Prozessautomation & Messtechnik Rechnung mit vielen Unbekannten

Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co.KG



08.06.2012

Der Prozess soll keine Blackbox sein, sondern möglichst weitgehend mess- und regelbar. Gerade in der biotechnologischen Produktion kann die Bioaktivität von Zellen jedoch unvorhergesehene und unbeabsichtigte Ergebnisse hervorbringen. Prozessanalysentechnik gibt den Herstellern die Kontrolle zurück. Doch viel Potenzial bleibt noch unausgeschöpft.

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„Man muss bedenken, dass jede Zelle ein eigenes Regulationssystem besitzt, mit dem sie auf ihre Umgebung reagiert.“ Das Problem, das Prof. Bernd Hitzmann von der Universität Hohenheim anspricht, trifft auf alle Prozesse zu, die biotechnologisch mit Mikroorganismen ablaufen - ob in der pharmazeutischen Industrie, in der Brauerei oder bei der Waschmittelherstellung. „Bei rein chemischen Prozessen ist der Einfluss der Umgebungsparameter viel einfacher zu beurteilen“, meint Hitzmann, und steckt damit das Feld ab, innerhalb dessen Prozessanalysentechnik (PAT) heute eingesetzt wird. Gute Gründe für den Einsatz sind schnell gefunden. „Die Ausschussraten, die man heute in der biotechnologischen Produktion hat, ließen sich durch einen vernünftigen, klugen Einsatz von Analysenmesstechnik massiv reduzieren“, schätzt Dr. Thomas Steckenreiter, Marketing Director von Endress+Hauser, und prognostiziert: „Bei den Produktwerten würde sich das für die meisten Hersteller sehr schnell rechnen.“Generell sieht das auch das Feld der Anwender so. Die Dechema nimmt Bezug auf eine Umfrage, laut der 48Prozent der befragten Unternehmen aussagen, dass PAT in ihrem Betrieb die Produktivität erhöht und den Abfall verringert. Wissensbasierte Produktion ist, was den Einsatz von Prozessanalytik so lohnenswert macht: Statt die einmal aufgebaute Prozesskette Batch für Batch zu fahren und am Ende das Produkt auf Qualität zu untersuchen, erlaubt PAT, durch besseres und umfassenderes Wissen über sämtliche Prozessstellen - vom Rohstoff bis zur Konfektionierung - mit mehr Wissen besser zu produzieren. Dem stündlichen Ziehen einer Probe, die erst ins Labor getragen muss, um dort analysiert zu werden, steht also eine automatische On- oder Inline-Analyse gegenüber, die das Ergebnis ohne Zeitverzögerung rückgemeldet. Denn „bis ich nach der Rückmeldung vom Labor aktiv in den Prozess eingreifen kann, ist es vielleicht schon zu spät“, weiß Steckenreiter. Er meint, dieses Potenzial werde bisher noch unterschätzt.

Keine Zeit für neue Messmethoden

Tatsächlich geben die Teilnehmer der eingangs erwähnten Umfrage an, Aufwand und Kosten für den Einsatz von PAT seien oft zu hoch. Steckenreiter vermutet, dass in vielen Fällen das Interesse groß ist, aber die Zeit fehlt, um neue Mess- und Analysemethoden zu evaluieren und implementieren. „Das Potenzial, das die Analytik für die Prozesse bietet, kann kaum genutzt werden, weil die Abteilungen sich im Tagesgeschäft mit dem Einhalten der FDA-Richtlinien beschäftigen.“ Tatsächlich ändern Unternehmen gerade in der Pharmaindustrie nur ungern ihre Prozesse, wenn sie einmal laufen. FDA-Audits können dann so viel Zeit und Aufwand kosten, dass für die Integration innovativer Technik kaum noch Gelegenheit bleibt - zumal neue Technologie auch neues Wissen beim Personal erfordert. Dass neue Möglichkeiten je nach Branche unterschiedlich schnell genutzt werden, berichtet auch Dr. Klaus-Peter Mang, Leiter des Produktmanagements für die Region Central Europe bei Mettler Toledo. „Beim Sauerstoff waren Brauereien die ersten, die die Vorteile der optischen Messung im Vergleich zur amperometrischen erkannt haben“, berichtet er. „Die Pharmaindustrie hat ihre Standard Operating Procedures und validierte Prozesse - die ändern daran so schnell nichts.“ Auch Henkel hat für die Produktion von Waschmittel mit Enzymen früh erkannt, dass sich PAT lohnt. Wir setzen Prozessanalytik zur Messung und Steuerung in der Produktion ein, zum Beispiel Nahinfrarottechnik, mit der wir die Feuchte unserer pulverförmigen Waschmittel online messen und danach steuern“, berichtet Thomas Liesemeier, Leiter International Engineering im Unternehmensbereich Wasch/-Reinigungsmittel. „Würden wir offline messen, hätten wir Nachteile in der Genauigkeit der Prozessführung“, erklärt er. „Zudem würden wir zumindest zwischen zwei Messungen Abweichungen von der Zielqualität nicht oder später registrieren. Wir wollen keine Unsicherheiten riskieren, sondern die Nachsteuerung der Prozessparameter so zeitnah wie möglich realisieren.“ Steckenreiter berichtet, dass es manchmal nur des Praxiswerts bedarf, um Anwender von den Vorteilen von Prozessanalytik zu überzeugen. Novozymes hat sich bei der Zellzählung nach nur acht Wochen für eine optische Online-Lösung von Endress+Hauser entschieden, als deutlich wurde, wie gut die Ergebnisse mit der zeitraubenden Offline-Analyse im Labor übereinstimmten. Interne Ansprüche sind das eine, externe das andere. Thomas Steckenreiter plädiert für einen entspannteren Umgang mit den Regulierungsbehörden. „Die FDA überprüft lediglich, ob das, was die Firmen tun, auch nachhaltig ist. Deshalb ist die Angst vor ihr eigentlich nicht gerechtfertigt“, meint er. Doch ein weiteres Hindernis beeinflusst die Entwicklung: der Mangel an Spezialisten in den Unternehmen, die die noch vergleichsweise neue Technik beherrschen. Marktbeobachter wie Steckenreiter warnen, nicht zu lange zu warten, um sich Fachleute ins Haus zu holen. „In einer Branche, in der viele Produkte und Prozesse immer gleicher werden, zählt jeder Euro in den Herstellungskosten“, sagt er mit Blick auf die Pharmaindustrie. „Wer schneller und effizienter ist, ist dann der Gewinner.“

Single-use braucht Standards

Effizienter muss auch noch die Anbindung an Single-use-Systeme werden. Diesen wird zudem eine große Zukunft prognostiziert - wenn auch in vielen Fällen als Mischsysteme, Seite an Seite mit klassischen Edelstahlbehältern. So setzen schon heute viele Hersteller Single-use-Behälter in den Ansätzen für Puffer und Nährstofflösungen ein - besonders in Mehrproduktanlagen. Herausfordernd für die Messtechnik sind derzeit unter anderem noch die Schnittstellen. „In der Regel handelt es sich hierbei um kundenspezifische Lösungen“, erklärt Klaus-Peter Mang. Auch Thomas Steckenreiter meint: „Das schönste wäre, wenn wir eine standardisierte Schnittstelle an die Bags hätten. Die Hersteller würden sich einen riesigen Gefallen tun.“ Denn wenn Lösungen leichter anzubieten sind, wird auch das Marktpotenzial größer. Auch die Gefahr von Verkeimung könnte darüber minimiert werden.Und was bringt die Zukunft außerdem? „Die Bereiche Online-Analytik und Datenintegration sollten noch weiter zusammenwachsen“, fordert Dr. Stefan Steigmiller, Leiter PMT-PAT Biotech Projects bei Bayer Technology Services. Zwar freut er sich, dass der Baychromat von BTS bereits Probenahme, -aufbereitung und Messwerterfassung automatisiert hat. „Trotzdem muss immer noch ein Experte entscheiden, ob die Fermentation gut oder schlecht läuft.“ Intelligente, vollautomatisierte Prozessabläufe prognostiziert auch Steckenreiter. Viele Hersteller kennen ihre qualitätskritischen Stellen bei Rohstoff, Fermentation, Aufreinigung, Chromatographie und Konfektionierung noch nicht. „Meistens gibt es ein Leitsystem und es werden Daten gesammelt. Aber die Frage ist: Wird das richtig gemacht? Kenne ich die Qualitätsspannweite meiner Rohstoffe und deren Auswirkung auf das Endprodukt?“ Steckenreiters Vision besteht aus einem selbstlernenden System, das Ausschuss vermeidet, noch bevor er entsteht. „Nehme ich beispielsweise eine biotechnologische Produktion an, bei der 10Prozent Aussschuss entstehen, dann kann die Ausbeute an Produkt eines Monats in die Kläranlage gefahren werden. Dieser Verlust könnte durch intelligente Maßnahmen drastisch reduziert werden.“ In Fällen, in denen an einem Tag Produkt im Wert von 1Million Euro entsteht, wird das Potenzial schnell deutlich.

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