vergleich zu CCD- und CMOS-Chips ein relativ hoher Anteil von unter einem Prozent an defekten Pixeln. Zudem sind InGaAs-Sensoren empfindlich für Rauschen, wenn ein Sensor erhitzt ist.

Aus diesen Gründen muss eine ausgeklügelte Bildoptimierung innerhalb der Kamera stattfinden, um qualitativ hochwertige und rauscharme Bilder zu liefern. Diese Bildoptimierung besteht zum einen aus Bildkorrekturalgorithmen, um Fehler wie defekte Pixel zu beheben, und zum anderen aus einer aktiven Temperaturstabilisierung, sprich Kühlung des Sensors. Daher verfügt die neue Kamera Goldeye SWIR von Allied Vision Technologies über eine integrierte Sensorkühlung sowie umfangreiche automatische Bildkorrekturfunktionen wie Gain-Offset, Non-Uniformity Correction (NUC) und Defect Pixel Correction. Neben der Kameratechnik selbst sollte die Optik – also das Objektiv – für die Prüfungsaufgabe im Infrarotbereich geeignet sein. Hier empfiehlt sich eine kompetente Beratung durch den Kamerahersteller beziehungsweise seinen Vertriebspartner.

Eine hohe Bildqualität ist für industrielle Prüfaufgaben natürlich entscheidend, doch eine SWIR-Infrarotkamera muss auch den Strapazen des Industriellen Betriebs standhalten. Wie Robust ist die Hardware? Welche Umgebungstemperaturen verträgt die Kamera? Lassen sich die Anschlusskabel sicher in die Stecker verschrauben? Unterstützt die Kamera Industriestandards wie GigE Vision oder GenICam und ist sie kompatibel mit den gängigsten Bibliotheken von Bildverarbeitungs-Software? Wer Infrarotkameras für industrielle Anwendungen sollte auch diese Fragen unter die Lupe nehmen.

Bestimmte Materialien verhalten sich anders im Infrarotlicht als im sichtbaren Licht. Diese Eigenschaften können für eine Vielzahl von Bildverarbeitungsanwendungen genutzt werden, indem Infrarotkameras mit Empfindlichkeit im entsprechenden Spektralbereich eingesetzt werden.

Von Lebensmitteln bis Solarzellen

Typisches Beispiel ist Wasser: Im sichtbaren Spektrum ist Wasser farblos und transparent. Wasser absorbiert hingegen Infrarotwellen, insbesondere bei 1450 und 1950 nm und erscheint entsprechend dunkel im Infrarotbild. Dieser Effekt wird durch Einsatz entsprechender Bandpassfilter noch verstärkt. Auf diese Weise kann man die Wasserkonzentration in Pflanzen oder organischen Produkten messen und lokalisieren. So werden zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie Druckstellen an Obst und Gemüse erkannt, bevor sie an der Oberfläche des Produkts sichtbar sind. Mit SWIR-Kameras lässt sich auch die Füllmenge von Flaschen und Behältern leichter erkennen als mit konventionellen Kameras – selbst bei undurchsichtigen Verpackungen.

Die unterschiedlichen Absorptions- beziehungsweise Durchlässigkeitseigenschaften von Werkstoffen werden auch für die nicht zerstörerische Prüfung von Fertigprodukten genutzt. Bei der Produktion von medizinischen Spritzen etwa wird die Nadel in einer sterilen Umgebung an der Spritze befestigt und mit einer hermetischen, undurchsichtigen Schutzkappe aus Kunststoff versehen. Im Infrarotbild ist diese Schutzkappe aber durchsichtig, sodass ein Bildverarbeitungssystem automatisch prüfen kann, ob die Nadel fehlt, ohne deren sterilen Schutz zu gefährden. Auch Silizium ist für Infrarotwellen bei etwa 1,2µm-Wellenlänge durchlässig und dadurch im Infrarotbild transparent. Diese Eigenschaft wird in der Halbleiterindustrie genutzt, um Schaltungsstrukturen innerhalb des Wafers zu prüfen oder um metallische Kontakte auf der Rückseite von TFT-Displays sichtbar zu machen.

In der Elektronik- und Solarindustrie werden Elektrolumineszenz (die Emission von Licht unter dem Einfluss einer elektrischen Spannung) und Photolumineszenz (die Emission von Licht unter dem Einfluss von Licht) zur Qualitätsprüfung von Wafer und Solarzellen verwendet. Elektrolumineszenz wird genutzt, um am Ende des Fertigungsprozesses Mikrorisse und Druckfehler hervorzuheben, während Photolumineszenz schon während der Produktion eingesetzt werden kann. SWIR-Kameras eignen sich besonders für diese Art der Qualitätsprüfung, weil das vom Silizium ausgestrahlte Licht bei 1150 nm seine höchste Intensität hat.

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