Fachbeitrag Vom Pilot-Projekt zum Rollout

11.12.2012

Smart Metering ist als wesentlicher Baustein der zukünftigen Energieversorgung anerkannt, auch wenn der Einbau in den Haushalten schleppend vorangeht. Doch bereits heute gibt es Energiever­sorgungsunternehmen, die zeigen, dass Mut zur Investition in Verbindung mit der richtigen Kom­munikationstechnologie neue Geschäftsmodelle schaffen kann.

Die Energiewende ist eines der zentralen Ziele deutscher Politik und beruht auf gesellschaftlichem Konsens. Energie-effizienz, wie von der Europäischen Union (EU) im Rahmen einer Richtlinie konkretisiert, und der Ausbau erneuerbarer Energien sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Auch die Ener-gienetze müssen auf die Wende vorbereitet werden. So erfordert zum einen die volatile Einspeisung aus erneuerbaren Energiequellen eine intelligente Netzsteuerung. Zum anderen entwickeln sich auch die Kundenbeziehungen weiter, indem die Kunden in ihrer Rolle als Verbraucher und Erzeuger immer stärker eingebunden werden. Zudem werden die Energiesysteme komplexer.

Eine sichere Energieversorgung kann zukünftig nur durch Vernetzen der Bausteine und durch intelligente Lösungen aufrechterhalten werden. Die Stromnetze werden intelligenter und entwickeln sich zu Smart Grids. Basis dafür sind Kommunikationsnetze und -lösungen, die zur Schlüsseltechnologie der Energiewende werden.

Durch die Novellierung des Energie-wirtschaftsgesetzes (EnWG) und das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) herausgegebene Schutzprofil [1] wird der politische Vorgabenrahmen noch konkreter. Schon heute gibt es aber Technologien, welche die dort definierten Anforderungen erfüllen können. Wer bereits die Investition in die richtige Richtung getätigt hat, wird sehr bald vom Smart Metering profitieren. Ein solches Beispiel stellen die Stadtwerke Ratingen dar.

Kommunikationstechnik für Smart Meter

Die Stadtwerke Ratingen beliefern Haushalte sowie Gewerbe- und Industriekunden mit Wasser und Energie und haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Services weiter auszubauen. Die gute Kundenbeziehung sollte mit "intelligenten" Anwendungen wie Smart Metering vertieft und durch Angebote erweitert werden, die den Konsumenten helfen, den eigenen Energieverbrauch und damit Kosten zu reduzieren. Der Energieversorger hat bereits länger den Finger am Puls der Zeit. Er war sich im Klaren, dass Vernetzung und neue Services die zentralen Herausforderungen der Zukunft sind. Diese "smarten" Dienste setzen jedoch leistungsfähige Kommunikationsnetze voraus, die in Ratingen anfangs aber noch nicht verfügbar waren.

Zudem erkannten die Stadtwerke das Kommunikationsnetz als zentralen und unverzichtbaren Baustein zum Erfüllen der gesetzlichen Vorgaben zum Smart Metering. Noch bevor der Gesetzgeber das Messsystem erstmals als Kombination aus Messeinrichtung und Kommunikationsnetz definiert hatte [2], entschied sich der Energieversorger im Jahr 2010, mit einem größeren Pilotprojekt die Weichen für intelligente Dienste zu stellen. Er baute den kompletten Stadtteil Breitscheid zu einem Smart Grid um und eröffnete seinen Kunden den Zugang zum Smart Metering. Nach eingehender Recherche und Prüfung verschiedener Technologien, wählten die Stadtwerke als Kommunikationstechnik Breitband-Powerline (BPL). So konnten die eigenen Strukturen zur kommunikationstechnischen Vernetzung genutzt werden. Darüber hinaus fallen keine monatlichen Gebühren für einen Kommunikationsdienstleister an und auch mit Projektverzögerungen, beispielsweise durch fehlende Genehmigungen Dritter, ist nicht zu rechnen. Datenschutz und Datensicherheit sind ebenfalls gegeben: BPL nutzt bereits etablierte Standards aus der Telekommunikationsbranche und entspricht schon heute den Anforderungen an die WAN-Kommunikation gemäß BSI-Schutzprofil.

All diese Gründe sowie die daraus resultierende Unab-hängigkeit der Stadtwerke Ratingen von Dritten und die Kosten-ersparnis waren ausschlaggebende Gründe, das Pilotprojekt in Ratingen mit BPL umzusetzen.

Smart Metering im Test

Das Pilotprojekt hatte eine Laufzeit von einem Jahr. Von Dezember 2010 bis Dezember 2011 bekamen 637 Haushalte in Breitscheid-Nord elektronische Stromzähler, vorwiegend von den Herstellern EasyMeter und Elster, sowie weitere Wasser-, Gas- und Wärmezähler installiert. Zwölf Niederspannungstransformatoren dienen als Vermittlungsstelle zwischen den Smart Metern und dem Energieversorger.

Dank BPL wurde dabei das Stromnetz auf der Niederspannungsebene zwischen Kunden und Transformatorstationen zum Kommunikationsnetz. Die weitere Datenübertragung von den Trafos bis zum Energieversorger übernahm ein Glasfasernetz. Die Infrastruktur der BPL-Technik besteht dabei aus Headends in diesen Transformatorstationen, Repeatern in den Straßenverteilern und Gateways in den Häusern, die in der Nähe der Zähler montiert werden. Nach der Installation werden die Daten der Strom-, Wasser-, Gas-, und Heizwärme-zähler über Wireless-M-Bus an das BPL-Gateway gesendet. Von hier aus erfolgt die Übertragung der Daten im Standardprotokoll TCP/IP über das Stromnetz. Damit lassen sich die Verbrauchsdaten aller Haushalte direkt und sicher in das bestehende Backend-System der Stadtwerke Ratingen einbinden.

Der Endkunde kontrolliert seine Daten und kann seine Ener-gienutzung im eigens dazu eingerichteten passwortgeschützten Webportal verfolgen. Dies gibt den Kunden der Stadtwerke Ratingen eine hohe Transparenz sowie die Möglichkeit, ihren jeweiligen Verbrauch in Echtzeit nachzuvollziehen. Das sensibilisiert sie für ihre Energienutzung. Damit werden bereits heute die entsprechenden neuen Anforderungen aus der jüngst verabschiedeten EU-Energieeffizienzrichtlinie erfüllt. Auch erlaubt es die sekundengenaue Verbrauchsanzeige den Kunden, Stromfresser in ihren Haushalten zu identifizieren.

Für die Stadtwerke Ratingen ergeben sich neben den Vorteilen des Smart Metering auch weitere positive Aspekte der Ausrüstung ihrer Netze mit BPL. So können sie erneuerbare Energie-anlagen oder KWK-Anlagen steuern, um auf zu hohe oder zu niedrige Lasten adäquat reagieren und eine hohe Netzstabilität gewährleisten zu können. Die Kenntnis über den aktuellen Netzzustand ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um zukünftig auch bei volatiler und dezentraler Energieerzeugung Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Das Smart-Metering-Pilotprojekt in der Stadt Ratingen wurde Ende 2011 mit sehr guten Ergebnissen abgeschlossen. Mehr als 95 Prozent der Zähler lieferten bereits in der ersten Stunde nach der Installation ihre Daten ins System, 99,9 Prozent der Stundenwerte waren es nach Abschluss des Projekts. Zudem wurden, anstatt der geforderten Auslese-Intervalle von 15 Minuten, in Belastungstests für alle Haushalte Intervalle von unter 30 Sekunden realisiert, was für die hohe Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der Smart-Grid-Strukturen spricht.

Stadtweiter Smart-Metering-Rollout

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Pilotprojekts entschieden sich die Stadtwerke Ratingen auch die übrigen Gebiete der Stadt mit Smart Metering zu erschließen.

Das Ausrollen der Basisstruktur für Smart Metering in der gesamten Stadt startete im August 2012 und wird Anfang 2013 abgeschlossen sein. So können nicht nur die EnWG-Anforderungen erfüllt werden, sondern jeder der 92.000 Einwohner ist nach Vollendung des Rollouts an ein intelligentes Stromnetz, also ein Smart Grid, angeschlossen und kann auf Wunsch den Smart-Metering-Dienst nutzen.

Breitband-Powerline wird die 40.000 Haushalte in Ratingen mit ihren Stadtwerken verbinden. Die Kunden profitieren von einer erhöhten Netzstabilität, da Engpässe im Verteilnetz rechtzeitig identifiziert werden können. Die hohe Bandbreite der BPL-Technologie ermöglicht zudem die Einführung weiterer Anwendungen wie Elektromobilität, intelligente Ortsnetzstationen und neue Dienste.

Geschäftsmodelle der Zukunft

Bereits nach dem erfolgreichen Abschluss des Pilotprojekts wurde der nächste Schritt hin zu einem zukunftsfähigen Produkt- und Service-Port-folio unternommen. Die Stadtwerke Ratingen gründeten eine eigene Gesellschaft als Smart-Grid- und Telekommunikationsnetz-Betreiber: Kommitt Ratingen wird das Smart Grid verwalten und vermarkten sowie den Messstellenbetrieb übernehmen, womit sich die Stadtwerke frei von Services Dritter machen. Neben dem Messstellenbetrieb und den entsprechenden Dienstleistungen ist die Kommitt für den Bau und Betrieb eines Glasfasernetzes verantwortlich. Zudem bietet die BPL-Technologie durch ihre Offenheit für IP-basierte Dienste den Stadtwerken auch die Option, in Zukunft Produkte und Services rund um die Themen intelligentes Lastmanagement und Smart Home anbieten zu können.

Ratingen mit seinen 40.000 Haushalten wird eine der ersten Smart Cities in Deutschland und das nicht nur auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit. Die Visionen der Energiewende werden in Ratingen bereits heute Realität.

Weitere Informationen

[1] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: "Protection Profile for the Gateway of a Smart Metering System" 2011

[2] Novellierung des EnWG im August 2011, §21d

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