Prozessautomation & Messtechnik Immer der Reihe nach

17.04.2013

Wer seine Steuerungs- und Leittechnik modernisieren will, muss dafür keineswegs längere Produktionsunterbrechungen in Kauf nehmen. Eine schrittweise Migration wie beim Spezialchemiehersteller CHT Beitlich beugt ungeplanten Anlagenstillständen vor. Dazu müssen Prozessleitsystem und Steuerungstechnik das stufenweise Vorgehen optimal unterstützen.

„Wir haben die Prozesssicherheit und die Produktqualität erhöht und können wesentlich flexibler und schneller auf sich ändernde Marktanforderungen reagieren“, so das Resümee von Günther Schätzle, Leiter Betriebstechnik bei CHT R. Beitlich, nach der Modernisierung der Prozessanlagen im Werk Dußlingen bei Tübingen. Dort betreibt CHT 68 Anlagen, darunter 40 Mischkesselanlagen und 14 Chemiereaktoren. Gerade mittelständische Unternehmen wie CHT begrüßen eine Lösung wie Aprol von B&R, meint Schätzle: „Damit lässt sich das Migrationsrisiko minimieren.“ Die Lösung sei zudem nicht nur auf die Anforderungen der Großindustrie mit vollautomatischer Rezepturfahrweise zugeschnitten. Aspekte, die für CHT entscheidend waren, als eine Migration unumgänglich wurde. „Es hatte sich abgezeichnet, dass die historisch gewachsene Technik für die Steuerung, Visualisierung und Betriebsdatenerfassung in absehbarer Zeit nicht mehr mit den steigenden Anforderungen an die Produktqualität und den Qualitätsnachweis, die Prozesssicherheit sowie den gesetzlichen Sicherheitsvorgaben Schritt halten können würde“, benennt Schätzle das Motiv für die Anfang 2011 in Angriff genommene Migration. „Die alte Technik hat uns bei der schnellen Umsetzung neuer Anforderungen eingeschränkt.“ Drei Tage habe es zum Beispiel gedauert, um nur ein zusätzliches Ventil einzubauen und in Betrieb zu nehmen. Vermehrt auftretende, altersbedingte Geräteausfälle verstärkten die Argumente für eine Migration. Deren Ziel: die veraltete, anfällige, unflexible Steuerungs-, Visualisierungs- und BDE-Technik durch neue abzulösen, die dem Stand der Technik entspricht. „Eine Vollautomatisierung der Anlagen war dabei ganz klar nicht erstes Ziel“, ergänzt Schätzle, „für unsere Multifunktionsanlagen wäre sie zu aufwendig.“ In einer ausführlichen Evaluation hat ein Team aus CHT-Mitarbeitern drei verschiedene Leitsysteme und die Steuerungs- und Visualisierungstechnik zweier Anbieter untersucht. B&R bekam den Zuschlag. „Das Leitsystem Aprol unterstützt - im Gegensatz zu den anderen von uns evaluierten, sehr bekannten und verbreiteten Systemen - eine schrittweise Migration optimal“, argumentiert der CHT-Manager die Wahl. „Wir konnten die Produktionsanlage sukzessive auf das neue Prozessleitsystem umstellen, während parallel die alten Systeme weiterliefen.“ Besonders schätzen die CHT-Experten die so gewonnene Unabhängigkeit von Windows. Die Leit- und Visualisierungstechnik von B&R basiert auf Linux. Das abgestufte Steuerungs- und Visualisierungsportfolio ermöglicht es CHT, jede Anlage mit einer SPS mit maßgeschneiderter Rechenleistung und angereihten I/Os sowie eigenem HMI auszustatten. „Wir bilden die tatsächliche Anlagenstruktur unmittelbar in der Steuerungs- und Visualisierungstechnik ab. Die schrittweise Migration können wir auf der Hardwareseite optimal umsetzen“, erklärt Schätzle und ergänzt: „Auch die geringeren Schnittstellen- und Kommunikationsprobleme sprechen für die Lösung aus einer Hand.“ Zwar wäre es auch mit der im Rahmen der Evaluierung untersuchten Steuerungstechnik eines großen deutschen Herstellers möglich gewesen, jede Anlage mit einer eigenen Steuerung auszustatten, räumt Schätzle ein, „aber nur über Umwege oder mit Hilfe einer Soft-SPS, was für uns beides nicht in Frage kam.“ Die Nachteile eines Wechsels des Steuerungs- und Leitsystemanbieters schätzt der CHT-Mann gering ein: „Die Software hätten wir ohnehin schon deshalb weitgehend neu schreiben müssen, da sich über die Jahre bis zu 50 Prozent ungenutzte Codes eingeschlichen hatten.“

Spielraum für den Systemintegrator

Auch auf der Kostenseite sieht der Leitende Ingenieur kaum Unterschiede zwischen den evaluierten Lösungen. Schätzle: „Die jeweils von den Integratoren veranschlagten Kosten für die alternativ angebotenen Prozessleitsysteme unterschieden sich um maximal 20 Prozent.“ Wichtiger als der reine Angebotspreis war für CHT bei der Wahl des Integrators aber, inwieweit sich der Anbieter in der Lage sah, auf die Anforderungen des Spezialchemieherstellers einzugehen und auch zusätzliche �?nderungen während des Projekts flexibel zu berücksichtigen. Die Erler GmbH konnte sich dabei gegen fünf weitere Systemintegratoren durchsetzen. „Da wir Aprol vorher noch nicht eingesetzt hatten, waren wir anfangs skeptisch, ob das System das bewältigen kann“, verrät Geschäftsführer Alois Erler. „Diese Zweifel wurden uns aber im Laufe des Projekts genommen.“ Die Migration ging leichter von der Hand als erwartet. Aprol sei ein sehr offenes System, sodass es leicht fiel, auch während des laufenden Projekts auf Kundenwünsche zu reagieren. Erler: „Gefallen hat uns ferner die problemlose Anbindung an das Altsystem. Das ist erstaunlich gut gelaufen.“ Seit der Migration einer ersten, komplexen Pilotanlage mit rund 360 digitalen und 20 analogen I/Os wird seit Herbst 2011 fast wöchentlich eine weitere Produktionsanlage umgestellt. Noch im zweiten Quartal 2013 sollen alle 68 Systeme im Werk Dußlingen auf Aprol migriert sein. Dann werden 46 HMIs von B&R, knapp 70 X20-Systemsteuerungen, etwa 14.000 digitale und 1.000 analoge X20-System-I/Os sowie diverse über VNC angebundene Bedienstationen den Betrieb aufgenommen haben. Im System arbeiten zwei Runtime-, ein Engineering- und ein VNC-Server. Schon während der Umstellung wurde deutlich, dass CHT mehr als einen Ersatz für das Altsystem geschaffen hat. „Das neue System ist viel flexibler. Ein Ventil können wir heute in wenigen Stunden in Betrieb nehmen“, so Schätzle. „Zudem können wir mit dem Trend-Viewer oder dem Audit Trail Prozesszusammenhänge in Echtzeit analysieren und so Produktionsoptimierungen umgehend umsetzen.“ Zusätzliche Einsparungen will das Unternehmen durch die Einführung eines Energiemanagements realisieren - als einer der ersten Anwender der brandneuen EnMon-Bibliothek von Aprol. „Die Migration ist bisher zu unserer vollen Zufriedenheit verlaufen und hat nicht einmal die Hälfte einer Vollautomation gekostet. Durch das schrittweise Vorgehen und den parallelen Betrieb von Neu- und Altsystem und einer Kopplung über einen Datenkonzentrator wurde unsere Produktion nur minimal beeinträchtigt und es kam zu keinerlei Datenverlust“, freut sich Schätzle.

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