Prozessautomation & Messtechnik Fliegender Wechsel

10.10.2012

Neues Leitsystem, neue Hardware-I/Os, neue Schaltschränke - eine Mammutaufgabe für die Veltins-Brauerei. Trotzdem ist der Wechsel im laufenden Betrieb gelungen. Und das eingesetzte Leitsystem hat seine Eignung für die Brauereibranche unter Beweis gestellt - dank offener und flexibler Strukturen.

Uber 11.000 Funktionsbilder und fast 2.000 Prozessbilder - in einer Brauerei ist viel los. Soll die Produktion des Gerstensafts modernisiert werden, müssen alle Beteiligten daher ihr Handwerk verstehen. „Wir hätten auf die bestehende Lösung eines etablierten Prozessleitsystemanbieters zurückzugreifen können“, bestätigt Dirk Bartmann, der bei Veltins für die Prozessleittechnik verantwortlich ist. „Wir haben uns aber bewusst dafür entschieden, einen neuen Weg zu gehen.“ Bei Veltins waren die Verantwortlichen davon überzeugt, dass ein neuer, innovativer Anbieter auch für neue Impulse sorgt. B&R als Mittelständler brachte die Fexibilität und Innovationsbereitschaft mit, die für die Bewältigung einer solchen Aufgabe erforderlich war. Diese Aufgabe enthielt viele Verzweigungen, denn auch der Großteil der in die Jahre gekommenen Automatisierungstechnik einschließlich der Leitwarte sollte durch B&R-Produkte ersetzt und der Rest - meist Profibus-Komponenten wie Frequenzumformer und andere Aggregate - eingebunden werden. Parallel zur Anpassung von Aprol an die Bedürfnisse der Braubranche sollten auch der Gär- und Lagerkeller und angrenzende Anlagenbereiche bei Veltins mit dem neuen Prozessleitsystem modernisiert werden. Insgesamt wurden unter anderem 25.000 Hardware-I/Os mit Hilfe des I/O-Systems System 2005 von B&R installiert sowie 30 Stand- und 50 Wandschränke mit neuer Technik ausgerüstet und neu verdrahtet. Für die Planung und Umsetzung der Arbeiten, einschließlich des Schaltschrankbaus und der Montage, wurde der Systempartner Actemium mit ins Boot geholt.

Modernisierung bei laufendem Betrieb

Da es bei der Umsetzung des umfangreichen Pflichtenhefts zu keiner Beeinträchtigung des Betriebs kommen durfte und nur sehr kurze Produktionspausen für Umschlüsse zur Verfügung standen, wurde das Projekt in mehrere Phasen aufgeteilt. In Anlagenbereichen, die Veltins unter der Woche für die Bierproduktion benötigte, wurde an einem produktionsfreien Wochenende die gesamte Elektroinfrastruktur unterhalb der Steuerungen umgeschlossen. Die I/Os wurden dann erst einmal wieder an die alten Steuerungen zurückgemeldet und deren Automatikprogramme vorerst weiterverwendet. Spätere Produktionspausen wurden genutzt, um die Funktionalität aus den alten Systemen nach und nach auf die neuen Steuerungen zu übertragen. „Schon während der Umstellung wurde das verhindert, was auch einer der Hauptgründe für die Modernisierung war: Anlagenausfälle“, berichtet Dirk Bartmann. Wegen der eng ineinandergreifenden Verfahrensprozesse und eingeschränkter Diagnosemöglichkeiten sei das Projekt während der Umstellphase sehr sensibel gewesen. Veltins hat dabei schnell erkannt, dass die Automatisierungslösung dank zuverlässiger und langfristig lieferbarer Produkte nicht nur die bestehenden Probleme beheben würde, sondern noch viel mehr Möglichkeiten bietet. „So ist es uns mit Aprol gelungen, die im Gär- und Lagerkeller noch zahlreichen manuell gesteuerten Produktionsbereiche zu automatisieren und die Handebene komplett aufzulösen“, erläutert der Veltins-Mann. „Ein entscheidender Faktor war dabei, dass Aprol ein Linux-System ist und sich folglich durch eine ausgeprägte Offenheit auszeichnet. Daher war es auch problemlos möglich, Profibus-Automatisierungskomponenten mit S5- und S7-Steuerungen über TCP/IP ebenso in das System zu integrieren wie Industrie-Notebooks, die über Wlan mit Aprol kommunizieren.“ Mit den robusten Notebooks haben die Bediener den ganzen Prozess im Blick und können zudem sämtliche Einstellungen vornehmen, auch wenn sie gerade nicht in der Leitwarte sitzen. Da das System ständig über alle Vorgänge auf dem Laufenden hält, erfährt man auch von Ereignissen, die nicht in unmittelbarer Nähe zum eigenen Standort auftreten. Ebenso positiv aufgenommen wird, dass dank der Offenheit des Systems auch Schnittstellen zu den Software-Tools anderer Hersteller mit vergleichsweise geringem Aufwand realisiert werden konnten, soweit sie nicht ohnehin schon vorhanden waren. „Durch die nahtlose Integration von Tools wie Eplan View oder Cadison vereinfacht sich zum einen das Engineering, da sich beispielsweise Daten, Symbole und Bezeichnungen direkt übernehmen lassen. Dies hat zweifellos dazu beigetragen, dass zwischen den einzelnen Umschlussschritten ein größeres Arbeitspensum bewältigt werden konnte bzw. diese schneller aufeinander folgen konnten“, urteilt Bartmann. Außerdem könne das Personal im Wartungsfall ohne Umwege über andere Systeme und ohne Gang in den Gär- und Lagerkeller feststellen, was ausgefallen ist und was für ein Ersatzteil benötigt wird - dank der Mechanikdatenbank von Cadison direkt im Leitsystem.

Millionen Prozessvariablen unter Kontrolle

Zusammen mit den bereits innerhalb von Aprol bereitgestellten und mit internen Funktionen wie Audit Trail akquirierten Daten - das Leitsystem verwaltet bei Veltins mehr als 7,5 Mio. Prozessvariablen - kann sich die Brauerei umfassend über Brauvorgänge und Produktionsdaten informieren. Das bietet klare Vorteile, wie Dirk Bartmann bestätigt: „Viele dieser Informationen lagen uns zwar schon vor dem Umstieg vor, aber häufig nur in Form von Excel-Listen oder handschriftlichen Protokollen. Entsprechend zeitaufwändig war die Extraktion von Daten für die Erstellung von Berichten wie beispielsweise Bestandübersichten. Aprol bietet uns nun die Möglichkeit, viele dieser Arbeiten zu automatisieren und Daten zusammenzuführen und zu verknüpfen.“ So kann Veltins schneller einzelne Chargen automatisch zurückverfolgen, bei Bedarf eruieren, wo ein Problem entstanden ist - und zusätzlich auch feststellen, welche Chargen eventuell betroffen sein können. „Da Aprol wesentlich mehr Informationen zur Verfügung stellt und wir zudem schneller darauf zugreifen können, lassen sich Fehler generell in kürzerer Zeit identifizieren und beheben sowie Prozesse leichter optimieren“, fügt Dirk Bartmann an. Wartung und Instandhaltung haben sich zusätzlich vereinfacht, da Veltins die Modernisierung genutzt hat, um die Automatisierungstechnik neu zu organisieren und funktional zusammengehörige Aggregate und Automatisierungskomponenten dezentral zusammenzuführen. Der Prozessleittechnik-Verantwortliche fällt ob der zahlreichen Vorteile und neuen Möglichkeiten auch ein durchwegs positives Urteil über Aprol und die Automatisierungstechnik von B&R: „Wir haben eine durchgängige Lösung von der Leit- bis zur Feldebene mit ungehindertem Durchgriff und hoher Verfügbarkeit und Anpassungsfähigkeit geschaffen.“

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