Fachbeitrag Energiewende digital

Energieinformationsnetz: Energiewirtschaft und Informations- und Kommunikationstechnik konvergieren zunehmend – regulatorisch ebenso wie praktisch.

09.09.2015

Ein praxisnaher Energieinformationsansatz ist essentiell für den Aufbau effizienter Smart Grids. An den entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen wird bereits gearbeitet. Hieraus ergeben sich große Chancen, aber auch deutliche Veränderungen insbesondere für Netzbetreiber.

Zwei maßgebliche Entwicklungen wirken derzeit auf die Netzwirtschaft ein und beschleunigen den Umbau hin zu einem intelligenteren und effizienten Verteilungssystem:

  • Erstens, der hohe Bedarf nach einer Netzebenen und Wertschöpfungsstufen übergreifenden Kommunikation, mit der sich die rasant verändernde Erzeugungslandschaft und das Netz auch künftig sicher und zuverlässig betreiben lassen.

  • Zweitens, die massiv veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen und Vorgaben bezüglich der datentechnischen Vernetzung des Energiesystems durch das geplante Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende.

Um die Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Strom entflechten und spezifische Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten einer wachsenden Zahl an Marktteilnehmern zuweisen zu können, sind künftig nicht nur erheblich mehr Schnittstellen nötig, sondern auch ein ausgeprägter Datenaustausch. Er muss in intelligenten und automatisierten Prozessen erfolgen, um die Handhabbarkeit zu gewährleisten. Aus dieser umfassenden informations- und kommunikationstechnischen Umwälzung ergeben sich Risiken und Chancen zugleich – für die gesamte Energiewirtschaft, insbesondere aber für die Netzbetreiber.

Digitalisierung schreitet rasch voran

Infolge der Digitalisierung kommt es zu einer wachsenden Konvergenz von Energiewirtschaft und Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Dieser Prozess verdichtet sich derzeit, regulatorisch wie praktisch, im Aufbau des Energie­informationsnetzes.

Denn Betreiber von Erzeugungsanlagen und Elektrizitätsverteilernetzen, Elektrizitätslieferanten sowie gewerbliche und industrielle Letztverbraucher unterliegen einer entscheidenden gesetzlichen Verpflichtung: Sie müssen den Übertragungsnetzbetreibern und den vorgelagerten Betreibern von Elektrizitätsverteilernetzen auf Verlangen unverzüglich alle Informationen bereitstellen, die für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb notwendig sind. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bilden hier keine Ausnahme.

Um den zukünftigen Daten- und Informationsaustausch inhaltlich, zeitlich und prozessual konkret zu beschreiben, läuft aktuell ein fünfstufiges Verfahren, in dessen Rahmen sich Bundeswirtschaftsministerium, Bundesnetzagentur und Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW eng miteinander abstimmen.

Energieinformationsnetz wirft Fragen auf

Die Arbeit am Energieinformationsnetz wirft aber auch Fragen zum künftigen Rollenverständnis der Marktteilnehmer auf, einschließlich Aufgabenzuordnung, Sicherheit und operativer Prozessabwicklung. Die Beantwortung jener Fragen verdeutlicht einerseits, wie weitreichend die Veränderungen im Zuge der Digitalisierung sind, die nun auf die Branche zukommenden. Andererseits lassen sich daraus aber auch interessante Thesen zur langfristigen Entwicklung ableiten (siehe Kasten auf der Folgeseite).

Verändert die IKT das Rollenverständnis?

Die eigentliche Energiewende findet im Verteilnetz statt. Rund 90 Prozent der Anlagen für erneuerbare Energien sind daran angeschlossen. Infolgedessen wächst in Deutschland insbesondere die Gruppe der Flächen- und 110-kV-Netzbetreiber schrittweise in eine neue Rolle hinein. In Ostdeutschland oder Schleswig-Holstein übersteigt die installierte regenerative Leistung die jeweilige regionale Last bereits um ein Vielfaches. Diese Situation, die in vielen Regionen künftig der Regel- statt der Ausnahmefall sein wird, erfordert eine völlig neue Kommunikation zwischen Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreiber – sei es bezüglich Systemsicherheit, Netzplanung oder der Erbringung von Systemdienstleistungen.

Neue Geschäftsfelder entstehen

Diese neuen Aufgaben erfordern nicht nur den reibungslosen und raschen Austausch teils großer Datenmengen in Echtzeit, sie verändern potenziell auch das Profil der Akteure und deren Wirkungskreis. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Tendenz in Richtung eines neuen Rollenverständnisses der Netzebenen wird nicht durch die Digitalisierung selbst ausgelöst, sondern durch den Strukturwandel der Energiewende. Allerdings konstituieren die Verfügbarkeit von Daten in Echtzeit sowie deren Nutzung und diskriminierungsfreie Weiterverteilung an Berechtigte neue Verantwortlichkeiten. Die Frage lautet: Ergeben sich hieraus auch neue Chancen, sprich Geschäftsfelder?

Neue Rolle für Verteilnetzbetreiber?

Vor diesem Hintergrund haben die im BDEW vertretenen Verteilnetzbetreiber das Konzept entwickelt, im Smart Grid als neutrale Akteure die „Enabler“ eines fairen Wettbewerbs zu sein. Dieses „Level Playing Field“ soll allen Marktparteien für den Handel, die Belieferung von Endkunden sowie für weitere Dienstleistungen, etwa das Anbieten von Demand-Response-Services, zur Verfügung stehen. Noch ist offen, ob dieser Ansatz im Rahmen künftiger regulatorischer Vorgaben zur Schnittstellendefinition vom Markt und dem regulierten Bereich berücksichtigt wird; die Erhebung beziehungsweise Zuleitung relevanter Einsatzplanungs-, Stamm-, Mess- und Online-Bewegungsdaten legen jedoch eine zentrale Funktion des Verteilnetzbetreibers nahe. Allerdings stellt diese Aufgabe neue Ansprüche an die Investitionsfähigkeit, IT-Kompetenz und IT-Sicherheit.

Internet der Dinge: Wie sicher muss es sein?

Eines dürfte klar sein: Das schrittweise Aufbrechen der einst festen System- und Prozessgrenzen der Energieversorgungsunternehmen und Wertschöpfungsstufen hat weitreichende Folgen. Wie realistisch beispielsweise die Bedrohung durch externe Angriffe ist, zeigen autorisierte Selbstversuche aus der jüngeren Vergangenheit. Angesichts der Kritikalität des Versorgungssystems stellt die Energiewirtschaft beim Aufbau des brancheneigenen Internets der Dinge diesen Aspekt bewusst in den Fokus. Insbesondere mit Blick auf die im IT-Sicherheitskatalog der Bundesnetzagentur geforderte Einführung eines Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) für IKT-Systeme und dessen Zertifizierung nach ISO/IEC 27001 werden Netzbetreiber ihre Systeme wohl zumindest teilweise ertüchtigen und kontinuierlich auf dem neuesten sicherheitstechnischen Standard halten müssen.

Die grundlegende Bedeutung einer zukunftsfähigen Daten- und Marktkommunikation für das Internet der Energiewirtschaft steht außer Frage. Angesicht der erheblichen Kosten für den Auf- und Umbau der Kommunikations- und IT-Landschaft sind die Akteure aber dringend aufgerufen, Fehlinvestitionen oder permanente, politische Richtungswechsel zu vermeiden. Zu diesem Zweck strebt die Branche ein gemeinsames Arbeitsprogramm und einen darauf abgestimmten Regulierungsrahmen mit der Bundesnetzagentur an. Die vom BDEW entwickelte Roadmap „Daten- und Marktkommunikation“ zeigt bereits die wichtigsten Handlungsfelder der nächsten Jahre. Das letztendliche Ziel der Bemühungen ist ein mit dem Regulierer gemeinsames Verständnis der Inhalte – hinsichtlich der künftig notwendigen Ausgestaltung von Prozessen, Codes und Datenformaten –, verbunden mit einer konkreten, praxistauglichen Zeitachse, die sowohl den Netzbetreibern, aber auch der IT-Branche Planungssicherheit gibt.

Energieinformationsansatz als Motor

Wird der hier beschriebene Energieinformationsansatz konsequent verfolgt, wird auch der Aufbau effizienter Smart Grids möglich. Voraussetzung dafür sind jedoch die entsprechenden Rahmenbedingungen im regulierten Bereich und die Wahrung der Balance zwischen regulatorischen Vorgaben und der Selbstverwaltung der Netzwirtschaft. Sind sie geschaffen, können innovative Netztechnologien zum Motor einer durch Strukturwandel geprägten Branche werden und die Basis legen für eine erfolgreiche Energiewende in Deutschland.

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