Verfahrenstechnik Sauerstoffzufuhr sicher beherrschen

19.09.2013

Das Anreichern der Prozessluft mit reinem Sauerstoff kann bei vielen biotechnologischen Anwendungen Qualität, Effizienz und Produktivität steigern. Diese positiven Effekte lassen sich vor allem für aerobe Fermentationen nutzen. Dabei ist der Sauerstoff-Einsatz in jedem Fall auch sicherheitsrelevanten Kriterien anzupassen und eine entsprechende Hardware ist nötig.

Aerobe Fermentationen durch Mikroorganismen kommen in vielen Bereichen der pharmazeutischen und industriellen Biotechnologie zum Einsatz, zum Beispiel bei der Produktion von pharmazeutischen Proteinen und technischen Enzymen. Mittlerweile spielen aerobe Fermentationen aber auch bei der Herstellung einer ganzen Reihe von Massenprodukten eine zentrale Rolle - vorwiegend auf der Basis von Kohlenhydraten als Nährstoff. Neben großvolumigen Bausteinen für Arzneimittel wie Antibiotika zählen hierzu beispielsweise organische Säuren wie Zitronensäure, Futtermitteladditive wie die Aminosäure Lysin, aber auch Biopolymere. Tierische Zellen kommen vorzugsweise zum Einsatz, um komplexe Proteine wie monoklonale Antikörper zu produzieren. Das eingesetzte Zellmaterial - Bakterienstämme wie Escherichia Coli, speziell gezüchtete tierische Zellkulturen oder auch Pilzkulturen - findet in Fermentationsreaktoren ideale Bedingungen: Die Behälter, zumeist aus Edelstahl, sind mit einer wässrigen Nährstofflösung befüllt. Sie können sowohl beheizt als auch gekühlt werden. Außerdem lässt sich der Inhalt differenziert begasen und rühren. Bei 30 bis 40 °C vermehren sich die meisten der gegenwärtig kommerziell genutzten Zellen besonders rasch. Neben zuckerhaltigem Nährstoff benötigt das Zellmaterial vor allem Sauerstoff.Der für die aerobe Fermentation benötigte Sauerstoff wird klassisch bereitgestellt, indem Umgebungsluft dem Fermenter zugeführt und darin effektiv verteilt wird. Der O 2-Gehalt von Luft ist mit knapp 21 Volumen-Prozent jedoch vielfach zu gering, um über alle Phasen des Fermentationsvorgangs eine genügend hohe Konzentration gelöster und damit für die eingesetzten Zellen verwertbarer Sauerstoff-Moleküle bereitzustellen. Das gilt insbesondere, wenn hohe Wachstumsraten, hohe Zelldichten sowie hochviskose oder hochwertige Produkte verlangt werden.

Erhöhung des Sauerstoff-Gehalts

Die möglichen Gründe für eine derartige Limitation sind vielfältig: So können charakteristische Eigenschaften der jeweiligen Fermenterbrühe, wie zum Beispiel ein besonders hoher Bedarf an Sauerstoff oder steigende Viskosität des Produkts, zu Sauerstoff-Mangel in der wässrigen Phase beitragen. Darüber hinaus sind Engpässe bei der Bereitstellung der Luft oder apparativ bedingte Limitationen beim Fermenterbetrieb wie eine begrenzte Rührerdrehzahl besonders in der großtechnischen Produktion nicht selten. Eine naheliegende und zunehmend angewandte Maßnahme zum Erhöhen des Gehalts an gelöstem Sauerstoff in der Brühe ist die Erhöhung des O 2-Partialdrucks in der Brutluft. Unter Normalbedingungen liegt dieser wenig über 0,21bar. Er lässt sich jedoch durch Zugabe von technischem Sauerstoff flexibel erhöhen und damit den Erfordernissen der jeweiligen Fermentationsphase anpassen.

Technischer Sauerstoff für mikrobielle Prozesse

Durch diese Verfahrensmodifikation lässt sich die Effizienz des Fermentationsprozesses häufig steigern. Im Extremfall kann die Prozessintensivierung bis hin zur ausschließlichen Anwendung von reinem Sauerstoff reichen. Das Anreichern der Brutluft mit reinem Sauerstoff kann die Effizienz aerober Fermentationsprozesse steigern. Bei mikrobiellen Prozessen bedeutet das: Die Prozessdauer kann verkürzt werden. Raum und Zeit werden optimal ausgenutzt. Hohe Zelldichten lassen sich so realisieren. Da insgesamt eine geringere Gasmenge im Fermenter benötigt wird, reduzieren sich Energiebedarf und Abgasstrom. Zusätzlich wird die Sauerstoffversorgung bei niedrigerer Begasungsrate verbessert. Und die Gelöstsauerstoff-Konzentration (Dissolved Oxygene, DO) ist einfach und sicher steuerbar. Zellkulturprozesse profitieren darüber hinaus durch eine Verminderung der Schädigung von Zellen durch Scherkräfte. Zudem gewährleistet die gleichbleibend gesicherte Gasqualität stabilere Prozesse. Diese qualitativen Verbesserungen können unmittelbar die Wirtschaftlichkeit steigern. Denn den größten Kostenanteil bei einem Fermentationsprozess stellen Rohmaterialien (wie etwa Glukose) und so weiter dar. Die Kosten für Sauerstoff sind im Verhältnis dazu niedrig. Und schon eine geringe Anreicherung mit Sauerstoff kann die Produktivität steigern. Versuche im Labor haben bereits gezeigt, dass aerobe Fermentationen von mehr Sauerstoff profitieren. Um die Vorteile für Biotech-Prozesse im Produktionsmaßstab zu untermauern, hat Linde neben Wirtschaftlichkeitsberechnungen auch Computersimulationen durchgeführt, letztere in enger Zusammenarbeit mit den im Anlagenbau tätigen Kollegen von Linde Engineering Dresden. Die Basis bildete das Bakterium Escherichia Coli in einem 50 m 3großen Fermenter - ein gängiges System in der Biotechnologie zum Beispiel zur Insulinherstellung. Mithilfe der Simulationsmodelle konnte genau untersucht werden, wie viel Biomasse sich bei normaler Luftbegasung und bei Sauerstoffanreicherung über die Zeit bildet. Die Ergebnisse sprechen für sich: Wird der O 2-Gehalt auf 30Prozent erhöht, haben sich durch die damit erzielbare hohe Wachstumsrate bereits nach 15 h 50 g/l Biomasse gebildet. Zum Vergleich: Bei Zugabe reiner Umgebungsluft in den Fermenter sind nach 60 h erst 30 g/l Biomasse entstanden. Zudem lassen sich durch mehr Sauerstoff im Reaktionsgefäß auch höhere Zelldichten kultivieren, also mehr Mikroorganismen pro Volumen. Bei kürzerer Reaktionsdauer sinkt ferner die aufgrund des Energiestoffwechsels der Mikroorganismen benötigte Substratmenge merklich ab. Eine bessere Substratausnutzung hinsichtlich der gewünschten Produkte ist die Folge. Durch den zusätzlichen Sauerstoff wird die Apparatur zum Hochleistungsfermenter - der Biotech-Prozess läuft besser ab. Ein weiterer Vorteil: Es bildet sich oft weniger Schaum im Bioreaktor.

Anlagentechnische Voraussetzungen

Die Voraussetzung zum Erschließen der genannten Vorteile bildet eine geeignete Hardware zur Sauerstoff-Versorgung. Um lokal begrenzte, sehr hohe DO-Konzentrationen zu vermeiden, empfiehlt sich häufig eine Anreicherung der Zuluft vor dem Eintritt in den Fermenter. Die Injektion des zusätzlichen Sauerstoffs in das bestehende Versorgungssystem erfolgt beispielsweise über Oxymix, einem speziellen Gasmischer (siehe Abb. S. 214 rechts). Sein Düsensystem ist in einem Lochkreis angeordnet und so ausgelegt, dass das Gas entgegen der Luftströmung in die Leitung eingebracht wird. Dadurch werden die beiden Komponenten innerhalb kürzester Zeit vollständig vermischt. Die kompakt konstruierte Komponente kann über einen Flanschanschluss ohne großen technischen oder finanziellen Aufwand in eine bestehende Luftleitung eingebaut werden, beispielsweise während eines Routine-Stillstands der Anlage. Eine moderne Mess- und Regelstrecke wie der Flowtrain ermöglicht die Steuerung punktgenauer Sauerstoff-Anreicherung per Touchpanel: Über eine SPS dosiert das System gasförmigen Sauerstoff exakt bis zur gewünschten Konzentration in die Brutluft. Dabei regelt es den genauen Grad der Sauerstoff-Anreicherung in Abhängigkeit von der Brutluftmenge.

Laut Simulation bis zu 45 Prozent Effizienzsteigerung

Sowohl die Qualität und als auch die Effizienz und Produktivität aerober Fermentationsprozesse lassen sich durch Anreichern der Brutluft mit reinem Sauerstoff steigern. Wirtschaftlichkeitsberechnungen sowie Computersimulationen von Linde belegen dabei Potenziale von bis zu 45 Prozent verbesserter Effizienz. Damit die aufgezeigten Vorteile auch genutzt werden können, ist eine geeignete Hardware zur Sauerstoff-Versorgung unter Berücksichtigung der Sicherheitsstandards Voraussetzung.

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