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Smart Building Die Vermessung der Zukunftsstadt

Über den Dächern von München: Eine Drohne nimmt Daten über die Wärmestrahlung der Gebäude auf.

Bild: Astrid Eckert/TU München
04.11.2015

Daten und Modelle sind die entscheidende Planungsgrundlage für die Stadt der Zukunft. Eines der modernsten Labore für digitale Methoden im Bausektor sitzt in München. Dort wird die Entwicklung von Standards und Methoden vorangetrieben.

Manchmal dauert es länger, bis eine gute Idee umgesetzt wird. Die Wurzeln des Building Information Modeling (BIM) reichen zwar in die Zeit zurück, als die ersten Computer im Bauwesen zum Einsatz kamen. Doch erst heute bekommen Bauwerksinformationsmodelle in Deutschland eine immer wichtigere Rolle. Denn sie bieten die konsistente Datenbasis, an der sich vom Architekten über technische Planungsbüros bis hin zur Baufirma alle Beteiligten und Gewerke für eine gemeinsame Planung orientieren können. Einer der Pio­niere dieser Modellierung war Leonhard Obermeyer, zu dessen ­Ehren an der TU München (TUM) das gleichnamige Center eingerichtet wurde. Fünf Lehrstühle arbeiten heute dort daran, zusammen mit einschlägigen Firmen und Organisationen die Digitalisierung im Bauwesen voranzubringen.

Bei BIM hinkt Deutschland hinterher

„Die Bauwerksinformationsmodelle sind seit 25 Jahren bekannt, kommen aber erst heute verstärkt in die Praxis“, ­sagte Professor Ernst Rank vom Lehrstuhl für Computation in Engineering bei der Präsentation des Leonhard Obermeyer Centers. Andere Länder machen da mehr Druck: „In England muss jedes öffentliche Projekt ab 2016 BIM verwenden“, so Rank. „Da hinken wir noch hinterher.“ Solche Modelle sind ungeheuer nützlich, weil sich mit ihnen nicht nur Fragen beantworten lassen wie „Was ist?“ oder „Wie wird es?“, sondern auch: „Was wäre wenn?“ Zum Beispiel: Wie verändern sich Nutzungsflächen, wenn das Baurecht geändert wird? Das kann in der Praxis enorme Vorteile bringen, denn „verschiedene ­Aspekte der Stadtentwicklung werden heute oft sequentiell ­abgearbeitet“, ist die Erfahrung von Professor Thomas H. Kolbe vom Lehrstuhl für Geoinformatik der TUM. „Die Entwürfe laufen dann wieder an frühere Abteilungen zurück, wenn sich Probleme ergeben.“ Das Ziel dagegen wäre, nicht funktionierende Alternativen früher zu verwerfen und gar nicht erst weiter zu verfolgen, um im Planungsprozess einer Smart City Zeit zu sparen.

Inventarliste des Raumes

Bei Modellen für Stadtplanung, Architektur oder Gebäudetechnik spielt der Raumbezug eine große, oftmals ent­scheidende Rolle. Bei semantischen 3D-Modellen transportieren Raumpunkte Informationen darüber, welche physikalischen Objekte mit welchen Eigenschaften vorhanden sind. Kolbe arbeitet mit seinem Team seit 2002 an dem Anwendungsschema CityGML (City Geography Markup Languange, siehe Kasten Seite 12), mit dem sich virtuelle 3D-Stadtmodelle leichter speichern und austauschen lassen sollen. Eine Inventarliste des Raumes wird mit Hilfe von Daten der Landes- und Stadtvermessungsämter gebildet, die 60 Millionen Gebäude in Deutschland erfasst haben. In Städten wie Hamburg und Berlin werden solche Daten sogar der Allgemeinheit als Opendata zur Verfügung gestellt. Aus der Freigabe verspricht man sich zusätzliche Steuereinnahmen, wenn die Daten in innovativen Geschäftsmodellen genutzt werden. Verfügbar sind dann Informationen über die Adressen von Gebäuden, manchmal die Anzahl der Etagen der Häuser, ihre Art (Wohn- oder Nutzgebäude), die Dachform, aber auch Angaben zur Größe von Dach- und Wandflächen.

Der tiefere Sinn solcher Datensammlungen liegt darin, dass sie – ohne dass jemand seinen Fuß in die Gebäude setzen oder auch nur in ihre Nähe kommen müsste – am PC recht zuverlässige quantitative Abschätzungen erlauben, und das für eine riesige Anzahl von Häusern. So zum Beispiel Hochrechnungen des Energieverbrauchs, die angesichts der hierzu­lande eher zögernd verlaufenden energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden besonders spannend sind. Kolbe leitet aus Gebäudeinformationen wie Nutzfläche, Gebäudetyp, Gebäudenutzung, Baujahr beziehungsweise Baualtersklasse über mit der Energieeinsparverordnung konforme Simulationsmethoden Verbrauchsinformationen ab, die in Einzelobjekten stärker von tatsächlichen absoluten Werten abweichen können, aber dennoch die mit Sanierungen erzielbaren Einsparungen gut vorhersagen. Das „dynamische Entscheidungsunterstützungssystem“ zeigt bei Änderungen der Eingangswerte die Auswirkungen von Gebäudesanierungsmaßnahmen sofort in Form von Einsparungen, Kosten und Amortisierung an.

Wärmedaten als Tapete

Im Energieatlas Berlin ließ sich so nicht nur das Einsparpotenzial aus energetischer Sanierung abschätzen, sondern ­eine Solarpotenzialanalyse für die in „Virtual Berlin“ erfassten 550.000 Gebäude erstellen oder auch das Potenzial für Geothermie bestimmen. Ähnlich interessieren sich heute Wohnbaugesellschaften in London dafür, das Potenzial für die Sanierung von Heizungen in ihrem Wohnungsbestand abzuschätzen.

Eine ganz andere Art des Umgangs mit 3D-Modellen pflegt Professor Uwe Stilla vom Lehrstuhl für Photogrammetrie und Fernerkundung: „Wir ziehen Infrarot-Information wie eine Tapete auf das Gebäudemodell.“ Die Daten über die Wärmestrahlung können von Fahrzeugen stammen, die durch die Straßen fahren oder von Überflügen mit Hubschraubern oder Drohnen, die die Wissenschaftler RPAS (Remotely Piloted Aircraft System) nennen. Der Rechner projiziert mit seinem Wissen über Position und Blickwinkel alles auf die virtuellen Fassaden der Gebäude und verschmilzt so Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu einer deckenden Tapete. Auf diese Weise kommen anschauliche Ansichten von ganzen Straßenzügen zustande, bei denen sonst schwer zu entdeckende Bausünden ins Auge springen – zum Beispiel Wärmebrücken in den Gebäudehüllen.

Doch es muss nicht Infrarot sein, auch Bilder aus dem sichtbaren Spektrum lassen sich veredeln, beispielsweise zur Kon­trolle des Baufortschritts. So liefert eine Kamera im Kran oder in seinen Auslegern, die ständig die Baustelle überstreichen, eine Fülle von Daten über Mauern und Wände, nachdem diverse störende Objekte ausgeblendet sind. Denn ständig verdecken Behelfsmittel wie Leitern und Gerüste oder auch die Bauarbeiter den Blick auf den entstehenden Baukörper. Doch aus mehreren im Lauf der Zeit aufgenommenen Ansichten lässt sich ein zuverlässiges Bild des Baufortschritts gewinnen und mit dem Plan zur Deckung bringen. So könnte der Rechner bei Verspätungen oder Abweichungen Alarm schlagen, bevor die finanziellen Schäden exorbitant sind.

Unsichtbare Megastrukturen

Näher am BIM ist die kooperative Trassenplanung in mehrskaligen 3D-Stadt- und Bauwerksmodellen, an der drei TUM-Lehrstühle und zwei des KIT (Karlsruhe Institute of Technology) arbeiten. Es geht darum, unterschied­lichste Skalen, die in der Planer-Praxis auftreten, zusammenzubringen: Während beispielsweise der Verlauf einer längeren U-Bahn-Trasse im Kilometerbereich geplant wird, wird an den Wänden im Tunnelinneren auf Zentimeter oder Millimeter genau gerechnet. Bisher existieren verschiedene Pläne für diese unterschiedlichen Skalen – eine unbefriedigende Situation, da jede Änderung des Gesamtplans sofort in den Detailplänen konsistent umgesetzt werden muss und umgekehrt lokale Änderungen in den Verlauf der Gesamttrasse eingearbeitet werden müssen. Ein mehrskaliges Modell, das nach dem Vorbild der ineinander stapelbaren russischen Puppen einen „Matroschka-Ansatz“ verfolgt, soll die Konsistenz zwischen mehreren Abstraktionsebenen automatisch sicherstellen, erklärt Professor André Borrmann vom Lehrstuhl Computergestützte Modellierung und Simulation der TUM. Das Forschungsprojekt 3D Tracks entwickelt daher eine Kollaborationsplattform, die die Zusammenarbeit von Planern erlaubt, indem sie Teil­abschnitte bei Bearbeitung gegen Änderungen durch andere Planer sperrt.

Intuitiv auf Daten zugreifen

Wer fragt, wie mit den virtuellen Daten eigentlich anschauliches Arbeiten möglich sein soll, den führen die TUM-Forscher in ihr abgedunkeltes Labor. Dort kann ein Rechner über an der Decke installierte Kameras auf einem Tisch positionierte Modelle erkennen, sie in die Simulationen seiner Modelle einbauen und die Ergebnisse umgehend auf den Tisch projizieren. Solch intuitiv erfassbares Feedback auf haptische Planspiele zeigt sofort, wie sich die Größe, Ausrichtung und Position beispielsweise eines Hauses auf den simulierten Schallpegel von Verkehrsgeräuschen oder die Sichtbarkeit von anderen Häusern auswirkt. Die Modellhäuser wiederum, die man wie Schachfiguren über den Projektionstisch schieben kann, stammen unter Umständen direkt von nebenan aus dem 3D-Drucker, der sie in wenigen Minuten in beliebigem Maßstab genau nach Plan Schicht für Schicht in die Höhe wachsen lässt.

So zeigt sich am Ende, dass weder 3D-Modelle noch 3D-Drucker, Drohnen oder Datenbanken die Planer überflüssig machen, sondern sie gerade in die Lage versetzen, die Konsequenzen ihrer Ideen frühzeitig zu visualisieren und durchzuspielen.

Bildergalerie

  • Momentaufnahme: Uwe Stilla erläutert die Funktionsweise der Infrarot-Kamera der Drohne.

    Momentaufnahme: Uwe Stilla erläutert die Funktionsweise der Infrarot-Kamera der Drohne.

    Bild: Astrid Eckert/TU München

  • Bausünden aufdecken: Die gewonnenen Infrarot-Informationen werden wie eine Tapete auf das Gebäudemodell gezogen.

    Bausünden aufdecken: Die gewonnenen Infrarot-Informationen werden wie eine Tapete auf das Gebäudemodell gezogen.

    Bild: TU München

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