Fachbeitrag Schutz im Smart Grid

11.12.2012

Micro-Grid-Lösungen im Smart Grid können mit einfach zu bedienenden Steuerinfrastrukturen erfolgreich umgesetzt werden. Eine Automatisierungslösung auf Basis von Standard-SPS-Kompo­nenten kann dabei für die Regelung ebenso wie für den Netzschutz eingesetzt werden.

Feldversuche haben inzwischen bewiesen, dass das intelligente Netz (Smart Grid) keine leere Worthülse ist, sondern bereits brauchbare Ergebnisse vorweisen kann. Eine vielversprechende Realisierungsvariante ist dabei das Micro-Grid-Konzept bei dem Energieerzeugung, Verbraucher und gegebenenfalls Speicherelemente lokal zusammengefasst werden. Üblicher-weise sind Micro Grids über einen einzelnen Netz-Anschluss-Punkt (NAP) ans Niederspannungs-Netz angeschlossen und in der Lage, auch unabhängig von diesem innerhalb ihres lokalen Energienetzes die Versorgung der Verbraucher autonom sicherzustellen. Dabei bietet das Micro-Grid-Konzept drei Vorteile:

Erstens eine Reduktion der Infrastrukturkosten, da die Komponenten des Übertragungsnetzes leistungsmäßig reduziert werden können, Zweitens die Robustheit der Energieversorgung, da Teile des Netzes in der Lage sind, sich im Fehlerfall selbstständig zu stabilisieren. Dies erhöht die Versorgungssicherheit, denn damit ist es auch möglich, das Netz nach einem Blackout schneller wieder hochzufahren, und Drittens die Reduktion der Netzregelung, da einzelne Netz-elemente in einem Cluster zusammengefasst werden können. Hierdurch muss nicht eine Leitstelle mit allen in ihrem Verantwortungsbereich befindlichen Energieerzeu-gungs-anlagen in Echtzeit kommunizieren, sondern die einzelnen Zellen übernehmen die Regelung autonom und tragen somit dazu bei, die Komplexität des Smart Grids zu reduzieren.

Vier Fragen zu Micro Grids in der Praxis

Wie können die "Netzverschmutzungen" reduziert werden? Hintergrund ist: Der hohe Anteil an Umrichtern bei erneuerbaren Energieerzeugern wirkt sich negativ auf die Qualität der Spannung aus. Durch die Verwendung von statischen oder dyna-mischen Kompensationsanlagen lassen sich die Oberwellen jedoch auf ein erträgliches Maß reduzieren.

Kann die Spannungsstabilität gewährleisten werden? Hierzu wird es notwendig sein, von einer Leitwarte aus die Koordination der einzelnen Micro-Grid-Steuerungen über standardisierte Kommunikationsprotokolle wie beispielsweise die IEC 61850 zu übernehmen. Reduziert die Dezentralisierung die Zuverlässigkeit der Energie-versorgung? Die sogenannte Ein-Fehler-Sicherheit, wie sie nun auch für den Niederspannungsbereich verbindlich wird [1], gewährleistet eine höhere Systemverfügbarkeit.

Sind �?nderungen am Netzschutz notwendig? Der bidirektionale Leistungsfluss, wie er charakteristisch für Micro Grids ist, setzt ein adaptives Netzschutz-Konzept voraus. Der Netzschutz ist ein Aspekt, dem man in dieser Lösungsvariante besonderes Augenmerk schenken muss, da sich durch den bidirektionalen Leistungsfluss die Dauer, Höhe und Richtung des Fehlerstromes abhängig vom Betriebszustand ändern.

Anforderungen an den Netzschutz

Traditionell sind Energieversorgungs-netze so organisiert, dass die Richtung des Leistungsflusses vom Übertragungs- zum Verteilnetz und somit zum Endverbraucher führt. Dies ermöglichte eine relativ klare Implementierung von Schutz-Strategien. Um zum Beispiel den möglichen Kurzschlussstrom zu berechnen, wird davon ausgegangen, dass der Fehlerstrom nur eine Richtung haben kann. Dies ist nun bei direkt ins Verteilnetz einspeisenden dezentralen Energie-erzeugungseinheiten nicht mehr der Fall, was dazu führt, dass das Prinzip der Selektivität verletzt wird. Das heißt, dass nur das dem Netzfehler am nächsten liegende Schutzgerät auslösen soll, um den fehlerhaften Teil zu isolieren und so die Stabilität des Versorgungsnetzes zu gewährleisten. Beispielhaft werden hier drei Phänomene beschrieben, bei denen das Prinzip der Selektivität verletzt werden kann:

Der Kurzschlussstrom erhöht sich dynamisch: Werden dezentrale Erzeugungseinheiten an das Micro Grid angeschlossen, so erhöht sich der Kurzschlussstrom. Naturgemäß müssen daher die Schutzeinstellungen der bestehenden Anlagen angepasst werden. Bei fluktuierenden Energie-quellen hängt der maximal mögliche Kurzschlussstrom vom Betriebszustand der Erzeugungsanlage ab. Der Kurzschlussstrom schwächt sich ab (engl. Protection Blinding): Durch das zusätzliche Einspeisen kann der am Schutzgerät gemessene Kurzschlussstrom nicht den ursprünglich errechneten Wert erreichen. Speist nun im Micro Grid eine zusätzliche Energieerzeugungsanlage ein, reduziert sich der Anteil des Kurzschlussstroms aus dem Verteilnetz und das Schutzgerät, der so genannte Circuit Breaker (CB), sieht nur noch einen Teil des ursprünglichen Stromes. Schutzgeräte lösen unnötig aus (engl. Sympathetic Tripping): Dieses Phänomen beschreibt, wie bei einem Fehler außerhalb des Micro Grids dessen Leistungsschutzschalter dennoch auslösen kann. Wenn das Schutzgerät keine Stromrichtungserkennung integriert hat, würde es in diesem Fall auslösen und einen an sich funktionstüchtigen Teil außer Betrieb setzten und somit die Netzstabilität spürbar beeinträchtigen.

Statische und dynamische �?nderungen der Randbedingungen können im Netzschutz als neue Herausforderung gesehen werden.

Untersuchungen zum adaptiven Netzschutz

Zahlreiche Forschungsarbeiten sind im Bereich adaptiver Netzschutz bereits durchgeführt worden. Im Folgenden wird auf die Arbeit von Andrey Shustov vom Institut für Solare Ener-gieversorgungstechnik in Kassel [2] eingegangen, da sie vor allem bezüglich ihrer praktischen Anwendbarkeit überzeugt. In seiner Lösung schlägt Shustov vor, den Netzschutz vom aktuellen Betriebszustand der Micro Grids abhängig zu machen: Zum Beispiel im Netzzustand 1, dem Parallelbetrieb; und im Netzzustand 2, dem Inselbetrieb. Abhängig vom jeweiligen Netzzustand lassen sich nun unterschiedliche mögliche Kurzschlussströme berechnen. Eine entsprechende Kommunikationsstruktur vorausgesetzt, lassen sich so die Schutzgeräte-Parameter flexibel und an die jeweilige Situation angepasst adaptieren.

Automatisierung dezentraler Energieerzeuger

Die Lösung von Bachmann Electronic beschreibt eine Auto-matisierungslösung für dezentrale Energieerzeugungseinheiten, die alle notwendigen Aufgaben von Micro-Grid-Con-trol und -Protection wahrnehmen kann. Dabei können Standard-SPS-Komponenten sowohl für die Regelung als auch für den Schutz eingesetzt werden [3]. Das führt dazu, dass eine preisgünstige und trotzdem zuverlässige Micro-Grid-Regelung realisiert werden kann. Bachmann bedient sich dabei so genannter Technologiemodule, die in der Lage sind, lokal und selbstständig Regelungs- und Schutzfunktionen zu übernehmen. Durch die Integration der Schutzfunktionen lassen sich auch Strategien für den adaptiven Netzschutz einfach und kostengünstig realisieren.

Weitere Informationen

[1] VDE-AR-4105:2011-08: Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz - Technische Mindestanforderungen für den Anschluss und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz; VDE Verlag, Berlin, Deutschland

[2] Andrey Shustov: Netzschutz für elektrische Energieversorgungssysteme mit hohem Anteil dezentraler Stromerzeugungsanlagen, Kassel University Press, Kassel, Deutschland, 2009

[3] M. Kleemann, C. Rehtanz, A. Nenning: Power System Protection for Distributed Generators based on off-the-shelf Components, presented at the IET Conference on Renewable Power Generation, Edinburgh, United Kingdom, 2011

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