Entwicklung & Produktion Siemens steigt in den Markt für Hybridfahrzeuge ein

Fertigung von Umrichtern für Elektrofahrzeuge

Bild: Siemens
19.05.2015

Unbeeindruckt von der gegenwärtigen Marktlage investiert Siemens einen zweistelligen Millionenbetrag in die Serienfertigung von Antriebssytemen für Elektrofahrzeuge. Das Unternehmen verschiebt seinen Fokus dabei von rein elektrisch betriebenen Autos hin zu Hybridfahrzeugen. Erster Kunde ist Volvo.

Erwartungsvoll betreten wir die neue Fertigungshalle. Eigentlich müssen wir jetzt Schutzkleidung anziehen, denn an normalen Tagen gelten strenge Reinraum-Vorschriften. Heute allerdings macht Siemens eine Ausnahme. Denn das Unternehmen feiert die Eröffnung eines neuen Standorts der Geschäftseinheit eCar Powertrain Systems. Hier riecht es nicht nach Öl, und es ist auch nicht laut. Man fühlt sich wie in der Fabrik der Zukunft: In modularen, kundenspezifischen Fertigungslinien werden hochautomatisiert Umrichter für Hybrid- und Elektrofahrzeuge gebaut. Die sind neben dem eigentlichen Elektromotor das Kernelement des elektrischen Antriebsstrangs: sie wandeln den Gleichstrom der Batterie in Wechselstrom für den Antriebsmotor um und umfassen außerdem die gesamte Leistungselektronik.

Am neuen Standort investierte Siemens einen zweistelligen Millionenbetrag und zielt damit nicht nur auf den Markt für Elektromobilität, sondern meldet sich auch als Automobilzulieferer zurück. „Mit unserem neuen Standort in Erlangen haben wir den Schritt zur Serienfertigung von Antriebssystemen für den europäischen Elektromobilitätsmarkt vollzogen“, sagt Jörg Grotendorst, Leiter der Geschäftseinheit eCar Powertrain Systems. Schon 2010 hatte der Vorstand beschlossen, in die Entwicklung von Antriebskomponenten für Pkw wieder einzusteigen, nachdem Siemens mit dem Verkauf des Unternehmensbereichs Siemens VDO an Continental im Jahre 2007 zwischenzeitlich komplett aus dem Automobilzuliefergeschäft ausgestiegen war. 2011 ging Siemens eine strategische Partnerschaft mit Volvo ein, in der das Unternehmen als Kernlieferant für alle Hochvolt-Komponenten der SPA-Plattform von Volvo festgelegt wurde – der „skalierbaren Produktarchitektur“, auf der alle neuen Modelle des Herstellers basieren und die eine flexible Elektrifizierung ermöglichen soll. Erstes Ergebnis daraus war eine 100 Fahrzeuge umfassende Kleinserie des Volvo C30 electric, die 2013 vorgestellt wurde. Das war freilich nicht mehr als nur ein Test; der C30 hatte einen rein elektrischen Antrieb. Mit der Ausweitung auch auf Hybridmodelle könnte die Partnerschaft der beiden Unternehmen nun aber an Schwung gewinnen.

Der Anlauf der Serienproduktion von Elektromotoren und Umrichtern für die neue Plug-in-Hybridversion des Volvo XC90 zeigt jedenfalls, dass beide Unternehmen in einem schwierigen Marktumfeld dennoch den nächsten Schritt gehen wollen. „Unser Produktionsstart für den elektrisch angetriebenen XC90 wird in wenigen Wochen sein“, berichtet Jörg Grotendorst. Siemens liefert dabei den Synchronmotor mit einer Maximalleistung von 60 Kilowatt und einem maximalen Drehmoment von 240 Newtonmetern sowie den Wechselrichter für den Antrieb der Hinterachse. Die Vorderachse wird durch einen Verbrennungsmotor angetrieben; die Batterie findet im Tunnel der nicht mehr benötigten Kardanwelle Platz. Damit kommt der XC 90 in seiner Plug-in-Hybridversion auf eine Systemleistung von etwa 300 Kilowatt und ein maximales Drehmoment von 640 Newtonmetern. Den Normverbrauch nach NEFZ gibt der Hersteller mit 2,5 Litern pro 100 Kilometer an.

Mit der Entwicklung von Antrieben für Hybridfahrzeuge erhofft sich Siemens, auf deutlich höhere Absatzzahlen als bei rein elektrischen Fahrzeugen zu kommen. „Wir verfügen über eine langjährige Erfahrung bei der Entwicklung und Produktion von Elektromotoren“, berichtet Grotendorst. „Vor Gründung unserer Geschäftseinheit im Jahr 2010 war Siemens bereits als Anbieter von Antrieben für Züge, Busse und Mining-Trucks aktiv. Es machte daher Sinn, das Angebot in Richtung Pkw auszubauen. Dabei bietet der Automobilsektor die Chance, ein hohes Produktionsvolumen zu generieren.“ Es sei allerdings nicht zu erwarten, dass der Konzern den Weg zurück zum klassischen Automobilzulieferer einschlage. „Wir machen nichts, was nicht zum klassischen Siemens-Portfolio passt“, stellt Grotendorst klar. Vielmehr sei es aus strategischer Sicht wichtig, das Feld der Elektrofahrzeuge zu besetzen. „Wenn elektrische Fahrzeugkonzepte mit 400 Volt-Wechselspannungsmotoren ihren Durchbruch erleben, dann wollen wir ganz vorne mit dabei sein und den Markt nicht anderen überlassen.“

Profitieren will er dabei von den Erfahrungen des Konzerns in anderen Bereichen, etwa bei elektrisch betriebenen Nutzfahrzeugen, bei Schienenfahrzeugen und in der Industrie. Klaus Helmrich, im Siemens-Vorstand für die Divisionen Digital Factory, Process Industries und Drives verantwortlich, zeigt sich optimistisch: „Der Markt für Elektromobilität wird sich entwickeln – in welcher Geschwindigkeit, das werden die Märkte und Technologien zeigen. In einer solchen Phase bedarf es Unternehmen, die in Vorleistung gehen und investieren.“ Die Herausforderung der eCar-Geschäftseinheit liegt darin, die Produkte für den automobilen Einsatz anzupassen. Denn dafür müssen die Komponenten eine wesentlich höhere Leistungsdichte erreichen als im Industriemotoren-Segment. Zudem müssen die Bauteile unterschiedlichen klimatischen Bedingungen und hohen mechanischen Anforderungen gerecht werden.

Deswegen wurde in Erlangen nicht nur der Fertigungsbereich mit 1.200 Quadratmetern, sondern auch ein 1.300 Quadratmeter großer Prüf- und Testbereich eingerichtet. Dort lassen sich die Motorenprüfstände auch in Klimakammern betreiben, so dass die Ingenieure den elektrischen Antriebsstrang in allen wesentlichen Temperaturbereichen testen können. Das Leistungsspektrum der Prüfstände für den Antriebsstrang umfasst pro Rad bis zu 170 Kilowatt und 2.500 Newtonmeter Drehmoment. In den Laboren forschen die Entwickler zudem an induktiven Ladetechnologien. Durch die Kombination von Entwicklung und Fertigung an einem Standort will Siemens schnell auf individuelle Wünsche seiner Kunden aus der Automobilindustrie eingehen können.

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