Smart Traffic & Mobility Konstruktiver Leichtbau und Konzeptleichtbau

Simulationsgeführte Entwicklung: Numerische Optimierung und numerische Simulation unterstützen die Konzeptentstehung.

20.05.2014

Nachdem Motoren inzwischen ein früher undenkbares Effizienzniveau erreicht haben, rückt die Gewichtsreduzierung als weiterer Schritt zur Senkung des Energieverbrauchs und damit der CO2-Emission von Fahrzeugen immer mehr in den Fokus. Dabei ist die sinnvolle Integration von Berechnungsunterstützung in den Entwicklungsprozess für den Leichtbau essenziell.

Gesellschaft und Automobilhersteller haben die Verringerung des CO2-Flottenausstoßes als Maßnahme erkannt, dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken [1]. Der Leichtbau bietet als eine wirksame Maßnahme zur Emissionsreduzierung neben der reinen Gewichtsreduzierung auch weitere signifikante Vorteile: Weniger Material bedeutet geringere direkte Kosten für Beschaffung und Verarbeitung, und eine Gewichtseinsparung an einer Stelle des Systems führt zu geringeren Lasten auf andere Bauteile und Komponenten, wodurch diese wiederum schlanker ausgelegt werden können. Diese sekundären Einsparungen sind signifikant und tragen dazu bei, die Gewichtsspirale umzudrehen [2]. Um eine Konstruktion leichter zu gestalten, stehen verschiedene Strategien zur Verfügung:

  • neue Werkstoffe verwenden

  • alternative Herstellungsverfahren einsetzen

  • konstruktive Änderungen ausführen.

Obwohl der Schwerpunkt der Maßnahmen zur Gewichtsreduktion immer noch im Bereich Werkstoffoptimierung und Materialsubstitution liegt, zeigen Erfahrungen, dass die größte Wirkung durch eine Kombination der drei aufgeführten Maßnahmen erzielt werden kann. Konstruktive Änderungen eines Designs wirken hier als „Katalysator“ um größtmögliche Einsparungen zu identifizieren und umzusetzen. Mit der richtigen Kombination dieser Strategien können versteckte und ungenutzte Sicherheiten identifiziert und konsequent überschüssiges Material entfernt werden. Form, Material und Herstellungsverfahren können optimal auf geforderte Funktionen abgestimmt werden – nach dem Motto: „Reduce to the max!“

Hohe Ansprüche an Konstrukteure

In Konstruktionen, die immer komplexer gestaltet, in denen zunehmend unterschiedliche Funktionen integriert werden müssen und die sich einer Vervielfachung der funktionalen Anforderungen ausgesetzt sehen, ist es keine triviale Aufgabe, mehr Gewicht durch Designoptimierung einzusparen. Die Konstruktionsaufgabe wird dadurch unübersichtlicher und der Konstrukteur benötigt zunehmend neue, effiziente Hilfsmittel. Die Verwendung von numerischen Auslegungsmethoden wie CAE (Computer Aided Engineering) und numerische Optimierung sind zwar sehr effizient, bis heute wurden sie aber hauptsächlich nur bei einzelnen Bauteilen oder einfacheren Systemen und überwiegend für eine Nachberechnung (Bestätigung, Zertifizierung) des bestehenden Systems oder Bauteils verwendet. Auch eine Optimierung wird regelmäßig durchgeführt, allerdings oft als „Feuerwehraktion“ am Ende der Entwicklung, um eine Konstruktion zu „retten“.

Zu diesem etwas eingeschränkten CAE-Einsatz kommt es auch, weil der Konstrukteur bisher mit seinem Bauteildesign in vielen Unternehmen zu einer separaten Abteilung gehen musste, um die Berechnung oder Optimierung zu beauftragen und durchführen zu lassen. Aufgrund dieses Zwischenschrittes entstehen Informations- und Zeitverluste. Nicht immer sind die Ergebnisse dann auch verwendbar, und nicht selten kommen sie zu spät. Der Konstruktions­stand, auf dem die Berechnung basiert, ist bereits veraltet und das Design hat sich signifikant geändert.

Numerische Berechnungsmethoden wie CAE haben sich in der Entwicklung zunächst als Ergänzung oder sogar Ersatz für physikalische Tests etabliert. Immer noch sprechen viele Automobilfirmen von digitalen Prototypen, digitalen „Mock-ups“ und virtuellen Tests, und auch die Berechnungsressourcen sind immer noch in diese Art der Gruppen und Abteilungen unterteilt: Eine Gruppe prüft die strukturelle Crashsicherheit der Rohkarosserie, eine andere die dynamischen Eigenschaften bezüglich Geräuschen und Vibrationen, eine dritte die Dauerfestigkeit der Karosserie und eine weitere die Insassensicherheit. Letztendlich soll aber nur eine einzige Karosserie entstehen und nicht eine Karosserie für jede funktionale Anforderung. Zudem ist es problematisch, dass sich keine dieser Berechnungsgruppen primär für das Thema Gewicht interessiert, sondern die Berechnungsingenieure hauptsächlich für die funktionalen Anforderungen und die Konstrukteure für Bauteile, Systeme, funktionale Integration und Gewicht.

Wie können nun die Berechnungsgruppen in die Lage versetzt werden, Vorhersagen zu tätigen und den Konstrukteur bei der Designerstellung zu unterstützen? In den gegenwärtigen Entwicklungsprozessen ist zu wenig Zeit für die Kommunikation zwischen den Gruppen und eine serielle Überprüfung der Ideen vorgesehen, um einen signifikanten Beitrag leisten zu können (Abbildung oben).

Die Berechnungsabteilungen, die aktiv in den Produktentstehungsprozess eingreifen möchten, müssen sich, genau wie die Konstrukteure, mit Bauteilen und Systemen beschäftigen und weniger mit einzelnen funktionalen Anforderungen. Sie müssen den Blick auf alle funktionalen Aspekte richten und sich sehr direkt und in der „Sprache“ des Konstrukteurs ausdrücken können. Darüber hinaus müssen sie auch in der Lage sein, die Konsequenzen einer Konstruktionsänderung in Bezug auf Kosten und Gewicht zu verstehen und Methoden verwenden, die effizient die Findung bestmöglicher Kompromisse zwischen mehreren funktionalen Zielen, Gewicht und Kosten unterstützen. Der Berechnungsingenieur muss also stets multidisziplinär agieren können. Hier bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an. Abhängig von der Komplexität der Aufgabe sind zwei Hauptszenarien denkbar:

  • Berechnungswerkzeuge direkt in die Händen der Konstrukteure zu legen.

  • Eine veränderte / neue CAE-Unterstützung, die direkt an die Konstruktionsabteilung angebunden ist und welche die Konstruktion als alleiniger Ansprechpartner für berechnungsbasierte Auslegungsunterstützung bezüglich aller funktionalen Ziele und der Gewichtsziele unterstützt.

Werkzeuge zur Unterstützung

Bei Bauteilen und kleineren Systemen, die eine relativ geringe Komplexität und Integration aufweisen und die zusätzlich eine übersichtliche Lastsituation (wenig treibende funktionale Aspekte) aufzeigen, können Konstrukteure bereits jetzt speziell dafür ausgelegte numerische Tools verwenden. Diese werden eingesetzt, um dem Konstrukteur Designhilfe oder Designvorgaben zu liefern, Designauswirkungen zu bestätigen oder zu widerlegen sowie die Konsequenzen vorab zu prüfen, die sich aus Designentscheidungen ergeben.

Diese Designwerkzeuge zeichnen sich durch sehr intuitive Benutzeroberflächen sowie durch einen starken Filter aus, mit dem ausgewählt werden kann, was der Anwender sehen kann und in welchen Bereichen er Endscheidungen treffen muss [3]. Numerisch bezogene Wahlmöglichkeiten werden zur Vereinfachung stark reduziert oder für den Anwender sogar komplett ausgeblendet. So wird vom Konstrukteur beispielsweise keine klassische Vernetzung für eine FE-Berechnung oder Optimierung verlangt. Die Vernetzung findet automatisiert im Hintergrund statt und man vertraut darauf, dass die Vernetzung für die Bewertung der jeweiligen Fragestellung geeignet ist.

Wenn die oben aufgelisteten Kriterien nicht erfüllt sind und die Komplexität, die Integration und die Lastsituation eine höhere Komplexität aufweisen, müssen Experten die Auslegung numerisch unterstützen. Diese Unterstützung unterscheidet sich von einer klassischen CAE-Unterstützung in entscheidenden Punkten:

  • Es gibt eine direkte Kopplung an den oder die zu unterstützenden Bauteilverantwortlichen und Konstruk­tions­gruppen.

  • Eine Berechnungsgruppe verantwortet die Auslegungsunterstützung für alle funktionalen Ziele und für die Gewichtsziele.

  • Die verwendeten Berechnungsmethoden und Prozesse sind dafür ausgelegt, multidisziplinäre Fragestellungen zu beherrschen (Anforderungen zu Crash und NVH (Noise, Vibration, Harshness) werden gleichzeitig abgeprüft und abgesichert).

  • Das Gewicht wird immer als vollwertiges Attribut mitberücksichtigt.

Diese Art der Berechnungsunterstützung für die Konstruktionsabteilungen haben unterschiedliche Namen. Bei Altair etwa heißen sie „Optimization Center“, „Light Weight Center“ oder auch „Innovation Center“ [4]. Das Ziel ist aber immer die Lieferung einer übergeordneten Designunterstützung, die den Bauteil- und Systemgruppen direkt zuarbeitet. Wenn die berechnungsbasierte Auslegungsunterstützung direkt an die Konstruktion gekoppelt wird, ist es nur logisch, dass die restlichen Teile der Berechnung enger an den Versuch gekoppelt werden. Für Berechnungsaufgaben, die zu Bereichen wie Materialprüfung, Bauteil- und Substrukturversuchen, digitale Prototypenprüfung sowie Zertifizierung einen Bezug haben, passt die zur Zeit vorherrschende Organisationsstruktur mit einer direkten Verbindung zum Versuch (Crash, Insassen, NVH, Dauerfestigkeit). Eine Zusammenlegung des physikalischen Versuchs mit der virtuellen Prüfung in einer Abteilung für virtuelle und physikalische Absicherung ist daher gut umsetzbar. Bei einigen OEMs wurde dies bereits teilweise durchgeführt. Hier sind die Themen Insassensimulation und Insassenabsicherung organisatorisch dem Versuch unterstellt.

Anbindung eines aktiven Gewichtsmanagements

Mittlerweile bildet sich auch in der Automobilindustrie ein aktives Gewichtsmanagement heraus. Dies war bis vor einigen wenigen Jahren der Luftfahrtbranche vorbehalten, aber die wachsenden Anforderungen in der Automobilindustrie machen es notwendig, eine bessere Kontrolle über Gewicht und die Zusammenhänge zwischen Gewicht, Kosten und funktionaler Leistung sicherzustellen (Abbildung oben). Es hat sich gezeigt, dass das Gewichtsmanagement eine deutlich aktivere Rolle in der Produktentwicklung einnehmen kann. Voraussetzungen dafür sind einerseits ein gutes Analysewerkzeug, das schnell und effizient zuverlässige Informationen über den Entwicklungsstand und das Entwicklungspotenzial liefert und zusätzlich zu Versionsvergleichen, Entwicklungsrisiken und Konsequenz-­Analysen zum Thema Gewicht [5]. Andererseits müssen die Daten und Informationen zu den Themen Konsequenz-Analyse und Entwicklungspotenzial zuverlässig und zum richtigen Zeitpunkt erarbeitet werden können.

Speziell für die Datenzuverlässigkeit bietet eine Zusammenarbeit zwischen Gewichtsmanagement und numerischer Designunterstützung die Chance, signifikant mehr und aussagefähigere Informationen für gewichtsrelevante Entscheidungen zu bekommen. Die direkte Unterstützung der Berechnung durch das Gewichtsmanagement beim OEM nennt man beispielsweise „CAE Weight Management“. Dadurch bekommt das Gewichtsmanagement Zugang zu Erkenntnissen aus CAE- und Optimierungsstudien, die auch direkt dafür verwendet werden, die Konstruktion zu verbessern, etwa Konzeptoptimierung, Machbarkeitsstudien, Robustheitsanalysen sowie stochastische Bewertungen. Zusätzlich kann das Gewichtsmanagement theoretisch selbständig solche Studien in Auftrag geben, um Informationen zu Gewicht und Performance zu erhalten. Damit steigt die Aussage- und Handlungsfähigkeit des Gewichtsmanagements und seine Anweisungen an die Entwicklung bezüglich der Gewichtsziele werden damit genauer.

Simulation als Gestaltungswerkzeug

Leichtbau lässt sich nur dann optimal umsetzen, wenn alle Maßnahmen kombiniert werden, das heißt die Materialsubstitution wird mit neuartigen Herstellungsmethoden und konstruktiven Änderungen kombiniert. Die konstruktiven Änderungen wirken hier oft als Katalysator, um das Potenzial zu erschließen, das in den neuen Materialien und Herstellungsverfahren steckt.

Konstruktiver Leichtbau wird zunehmend durch numerische Methoden getrieben und unterstützt. Dies bedarf jedoch einer Unterstützung, die sich zeitlich, gedanklich und logisch an die Anforderungen der Konstruktion anpasst. Eine Berechnungs- und Optimierungsunterstützung bei der Auslegung von Systemen muss direkt an die Konstruktion gekoppelt sein. Zusätzlich benötigt die Konstruktion eine einfache Schnittstelle: Die gekoppelte Berechnungsgruppe muss alle wichtigen Antworten liefern, unabhängig davon, welche Funktion besprochen wird (Crash, NVH). Die Gruppe muss multifunktional und multidisziplinär arbeiten. Bei einfacheren Bauteilen oder Systemen kann die Berechnung und Optimierung sogar direkt an die Konstruktion abgegeben werden. Heute sind Berechnungswerkzeuge verfügbar, die Konstrukteuren die Möglichkeit geben, ihre eigenen Konstruktionen in Frage zu stellen, zu bewerten und zu optimieren. Das Gewichtsmanagement profitiert von einer konstruktionsnahen Berechnung. Fragen zu Gewichtspotenzial, Risiken und Konsequenzen aus Designentscheidungen für Bauteile, Subsysteme und Systeme lassen sich mit Optimierungsmethoden gut beantworten.

Es sollte überlegt werden, die klassische CAE-Abteilung in zwei Verantwortlichkeitsbereiche aufzuteilen: Ein Teil wird an die Konstruktion gekoppelt, der Bereich Konstruktion wandelt sich somit in eine „Simulation Driven Design“-Abteilung und der zweite Teil beschäftigt sich, angebunden an die Testabteilung, mit der virtuellen Prüfung und Zertifizierung (Abbildung oben). So erfüllt sich dann der Wortsinn des „CAD Computer Aided Design“, denn die Berechnung liefert Antworten und Gestaltungshinweise, statt nur auf Problemstellungen hinzuweisen. So wird aus Simulation ein Gestaltungswerkzeug.

Weitere Informationen zu den zitierten Quellen finden Sie in der Web-Version dieses Artikels.

Weitere Informationen

[1] N. Lutsey, 2010. Survey of vehicle mass-reduction technology trends and prospects. PowerPoint Präsentation, El Monte, California.

[2] Catarina Bjelkengren, 2008. The Impact of Mass Decompounding on Assessing the Value of Vehicle Leightweighting. Thesis Dual Degree of Master of Science, Massachusetts Institute of Technology

[3] Altair Engineering, 2013. SolidThinking Inspire Tutorials. www.solidthinking.com/tutorials/Inspire-9.5-Tutorials/win/index.html

[4] Boris Künkler, Karsten Bohle und Lars Fredriksson, 2013. Strategischer Einsatz von Optimierungsmethoden im Fahrzeugleichtbau. VDI Fachkongress Leichtbaustrategien für den Automobilbau, Wolfsburg 3. - 4. Juli.

[5] Luisa Rovera, 2013. A new Approach to Weight Management. Altair Technology Conference, Turin 23. – 24. Mai

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