Fachbeitrag Mit Sicherheit elektrisch


Unter Beobachtung: Komponenten für Elektroautos müssen speziellen Tests unterzogen werden.

23.08.2012

Im Jahr 2020 sollen eine Million Elektrofahrzeuge über Deutschlands Straßen rollen. Die neue Technik in den Fahrzeugen stellt dabei besondere Anforderungen an Autobauer, Werkstätten und auch an das Rettungspersonal. Dafür sind Schulungen und Tests unerlässlich, wie zum Beispiel Unfallsimulationen. Mobility 2.0 hat erkundet, wie weit der TÜV Rheinland damit ist.

Die Deutschen sind ein sicherheitsbewusstes Volk. Kein Haushaltsgerät, kein Spielzeug kommt hier auf den Markt, ohne dass es auf eine gefahrlose Nutzung geprüft wird. Um so mehr müssen auch unsere Autos allerhand Prüfungen bestehen, bevor sie auf die Straßen gelassen werden. Und das ist auch gut so. Denn durch die vielen Tests, die sich im Laufe der Jahre immer weiter entwickelt haben, ist Autofahren sicherer geworden.

Dabei geht es heute nicht mehr nur um „normale“ Autos. Diese nimmt der TÜV Rheinland schon lange unter die Lupe. Eine relativ neue Herausforderung stellen aber Elektroautos dar. Was passiert bei einem Unfall? Sind die hohen Spannungen lebensgefährlich? Oder einfach: Wie repariert man ein Elektroauto ohne sich in Gefahr zu begeben? Noch vor wenigen Jahren fehlten dazu Erfahrungen und Vergleichswerte. Um diese zu erlangen, gründete der TÜV Rheinland vor zwei Jahren den globalen Bereich Elektromobilität und widmet sich seitdem den Aufgaben und Herausforderungen für die Entwicklung zukunftsfähiger Elektromobile. Mit dem Anspruch, dass Elektrofahrzeuge genauso sicher sein müssen wie konventionelle Fahrzeuge. „Denn Sicherheit und Zuverlässigkeit stehen beim TÜV Rheinland an erster Stelle“, betont Frank Ramowsky, Globaler Leiter Elektromobilität.

Rund um den Globus

Für die Tests an Elektrofahrzeugen und ihren Komponenten betreibt der TÜV Rheinland Testlabore und Kompetenzzentren auf der ganzen Welt und ist an der Entwicklung von Sicherheitsstandards für die elektromobile Infrastruktur beteiligt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ausbildung und Personalqualifizierung. Dies umfasst verschiedene speziell entwickelte Trainingsprogramme für den gefahrlosen Umgang mit der Hochvolttechnik - etwa für Kfz-Fachkräfte, Servicebetriebe sowie auch für Unfallhelfer und Feuerwehren. „Es ist sehr wichtig, dass die Menschen, die täglich mit der Materie zu tun haben, wissen, was sie tun - und tun müssen“, sagt Ramowsky.

Des Weiteren führt der TÜV Rheinland verschiedene Langzeittests mit Elektrofahrzeugen durch und baut in Asien, Europa und den USA Prüfkapazitäten für Zellen und Batterien aus. In den Batterielaboren in Nürnberg und Japan werden zum Beispiel Speichersysteme entwickelt und getestet, aber auch ihr Recycling. Man prüft dort Zellen und Packs für mobile Anwendungen auf mechanische Belastung sowie Sicherheit, Hitze sowie thermische Belastbarkeit und elektrische Sicherheit, außerdem auf Energieeffizienz und Haltbarkeit. Dabei wird immer nach internationalen Vorgaben geprüft. „Leider gibt es noch keinen anwendbaren weltweit festgesetzten Sicherheitsstandard für Batterien“, bemängelt Frank Ramowsky. „Aber ich bin sicher, der kommt bald.“

Im niederländischen Helmond betreibt der TÜV Rheinland eines der weltweit sechs durch Euro NCAP (European New Car Assessment Programm) akkreditierten Versuchslabore. Die Anlage ist umfassend auf die Herausforderungen für Tests mit Elektrofahrzeugen abgestimmt und die Mitarbeiter sind speziell geschult. Denn bei Vorbereitung und Durchführung der Crashtests müssen die Mitarbeiter in die Batterie- und Fahrzeugsysteme eingreifen. Das kann schon mal gefährlich werden. Messgeräte ermöglichen dabei die kontinuierliche Überwachung von Spannungsverlauf und Isolationswiderstand. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den Nachweis eines sicheren Fahrzeug- und Systemverhaltens. Denn wird nach einem Crash der Strom der Traktionsbatterie nicht automatisch abgeschaltet, drohen Verletzungen durch Hochvoltstromschläge.

Crashtest bestanden

Ende 2010 hat in Helmond erstmals ein Elektroauto die Crashtests nach Euro NCAP absolviert und bestanden: Der Mitsubishi i-Miev erhielt vier von fünf Sternen. Der Crashtest wurde mit teilgeladener Batterie durchgeführt und umfasste einen Frontaufprall mit 64km/h, einen Side Crash mit 50km/h, einen Aufprall auf einen Pfosten mit 29km/h und eine Auffahrsimulation, um die Sitze zu testen, der sogenannte Whiplash-Test.

Euro NCAP ist eine Gesellschaft europäischer Verkehrsministerien, Automobilclubs und Versicherungsverbände mit Sitz in Brüssel und verfolgt das Ziel, Autokäufern und Herstellern eine realistische und unabhängige Beurteilung von Sicherheitsmerkmalen häufig verkaufter Fahrzeuge zu bieten. Der Euro-NCAP-Test besteht aus vier Teilbereichen, die mit unterschiedlicher Gewichtung entsprechend prozentual bewertet werden: Schutz erwachsener Insassen, Schutz von mitfahrenden Kindern, Fußgängerschutz sowie unfallvorbeugende Sicherheitsmerkmale eines Fahrzeugs.

Weil die Ergebnisse der Tests für Endkunden mittlerweile zu einem wichtigen Kriterium geworden sind, nach dem sie über den Autokauf entscheiden, bemühen sich alle Hersteller, ausreichende Sicherheitsstandards zu bieten. „Vor allem bei den deutschen Herstellern haben wir kaum Probleme. Da werden alle Komponenten ja schon vorher unter die Lupe genommen“, so Frank Ramowsky.

Elektromobilität auf der Straße

Die Fahrzeuge sicher zu machen ist eine Sache, die Autos auf die Straße zu bringen, die andere. Noch immer sieht man kaum ein Elektroauto in Deutschland fahren. Doch wächst die Bevölkerung in Städten weiter so rasant, müssen Mobilitätslösungen her, um die Menschen von A nach B zu bewegen, ohne Verkehrskollaps und ohne die Luft immer weiter zu verschmutzen. Auch das ist ein Anliegen des TÜV Rheinland, denn der weltweit tätige Prüfdienstleister konzentriert sich nicht nur auf die Technik.

„Wir müssen weg vom Schwarz-Weiß-Denken“, sagt Dr.Thomas Aubel, Bereichsvorstand Mobilität beim TÜV Rheinland. „Es muss ja nicht alles elektrisch sein, es reichen auch bestimmte, hochfrequentierte Strecken. Ich bin mir auch sicher, dass es noch 50, eher 100 Jahre konventionelle Antriebe geben wird. Man muss kombinieren.“ Ramowsky fügt hinzu: „Man kauft in Zukunft kein Auto mehr sondern Mobilität, beispielsweise etwa in Form von Carsharing.“

Doch zuerst muss diese Idee auch die Bevölkerung erreichen. Erfahrung sei hier enorm wichtig - im wahrsten Sinne des Wortes. „Jeder, der schon mal ein Elektroauto ausprobiert hat, ist begeistert“, weiß Ramowsky. Und jeder müsse für sich abwägen, was ihm wichtig ist: „Mein Auto kann 1000km fahren - aber wann tu ich das? Ich tanke einmal die Woche - mit dem Elektroauto muss ich gar nicht mehr zur Tankstelle, sondern lade beispielsweise in der Garage oder auf der Arbeit. Die Leute müssen die positiven den negativen Aspekten gegenüber stellen. Und da wird Elektromobilität überzeugen“, ist er sich sicher.

Beide Elektromobilitätsexperten finden es natürlich schade, dass Nordrhein-Westfalen beim Rennen um die Schaufenster-Projekte nicht berücksichtigt wurde. Denn hier hätte man am größten Ballungsraum Deutschlands Erfahrungen sammeln und Konzepte entwickeln können.

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