Prozessautomation & Messtechnik Der Regler der Namur


Heinrich Engelhard, Geschäftsführer der Namur, leitet die BTS-Gruppe Liaison: „Normung trifft hier Namur.“

11.10.2013

Never change a running system. Das könnte gut der Wahlspruch von Heinrich Engelhard sein, dem neuen Namur-Geschäftsführer. Aber auch: Es geht immer noch besser. Sein erstes Jahr hat der Maschinenbauer genutzt, um die Organisation und die Menschen, die sie tragen, richtig gut kennenzulernen. Dass er keine Angst vor Veränderung hat, hat er in seiner eigenen Laufbahn bewiesen.

Was macht ein Luft-und-Raumfahrt-Ingenieur bei der Namur? Er führt die Geschäfte des Interessenverbands der Anwender von Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie, und das nun schon seit über einem dreiviertel Jahr. Heinrich Engelhard hat die Position sozusagen von seinem damaligen Chef Wolfgang Morr „geerbt“. Der kannte ihn, wusste, was er mitbringt, was ihn als neuen Leiter der Geschäftsstelle prädestiniert, auch wenn er keiner aus der Riege der „alten PLTisten“ ist: allem voran wohl seine Lust auf Neues, ohne allzu große Bedenken, Unbekanntes könnte ihn überfordern. Ein Abenteurer? Weit davon entfernt. Sicherheit - vor allem auch für seine Familie - war und ist ihm immer wichtig. Doch manchmal bekommt man die eben nicht, indem man bei Altbekanntem bleibt. In solchen Fällen geht Engelhard pragmatisch vor: „Wenn man mir etwas Neues zutraut, dann versuche ich es und tue mein Bestes.“ Sich auf Unbekanntes einlassen - dazu entschied sich Engelhard das erste Mal bereits unmittelbar nach dem Studium. Als Maschinenbau-Student Luft- und Raumfahrt hatte er sich umgesehen, MTU, Dornier und viele andere spannende Unternehmen besucht. Doch er sah auch die politischen Zeichen, hörte die Diskussion um den Bau des Jäger 90. „Das schien mir alles zu wackelig, um darauf mein Leben aufzubauen.“ Das Unbehagen, das er verspürte, trieb ihn dazu an, sich breiter zu orientieren. Schließlich begann er als junger Ingenieur bei Agfa, zunächst in der Betriebsbetreuung, nach fünf Jahren dann in der Produktion. „Ich habe mich mit Umwelttechnik und Logistik befasst, die Qualitätskontrolle durch organisatorische �?nderungen verbessert und vieles mehr“, so der Namur-Geschäftsführer. Eine sehr, sehr interessante Zeit sei das gewesen, „Produktion, das muss man mal erlebt haben. Da geht es jeden Tag wieder neu darum: Morgen muss das Produkt fertig sein - das müssen wir heute sicherstellen. Nicht übermorgen, jetzt muss eine Lösung her.“ Er kennt also die andere Seite, die „Kunden“ der Namur, die Betriebe, die wollen, dass ihre Produktion sicher und effizient läuft. Und er weiß aus dieser Zeit auch zu schätzen, was es an Sicherheit bringt, wenn der Betriebsmann vor Ort weiß: Die Automatisierungslösung, die die Namur empfiehlt, die kann ich bedenkenlos einsetzen. „Das ist das Grundprinzip der Standardisierung“, so Engelhard, „man gewinnt Freunde zum gleichen Thema, erarbeitet sich im Konsens mit anderen Fachleuten die Dinge, die dann als anerkannt gelten.“

Normierung - eine „kleine Versicherung“

Wie eine kleine Versicherung sei das - und selbst, wenn es mal kritisch würde, man stünde nicht alleine da. Hier spricht der Normenexperte Engelhard. Denn als auch Agfa zum unsicheren Pflaster wurde - etwa zwei Jahre vor dem Konkurs des Filmmaterial-Herstellers - ließ sich Engelhard wieder auf etwas Neues ein. 2001 trat er bei der Bayer AG ein. Die stand selbst vor ihrem wohl größten Wandel - 2003 wurde der große Konzern aufgeteilt. „In dieser Zeit galt es, das Cost-Center Normung in ein Profit-Center zu überführen, das den verschiedenen Bayer-Unternehmen Normen bereitstellt - als Dienstleistung“, so Engelhard. Wieder eine völlig neue Aufgabe, die mit Maschinenbau wenig, mit Organisation jedoch sehr viel zu tun hat.„Auch die Namur macht ja quasi kleine Standards“, formuliert es Engelhard vorsichtig. Und mit Standardisierung habe er doch schon einige Erfahrung. Daher trägt er heute zwei Hüte: als Leiter der Gruppe Liaison bei Bayer Technology Services. „Normung trifft Namur“, fasst der Namur-Geschäftsführer die Entstehungsgeschichte der Gruppe zusammen. „Automatisierungsdetails? Die werde ich so schnell wohl nicht alle bedienen können.“ Dafür hat ihm die Organisation Peter Zgorzelski als technischen Referenten an die Seite gestellt. Die erste richtige Begegnung mit der Namur hatte Engelhard schon vergangenes Jahr - sozusagen als Gast auf der Namur-Hauptsitzung, der letzten unter der �?gide Morr. „Ich war tief beeindruckt - und bin es immer noch“, so der heutige Geschäftsführer. „So viele überaus engagierte Leute, die äußerst intensiv zusammenarbeiten.“ Er spürt bei den Mitarbeitern in den Namur-Arbeitskreisen ein persönliches Engagement, das er vorher so noch nicht kennengelernt hatte, auf der „mechanischen Seite“ „So viel aus eigener Kraft zu bewegen - das erzeugt ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das dann wieder motiviert.“ Und jetzt steht er kurz vor der nächsten Hauptsitzung. „Das war mein Ziel fürs erste Jahr: erst einmal die Strukturen und Menschen kennenzulernen und dann eine einigermaßen ordentliche Hauptsitzung hinzubekommen“, so Engelhard. Zum Glück mit starker Unterstützung durch die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und durch einige Arbeitskreise, die etwa die Feinabstimmung mit dem diesjährigen Hauptsponsor Siemens übernehmen. Natürlich gebe es genug zu tun, bis alle Workshop-Themen stehen, doch er müsse eigentlich nicht treiben. Die Eigenmotivation der Namur-AKs, das, was im vergangenen Jahr erarbeitet wurde, vorzustellen, ist offensichtlich groß. Nach einem Jahr „auf Achse“, einem Jahr, in dem Engelhard unterwegs war, um die Tochter-Organisation in China, die befreundeten Organisationen WIB und EEMUA sowie die Namur-Arbeitsfelder und ihre Vertreter in den Arbeitskreisen kennenzulernen, wird Engelhard bei „seiner“ Namur endgültig angekommen sein, wenn am 7. November die nächste Namur-Hauptsitzung in Bad Neuenahr startet. Es werden wohl wieder um die 550 Teilnehmer werden. Bedarf, etwas zu ändern? „Bisher sehe ich den nicht. Aber ich bin immer bereit zu hinterfragen: Wer ist unser Kunde? Was benötigt er? Meine Meinungsbildung ist da nicht abgeschlossen und wenn ich �?nderungsbedarf sehe, werde ich das dem Vorstand vorschlagen.“Der unvoreingenommene Blick auf Strukturen, Abläufe und Gewohntes, den der Maschinenbauer in der Automatisierungsorganisation zwangsläufig haben muss, ist sicherlich willkommen. Die Namur hat bereits in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie bereit ist, Althergebrachtes zu hinterfragen und Neues zuzulassen: Die Öffnung, die die Teilnahme weiterer Vertreter der Hersteller von Automatisierungstechnik auf der Hauptsitzung zulässt. Das Zugehen auf andere Branchen der Prozessindustrie neben der Chemie, allen voran die Öl-und-Gas- und die Pharma-Branche. Der Wechsel des Veranstaltungsorts. Die verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, darunter auch der intensive Austausch mit dem ZVEI, den Heinrich Engelhard für äußerst wichtig hält. Schon seine beiden Vorgänger waren gefragt, das alles zu begleiten.Der Prozess ist lange nicht abgeschlossen. Nach wie vor gibt es Bestrebungen, weitere Namur-Mitgliedsunternehmen aus der Öl-und-Gas-Industrie und dem Pharma-Sektor zu gewinnen. Und auch die Gründung weiterer Tochterorganisationen wie in China hält Engelhard für denkbar. „Wir schauen uns um. Eine Erweiterung in andere Länder macht nur Sinn, wenn es keine entsprechende Organisation vor Ort gibt. Wir wollen keine Konkurrenz aufbauen.“ Auch viele Namur-interne Prozesse und Instrumente - angefangen beim Internet-Auftritt - werden wohl unter Engelhards Leitung angepackt werden. „Zu verbessern gibt es immer etwas, Gleichstand ist Rückschritt“, hat er schon in der Agfa-Produktion gelernt. Weiß Engelhard, wie mächtig die Namur ist? Das Wort Macht jedenfalls wehrt er ab - was sei denn dafür die Kennzahl, fragt er zurück. Bekannt, auch im Ausland, sei die Organisation sicherlich. Und ja, sie habe Einfluss, darauf könne man sich ja einigen. „Ich weiß, die Hersteller nehmen die Namur und ihre Empfehlungen schon sehr wahr. Warum sollten sie Investitionen tätigen, die nicht zum Ziel führen - zum Kauf eines Produkts? Mit der Namur haben sie einen guten Partner, mit dem sie reden können.“

Sicherheit für Anwender und Hersteller

So brächten die Namur-Empfehlungen nicht nur den Anwendern Sicherheit, sondern auch den Herstellern. Ein reger Austausch finde zum Beispiel zum Thema Modularisierung statt - künftige Baugrößen der Sensoren müssten dazu kleiner werden. Wenn durch diese Zusammenarbeit die Kunden, also die Anwender, am Ende keine Fehlentwicklung mitfinanzieren müssten, weil die Hersteller ihre Innovationsstrategie zielgerichtet gestalten, sei beiden gedient. Ob Engelhard noch vor der Hauptsitzung Zeit findet, noch einmal auszuspannen? Schön wäre es sicher. „Ein Wochenende mit der Jolle über den See, eine kleine Fahrradtour, einfach mal raus und ein wenig bewegen, auftanken im Kreis der Familie“, verrät der Geschäftsführer seine kleinen Inseln. Damit man die Batterien auftanken könne, gelte es ja erst einmal, den Adrenalinpegel herunterzuregeln. Man sollte es nicht unterschätzen - auch ein gelernter Maschinenbauer versteht doch einiges von Regeltechnik. Innerhalb der Namur-Organisation wird er wohl noch einige Rädchen finden, an denen es zu drehen gilt, damit der Betrieb noch reibungsloser, noch effizienter läuft.

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