Prozessautomation & Messtechnik „Voraussetzung für Industrie-4.0-Ansätze“

WAGO GmbH & Co. KG

Dr. Thomas Tauchnitz, Engineering Sanofi-Aventis und Namur-Vorstand

06.11.2015

Namur-Vorstand Dr. Thomas Tauchnitz über die Chancen des federführend von Wago entwickelten Dima-Ansatzes, die Schwächen monolithischer Anlagen und die Strategie beim Etablieren des neuen Standards der Prozessindustrie

P&A:

Wie wichtig ist der modulare Anlagenbau Ihrer Meinung nach für die Zukunft der Prozessindustrie?

Dr. Thomas Tauchnitz:

Am modularen Anlagenbau führt kein Weg vorbei, wenn man die zunehmende Flexibilität der Märkte, die geforderte schnellere Vermarktung neuer Produkte und die globalen Unsicherheiten berücksichtigt. Natürlich ist eine modulare Anlage für die Großanlagen der Petro- und Grundchemikalien-Industrie nicht geeignet, aber für Spezialchemie, Pharmaindustrie und konjunkturabhängige Branchen. Außerdem gibt es den schönen Zusatznutzen: Wer modular automatisieren kann, hat auch eine Lösung für die Integration von Package Units in übergeordnete Automatisierungssysteme.

Wie ordnen Sie Dima im Zusammenhang Industrie 4.0 ein?

Industrie 4.0 erfordert die Vernetzung der beteiligten Komponenten und die Durchgängigkeit dieser Komponenten über den gesamten Lebenszyklus, insbesondere im Hinblick auf Engineering. Eine standardisierte Schnittstelle von Automatisierungskomponenten ist insofern absolute Voraussetzung für Industrie-4.0-Ansätze in der Industrieautomatisierung. Nicht nur im Bereich der Prozessindustrie, sondern auch für die Fertigungsindustrie.

Momentan arbeiten mehrere Namur-Arbeitskreise an einer automatisierungstechnischen Standardisierung auf Basis des von Wago vorgestellten Dima-Konzeptes. Welche Ergebnisse erwarten Sie als Vorstand der Namur aus dieser Arbeit?

Dima ist ein Vorschlag zur Umsetzung der Namur-Empfehlung NE 148. Die Arbeitskreise sind nicht nur mit Namur-Mitgliedsfirmen besetzt, sondern auch mit ZVEI-Mitgliedsfirmen, also Anbietern von Automatisierungslösungen. Hier wird gemeinsam geprüft, ob Dima ein allgemein akzeptierter Weg ist. Und dabei gibt es naturgemäß Änderungen und Verbesserungen – am Ende wird nicht Dima herauskommen, sondern ein weiterentwickeltes gemeinsames Konzept. Meine Hoffnung und auch Erwartung ist, dass diese Ergebnisse im Konsens von Herstellern und Betreibern beschlossen werden und dann zügig für Pilotprojekte zur Realisierung und Prüfung zur Verfügung stehen.

Welche sind die größten Herausforderungen, die Sie im Rahmen dieser Standardisierungsarbeit nehmen müssen?

Wie immer: Es muss gestern fertig sein, perfekt sein und darf nichts kosten (lacht). Im Ernst: Die Geschwindigkeit ist wichtig – wir müssen Lösungen präsentieren, bevor andere Gremien überhaupt loslaufen. Wir müssen einen breiten Konsens in der Fachwelt finden, um konkurrierende Ansätze zu verhindern. Wir brauchen schnelle Pilotprojekte, an denen wir lernen und den Erfolg präsentieren können. Und dann müssen wir die Standardisierung international ausrollen, um uns global durchzusetzen. Das alles ist durchaus herausfordernd!

Mit welchen Veränderungen werden die unterschiedlichen Marktakteure der Prozessindustrie dann zu rechnen haben?

Für die Betreiber prozesstechnischer Anlagen wird die Modularisierung endlich möglich. Seien wir ehrlich: Bisher ist viel zu viel Software „handgestrickt“ und nicht modular zusammengesetzt, und wir haben dafür viel Geld bezahlt und in den Projekten viel Zeit verloren. Auch wir – eigentlich als systematisch eingeschätzte – Ingenieure werden noch lernen müssen, mit fertigen Modulen intelligent zu leben statt individuelle Lösungen zu fordern. Ähnliches gilt für Betriebsleiter und Prozessentwickler. Für die Hersteller von Modulen wachsen die Freiheitsgrade, welche Automatisierungskomponenten er einsetzt, solange sie über die standardisierte Schnittstelle verfügen. Die Hersteller von Automatisierungslösungen können, wenn sie die Schnittstellen implementiert haben, sehr schnell und preiswerte Integrationen anbieten. System-Integratoren, die bisher mit niedrigen Stundensätzen Schnittstellen „gestrickt“ haben, werden in diesem Bereich allerdings Einbußen haben.

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