Prozessautomation & Messtechnik 7 Fragen an...

15.11.2012

... Dr.-Ing. Dirk Sunderer, seit Oktober 2012 neuer Geschäftsführer von Yokogawa Deutschland

P&A:

Herr Dr. Sunderer, nach sechs Jahren Uhde Services, fünf davon als Geschäftsführer, kehren Sie nun dem Service-Geschäft den Rücken. Warum?

Dr.-Ing. Dirk Sunderer

Das tue ich keineswegs. Von Yokogawa als Automatisierungsspezialist verspreche ich mir noch viel größere Servicepotenziale, als es bei Uhde als Anlagenbauer ohne eigene Produkte möglich war. Yokogawa hat die hohe Bedeutung des Services ergänzend zum äußerst margengetriebenen Produktgeschäft erkannt. Produkte ähneln sich immer mehr. Als Hersteller müssen wir uns über Mehrleistung differenzieren - etwa beim Front End Engineering Design (FEED), durch die Wartung im Lebenszyklus oder die Steigerung der Produktionseffizienz.

Was sagt der Kunde dazu, wenn Yokogawa als Dienstleistungsunternehmen auftritt? Traut man Ihnen das zu?

Ich war eben auf unserem Service-Standort in Marl und habe dort einen sehr guten Eindruck gewonnen. Dort ist es uns gelungen, uns im Engineering zu etablieren. Wir werden als Teil des Unternehmens wahrgenommen, als Problemlöser, der den Sektor EMSR, das leittechnische Equipment und damit die Anlage mit am Laufen hält. Das ist der richtige Schritt in die Zukunft. In Hamburg gründen wir gerade einen ähnlichen Services-Stützpunkt. Auch bei Großanlagenbauern sitzen bereits Automatisierungsexperten von uns, denn dort fehlen Engineering-Kapazitäten - und für jede Problemstellung einen Spezialisten vorzuhalten, das schaffen heutzutage auch die Großen nicht mehr. Aber natürlich müssen wir uns weiterhin verfahrenstechnische Expertise aneignen, um mit den Anlagenbetreibern auf Augenhöhe zu diskutieren. Durch unsere Center-of-Excellence-Strategie, die wir in Deutschland für den Sektor Batch-Chemie und Pharma fahren, wird dies unterstützt.

Mit Ihnen sitzt nun ein Maschinenbauer an der Spitze von Yokogawa Deutschland. Ein ungewohnter Ansatz für ein Automatisierungsunternehmen, oder?

(lacht) Ich habe dreimal nachgefragt, ob das ein Problem ist. Im Ernst: Ich habe 14 Jahre Erfahrung im Industrie-Service. Und ich habe schon einmal auf der Kundenseite gesessen. Sicherlich habe ich Nachholbedarf, was die Automatisierungstechnik angeht. Aber ich muss ja nicht in die Bits und Bytes hüpfen. Yokogawa kann automatisieren. Aber ich kann die Weiterentwicklung des Unternehmens in Richtung Verfahrenstechnik anstoßen.

Was soll sich unter Ihrer Führung bei Yokogawa Deutschland ändern? Wie sieht Ihre Vision in fünf Jahren aus?

Bis dahin sollten wir als Engineering- und Service-Provider wahrgenommen und nicht nur über Produkte definiert werden. Innerhalb des europäischen und weltweiten Verbunds der Yokogawa wollen wir den Part Engineering besetzen: ein Ingenieurunternehmen mit eigenen Produkten. Aus meinem Blickwinkel kann dadurch auch der Prozess der Produktentwicklung verbessert werden. Als Dienstleister werden wir uns viel stärker als früher mit den Prozessen unserer Kunden befassen - und dadurch können wir den Produktentwicklern in Japan direktes und schnelles Feedback geben. Durch die klare Industriefokussierung werden wir sicherlich Produkte identifizieren, mit denen wir unser Portfolio ergänzen müssen. Was ich beibehalten will ist der stringente Wachstumskurs, den mein Vorgänger auch in Krisenzeiten eingehalten hat. Bei Uhde Services ist es mir gelungen, Umsatz und Ergebnis in diesem Zeitraum zu verdoppeln. Gleiches schwebt mir bei Yokogawa Deutschland vor. Dabei ist eine Stabilisierung des Systemgeschäfts wichtig, durchaus auch im Hinblick auf den Ausbau des Services. Der ist bisher noch zu sehr an den Verkauf von Prozessleitsystemen gekoppelt.

Wie wird das Yokogawa-Service-Geschäft aussehen, wenn es vom Vertrieb von Prozessleitsystemen entkoppelt ist?

Ich sehe es als Leistungspyramide: unten Basic-Services wie Training, Wartung und Ersatzteile. In der nächsten Ebene das Engineering. Und als Top das Rundum-Sorglos-Paket. Meine Vision ist: Yokogawa kümmert sich um einen ganzen Standort, bietet die komplette regelungs- und leittechnische Leistung, betreut durchaus auch Wettbewerbssysteme. Und der Kunde zahlt für Verfügbarkeit. Unsere Produkte, etwa das Produktions- und Prozessleitsystem Centum, sind für ihre hohe Verfügbarkeit bekannt. Wir wollen dies mit unseren Dienstleistungen für die gesamte Produktion sicherstellen und den Lebenszyklus und die Operational Excellence einer Prozessanlage des Betreibers optimieren - mit einer Yokogawa-Mannschaft, die ständig vor Ort ist und auch die tägliche Wartung sowie das Trouble-Shooting übernimmt und damit auch die Verfügbarkeit der Produktion gewährleistet. Besonders bietet sich das an, wenn neue Anlagen entstehen. Dann kann der Betreiber von vornherein darauf verzichten, die Mannschaften Engineering und Instandhaltung aufzubauen. Auch dort, wo die Engineering-Truppe überaltert ist oder wo die Engineering-Einheiten schlichtweg nicht mitgewachsen sind mit der Entwicklung der Automatisierung: von Produktionsplanung und Leitsystem über PIMS und PAMS, Feldbus- und Wireless-Technik und vieles mehr. Wir müssen selten die Betreiber vom Nutzwert neuer Technik überzeugen. Aber sie fragen: Wer soll das noch betreuen und bedienen? Nicht immer brauchen sie tagtäglich das komplette Know-how - dies in die Life-Cycle-Betrachtung hineinzunehmen ist hochspannend.

Wie weit ist das Center of Excellence Chemie-Pharma bereits etabliert? Und was heißt das konkret? Haben Sie Ihre Strukturen geändert oder unterstützen Sie es durch Akquisitionen?

Noch müssen wir mit Japan und unserer europäischen Zentrale in Amersfoort definieren, ob wir es auf europäischer oder sogar weltweiter Ebene aufsetzen werden. Aber die Aufgaben wurden in den vergangenen Jahren definiert - und jetzt gehen wir damit auf den Markt. Wir haben dazu branchenspezifische Expertise aufgebaut. Für die Pharmaindustrie müssen Sie etwa GAMP5 verstanden haben. Für die Spezialchemie müssen Sie wissen, wie man ein Batch-Projekt aufsetzt, und die Kompetenzen mitbringen, um ein solches Projekt abzuwickeln. Vor allem aber müssen wir die großen Trends verstehen, mit denen unsere Kunden konfrontiert sind: wenn sie immer mehr ins Endkundengeschäft rutschen und zum Beispiel Batterien für Automobilkonzerne herstellen. Ob wir dafür neue Strukturen installieren, wird sich aus den Kundenanforderungen ergeben. Bislang ist der Service in der Projektabwicklung positioniert, Aber bei entsprechendem Wachstum wird er eine eigene Division werden. Mittelfristig werden wir sicherlich nicht um die eine oder andere Akquisition herumkommen, um richtig Fahrt aufzunehmen. Organisches Wachstum ist in dem Maßstab, wie es uns vorschwebt, nicht darstellbar. Auch die Zusammenarbeit mit spezialisierten Unternehmen ist möglich. Etwa im Hinblick auf IT-Security, ein Feld, das ebenfalls eine große Rolle spielen wird in unserer Servicestrategie - gerade im Hinblick auf Windows-basierte Systeme und deren Vernetzung. Möglich wäre da die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, das auch Expertise für die rechtliche Komponente des Datenschutzes mitbringt.

Sie haben jetzt einige Wochen in einem japanischen Konzern erlebt. Wie sind die Unterschiede zu einem deutschen?

Ich empfinde Yokogawa gar nicht als typisch japanisch. Jedenfalls nicht, wenn man die Erfahrungen, die man bei einem Unternehmen wie Toyota gemacht hat, als Maßstab nimmt. Im europäischen Headquarter sitzt schon mal kein Japaner an der Spitze. Japan lässt uns viel Spielraum. Japan hört uns zu. Und Japan lernt von uns. Was anders ist - im Vergleich zum Thyssen-Krupp-Konzern -, ist ein extrem hohes Maß an Reporting. Vielleicht wird da manchmal ein bisschen viel Papier produziert. Gespannt bin ich auf den Prozess, der vor uns liegt. In der zurückliegenden Wachstumsperiode sind die Länderorganisationen sehr eigenständig gelaufen, mit all ihren Eigenheiten. Nun muss definiert werden: Welche Verantwortung übernehmen die lokalen Niederlassungen; was muss zentralisiert werden? Durch eine höhere Stringenz der Arbeitsabläufe werden wir sicherlich manches Einsparpotenzial erschließen können: in der IT, im Controlling, im Marketing etc., und auch was übergeordnete Funktionen für den Service angeht. Mit einem Engineering-Pool in Rumänien und Indien etwa lassen sich mit Sicherheit gewaltige Synergien nutzen.

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