Interview „Nicht mit oberflächlichen Botschaften abspeisen lassen“


Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller erwartet beim BDEW-Kongress von den Politikern Antworten auf drängende Fragen.

Bild: BDEW
06.06.2013

Der BDEW-Kongress beschäftigt sich 2013 mit dem Umbruch der Energiemärkte und -systeme. Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung sprach mit uns über das Wahljahr und die Bedeutung der Energiewende.

Energy 2.0: Frau Müller, welche Themen bewegen derzeit die Branche besonders?

Hildegard Müller: Der BDEW-Kongress hat den Titel „Märkte und Systeme im Umbruch“. In der jetzigen Phase der Umsetzung der Energiewende müssen wir zum einen die Herausforderungen der Energiewende diskutieren und angehen: Zu nennen wären hier beispielsweise die rasant wachsende Menge an erneuerbaren Energien, ihre Integration in das Gesamtsystem und mittelfristig das neue Marktdesign. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Themen an der Nahtstelle von Energie- und Wasserwirtschaft, die sich zum Beispiel aus dem Zubau der Erneuerbaren ergeben. Dann geht es um Fragen der Eigenversorgung von Kommunen, Industrie und Privathaushalten und wie das im Verhältnis zu Kosten und Infrastrukturaufbau gesehen wird. Schließlich werden verschiedene Foren die Themen Versorgungssicherheit, EEG- Weiterentwicklung, Energiehandel, Herausforderungen für die Gaswirtschaft und des Wärmemarkts sowie das Thema Energieeffizienz beleuchten. Das zeigt, dass die Branche auf ihrem Kongress die ganze Palette der Themen diskutieren und Lösungen erarbeiten möchte.

Mit von der Partie ist auch viel Politprominenz.

Meiner Auffassung nach ist es im Wahljahr ein wichtiger Anspruch, dass Spitzenpolitiker dem Branchenverband der Energie- und Wasserwirtschaft ihre Zukunftsvorstellungen darstellen. Wichtige politische Vertreter sind beim Kongress zahlreich vertreten - angefangen bei den Spitzenkandidaten von Union, SPD und den Grünen über die Bundesminister Rösler und Altmaier bis zu EU-Kommissar Oettinger.

Darf man mehr erwarten als ein politisches Schaulaufen?

Die Politik weiß natürlich, dass wir aktiver Gestalter bei Fragen der Energie- und Wasserwirtschaft sind und uns nicht mit oberflächlichen Botschaften abspeisen lassen. Das zeigt die Vielzahl an Dialogen und Gesprächen, die wir in der Vergangenheit eingefordert haben und die im Kanzleramt und mit der Opposition zustande gekommen sind. Wir erwarten, dass wir auf die vielen drängenden Fragen der Branchen Antworten bekommen. Die anwesenden Vertreter der Mitgliedsunternehmen werden also die Reden der verschiedenen Parteienvertreter konstruktiv-kritisch verfolgen. Wir haben die klare Erwartung, dass die Politik uns ihre Vorstellungen darlegt, wie es nach der Wahl weitergehen soll. Dieses Jahr zeigt besonders, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Deshalb bin ich sicher, dass die Debatten auf unserem Kongress nicht an der Oberfläche halt machen werden.

Ein Rezept, um den Gordischen Knoten zu durchschlagen, wäre ein Energieministerium. Ist das eine kluge Lösung, oder würde es eher helfen, die Beteiligten besser zu koordinieren?

Ich denke, beides ist richtig und wichtig. Wir brauchen auf jeden Fall ein Energieministerium. Ich halte es beispielsweise nicht für zeitgemäß, dass im Wirtschaftsministerium die Verantwortung für die konventionelle Erzeugung und im Umweltministerium die Verantwortung für die Erneuerbaren liegt. Konventionelle und Erneuerbare müssen zusammen gedacht und koordiniert und deshalb auch politisch in eine Hand gelegt werden. Darüber hinaus gibt es natürlich viele weitere Felder, die mit Energie zu tun haben: von der Energieforschung über den Infrastrukturaufbau bis hin zum Verbraucherschutz. Das wird sicher nicht alles in einem Ministerium angesiedelt werden können. Die Schaffung eines Energieministeriums kann daher nur ein Teil der Lösung sein. Wir haben deshalb bereits 2012 mit dem WWF das „Nationale Forum Energiewende“ vorgeschlagen. Auch aus der Erfahrung der vergangenen anderthalb Jahre glauben wir, dass der mangelnde Bund-Länder-Dialog eines der Hauptprobleme bei der Umsetzung der Energiewende ist. Selbst der beste Energieminister der Welt würde nichts bewirken, wenn die Bundesländer nicht bereit sind, konstruktiv an der Energiewende mitzuarbeiten. Wir haben noch viele Jahrzehnte der Gestaltung vor uns, deshalb müssen neue politische Wege möglich sein.

Gibt es trotz der parlamentarischen Sommerpause und des Wahlkampfgetöses, das an Lautstärke in diesen Tagen zunimmt, noch Themen, die in den kommenden Wochen vorangetrieben werden können?

Gesetzgeberisch schließt sich das Zeitfenster. Der Dialog über Sachthemen muss aber trotzdem vorangetrieben werden. Für mich gehört die politische Auseinandersetzung über Fragen der Energiewende ausdrücklich zum Wahlkampf dazu. Auch der Wahlbürger hat das Recht zu erfahren, wie die unterschiedlichen Positionen der Parteien sind. Und die sind so unterschiedlich, dass zum Beispiel die Energiewende von einer neuen Regierung auf jeden Fall beeinflusst wird. Es gibt natürlich Sachdiskussionen, die über den reinen Wahlkampf hinaus weitergehen können, wie etwa die Frage der Akzeptanz für Infrastrukturprojekte, die Weiterentwicklung von Konzepten für den Ausbau der Erneuerbaren und das neue Marktdesign.

Wie informiert ist denn der Bürger aus Ihrer Sicht?

Meine Kollegen und ich machen viele Termine quer durchs Land, um die Energiewende zu erklären und darzustellen. Ich bin positiv überrascht, welch hohes Interesse und Wissen es bei diesem Thema gibt. Auch Umfragen, die der BDEW Anfang 2013 durchgeführt hat, bestätigen, wie wichtig den Menschen die Energiewende und ein verbessertes Projektmanagement ist. Die Bürger legen aber auch Wert darauf, dass wir das, was wir ökologisch wollen, jetzt auch ökonomisch umsetzen, so dass die Menschen mit bezahlbaren Preisen rechnen können.

Lichtet sich beim Thema Energiemarktdesign der Nebel, nachdem einige Vorschläge von verschiedenen Organisationen auf dem Tisch liegen?

Wir müssen kurz- und mittelfristige Dinge entscheiden. Kurzfristig haben wir der Bundesregierung in Reaktion auf ihre Reservekraftwerksverordnung mit dem Modell der „Strategischen Reserve“ eine wettbewerblich ausgestaltete und transparente Alternative zu der von der Politik vorgesehenen Zwangsregulierung vorgeschlagen. Damit kann die Versorgungssicherheit in den kommenden Jahren gewährleistet werden. Die Debatte ist an dieser Stelle noch nicht abgeschlossen und es gibt durchaus positive Signale zu unserem Vorschlag. So bekommen wir inzwischen viel Unterstützung vom Bundesumweltministerium, vom Bundesverband Erneuerbare Energien und von vielen anderen, die die Vorteile des BDEW-Konzepts gegenüber dem Vorschlag der Regierung anerkennen. Die grundlegende Frage ist, wie es mittelfristig beim Marktdesign weitergeht. Wir stehen vor einem Rollentausch von erneuerbarer und konventioneller Energie. Hier stellen sich viele Fragen, etwa wie wir das Vorhalten von dringend erforderlicher Leistung in Zukunft garantieren und absichern können. Deshalb muss dies eines der vordringlichsten Projekte nach der Regierungsbildung sein und schnellstmöglich 2014 angegangen werden. Wenn wir uns die Entwicklung auf dem Kraftwerksmarkt ansehen, brauchen wir spätestens 2015 gesetzgeberische Klarheit. Wir bevorzugen hier Lösungen, die wettbewerblich ausgestaltet sind. Sie sollten von Unternehmen bewältigt werden können, die alte und neue Anlagen mit unterschiedlicher Struktur einbinden, und sie sollten auch Chancen für Stadtwerke sowie kleine- und mittelständische Unternehmen bieten. Daran arbeiten wir als BDEW, und ich bin sicher, dass wir der Politik für die Koalitionsverhandlungen gute Vorschläge vorlegen können.

Das Interview führten Sabrina Quente und Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0

Verwandte Artikel